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Oettinger fordert Standortgarantie für Airbus-Werk Laupheim

Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger verlangt von Airbus eine Standort-Garantie für Laupheim. Im Falle eines Verkaufes müsse klar sein, wie lange Airbus und EADS weiterhin Flugzeugteile dort bestellten, sagte der CDU-Politiker. Die Misere bei EADS Airbus sei keine Misere, die die Arbeitnehmer verursacht hätten.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Die Heftigkeit, mit der gegenwärtig über die richtige Familienpolitik gestritten wird, hat mit dem Druck zu tun, der sich unter dem sorgfältig zugeschraubten Deckel gebildet hat, denn die Lebensbedingungen der Familien haben Politik und Medien zu lange zu wenig interessiert. Für die einen bildete die Familie aus ideologischen Gründen eine Fehlentwicklung der gesellschaftlichen Evolution. Die anderen, die das C als Titel im Schilde führen, haben das Geld lieber den Rentnern in die Tasche geschoben, weil diese Bevölkerungsgruppe anders als die Kinder wählen darf. Inzwischen ahnen wir, was am Ende hinten rauskommt: Nicht nur zu wenig Nachwuchs und einstürzende Sozialsysteme, sondern auch dicke Kinder, kriminelle Halbstarke, intellektuell zurückgebliebene Schulabsolventen und so weiter. "Die Frage laute nicht mehr, ob Frauen zu Hause bleiben, um ihre Kinder zu erziehen oder nicht, sondern bekommen sie Kinder oder nicht", schrieb gestern die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

    Die katholische Kirche warnt, durch die finanzielle Austrocknung der Familien, also durch höhere Mehrwertsteuer, gestrichene Eigenheimzulage oder Pendlerpauschalen, eingefrorenes Kindergeld bei steigenden Kosten, würden die Frauen geradezu in den Beruf geprügelt und so zu Gebärmaschinen herabgewürdigt, die sich, selbst wenn sie sich das wünschten, nicht mehr um die Erziehung ihres Nachwuchses kümmern könnten. Die SPD-Spitze vergleicht diese Einwände mit der Sexualberatungskompetenz kastrierter Kater.

    So viel zum Ton der Debatte. Über die Sache wollen wir jetzt mit dem CDU-Politiker Günter Oettinger sprechen, dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg. Guten Morgen nach Stuttgart.

    Günter Oettinger: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Oettinger, Umfragen zufolge besteht der wichtigste Grund für fehlenden Nachwuchs vor allem für Frauen darin, dass sie nicht den richtigen Partner finden, der bereit ist, das Abenteuer Familie mit zu erleben und Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Wir streiten jetzt über Betreuungsplätze. Führen wir die falsche Debatte?

    Oettinger: Nein. Ich glaube, das Thema Betreuung von Kleinkindern und Kindern und auch das Thema Ganztagesschule ist ein wichtiger Faktor einer kinderfreundlichen und damit auch familienfreundlichen Gesellschaft. Ein Faktor, aber nicht der einzige. Da wir aber in dem Bereich Nachholbedarf haben und da wir gerade bei den unter Dreijährigen nicht genügend Plätze haben und die Frage, ob man dort überhaupt eine Fremdbetreuung anbieten soll, noch immer strittig ist, deswegen ist das Thema derzeit im Vordergrund. Es darf aber nicht der Blick verstellt werden auf andere Faktoren wie zum Beispiel, dass bei uns völlig unüblich ist, dass eine junge Frau, wenn sie studiert, ein Kind bekommt. Das heißt, je mehr Akademikerinnen wir haben, desto eher ist die Familienphase in unserer Denkstruktur nach hinten verdrängt. Wir müssten deswegen prüfen, ob nicht gerade für junge Frauen während des Studiums Betreuungsplätze am Hochschulort, aber auch ein Hochschulablauf und Vorlesungen, die mit Familie vereinbar sind, viel mehr angeboten werden müssen. Das heißt, wir brauchen eine Vielzahl von Debatten über unterschiedliche Themen und müssen insgesamt das Kind und die Vereinbarkeit von Kind und Alltag und Beruf weit mehr in den Ablauf unserer Arbeitsgesellschaft und auch unserer Freizeitgesellschaft stellen.

    Heinemann: Herr Oettinger, wenn Studentinnen geplant schwanger werden, haben sie immerhin schon mal jemanden gefunden, der das mitmachen möchte. Aber das ist ja das Grundproblem, dass sehr viele Männer, sehr viele junge Männer heute sagen, wir wollen überhaupt gar keine Familie haben. Was ist da falsch gelaufen?

    Oettinger: Wir haben einen Prozess, dass vermutlich meine Generation zu stark ihre eigene Entwicklung, das heißt Ausbildung, Beruf, Karriere, auch Freizeit, Pflege von Freundeskreisen, in den Mittelpunkt gestellt hat und dann Kinder oftmals nicht vorgesehen waren oder mit dem Kind nicht mehr alles gehalten werden konnte, was man hatte: der materielle Wohlstand, die Pflege einer konsumtiven Freizeit. Dort müssen wir umdenken. Das geht nicht von jetzt auf nachher. Da kann man keinen Schalter umstellen. Da ist glaube ich ein gesellschaftlicher Prozess gefragt in Politik, der Arbeitswelt, bei Arbeitgebern, in den Medien, in der Erziehung der nächsten Elterngeneration. Das heißt wir müssen eigentlich jetzt schon die Acht-, Zehn-, Zwölfjährigen viel mehr begeistern für eigene Existenz, für die Gründung einer Familie, für Partnerschaft und für den früheren Kinderwunsch.

    Heinemann: Sind die nachwuchsfeindlichen Männer die eigentlichen kastrierten Kater?

    Oettinger: Den Begriff halte ich für völlig unangemessen. Der verletzt jeden und ist eigentlich auch ein Ausdruck mangelnder Ernsthaftigkeit. Aber klar ist, dass noch immer viele junge Männer gerne Verantwortung im Beruf übernehmen oder in der Freizeit, im Sport, in der Kultur, aber nicht in Familie. Dass die Familie die erste Verantwortungsgemeinschaft ist, sollten wir verstärkt jedem bewusst machen. Das heißt, noch einmal: Es geht darum, dass man den heranwachsenden Jugendlichen früher als bisher für eine Partnerschaft und für die Familie, die Ehe begeistern kann.

    Heinemann: In der Schule - Stichwort begeistern - lernen Jugendliche wahrscheinlich zu Recht wie man verhütet. Eine verantwortliche Erziehung zur Familie gibt es erstaunlicherweise nicht.

    Oettinger: Wir haben sicherlich die Aufklärung als einen Bestandteil des Unterrichts und die Verhütung ist bei ganz jungen Menschen nach der Pubertät sicherlich etwas, was der junge Mann und die junge Frau wissen muss, damit man nicht zu einem völlig falschen Zeitpunkt mit 15, 16 Jahren ungewollt schwanger wird. Gleichzeitig muss aber in die Lehrstoffe, die Lehrpläne der Schule hinein die Frage, wie man Familie organisiert, finanziert, wie man in der Partnerschaft aber auch Unterstützung hat. Wer heiratet oder eine Partnerin hat, ist nicht mehr alleine: weder materiell noch ideell. Ich erlebe es in meiner Generation, wo von meinem Jahrgang sehr viele keine Kinder haben. Da ist dann irgendwann einmal eine gewisse Leere da. Wer keine Kinder bekommen kann, der versucht das Beste daraus zu machen. Wer aber Kinder hätte bekommen können, den Zeitpunkt versäumt oder es lange nicht will, wird später merken, dass Kinder schon Lebenssinn stiften. Deswegen baue ich darauf, dass in der Erziehung, die noch von meiner Generation ausgehen muss, für die ganz Jungen die Familie wieder als Ideal, als Ziel, als Lebensaufgabe verstärkt vermittelt wird.

    Heinemann: Herr Oettinger, wäre es jetzt nicht besser und nebenbei auch billiger, einen privaten Markt für Tagesmütter zu fördern, anstatt jetzt gewaltige staatliche Strukturen zu schaffen, die wir in Zukunft vielleicht gar nicht mehr benötigen, weil einfach weniger Kinder nur noch zur Verfügung stehen werden?

    Oettinger: Am Beispiel unseres Landes Baden-Württemberg: Wir machen beides. Wir haben derzeit im Lande etwa 10.000 Tagesmütter und gerade im ländlichen Raum, auf dem Dorf wird die Kinderkrippe kaum finanzierbar sein, auch nicht notwendig, weil die Zahl der Kinder gar nicht genügend hoch ist. Die Zahl der Tagesmütter ist umgekehrt aber sicherlich begrenzt. Das heißt die Frage ist schon, ob wir nicht durch Weiterbildung für Frauen, für Hausfrauen, für Frauen, die nicht voll beruflich tätig sind, die Tagesmutter als einen Teilzeitberuf oder ein neues Berufsbild voranbringen. Dies hat natürlich damit zu tun, dass wir dann auch materielle Hilfe geben müssen. Wenn die Kinderkrippe von der Kommune und dem Land getragen wird, dann sollte uns der Platz bei der Tagesmutter auch etwas Wert sein. Zum Beispiel überlegen wir, ob wir die Alterssicherung einer Tagesmutter, das heißt einen Rentenversicherungsbeitrag finanzieren und ob wir nicht auch dort ganz gezielt Landeszuschüsse geben verstärkt zu den bisherigen. Sie haben Recht, aber die Tagesmutter wird nicht die Kinderkrippe ersetzen. Sie wird sie nur ergänzen. Wir gehen in Zahlen davon aus, dass auf etwa vier Plätze in der Kinderkrippe ein Platz bei einer Tagesmutter in Baden-Württemberg erreichbar ist.

    Heinemann: Angela Merkel hat sich erst ziemlich spät zu Wort gemeldet. Hätten Sie sich eine frühere Stellungnahme Ihrer Parteivorsitzenden gewünscht?

    Oettinger: Nein. Ich glaube, dass in der CDU Deutschlands ein erfreulicher Diskussionsprozess in vollem Gange ist, der von der Ministerin von der Leyen angeführt wird, der von uns in den Ländern parallel geführt wird und der von der Kanzlerin unterstützt wird. Das heißt, ich sehe dieses Thema als ein Länderthema, ein Thema der Kommunen, ein Thema der Kirchen und freien Träger vor Ort, ein Thema der Gesellschaft und nicht zu allererst ein Thema der Kanzlerin. Aber entscheidend ist, wenn es denn mal Streit gibt, wenn die Debatten hitzig werden: die Kanzlerin steht zu ihrer Ministerin. Deswegen ist der Schutzschild der Kanzlerin entscheidend. Es ist kein Chefthema, aber es ist ein Thema, wo die Chefin mithelfen muss.

    "Die Verluste werden nicht in Laupheim produziert"
    Heinemann: Ein anderes Thema wollen wir noch ansprechen, und zwar Airbus. Das Sanierungskonzept ist vorgestellt worden. Baden-Württemberg ist mit dem Werk Laupheim betroffen und wenn ich es richtig verstanden habe, waren Sie nicht begeistert. Airbus möchte jetzt Flugzeuge künftig so bauen wie die Automobilindustrie Fahrzeuge herstellt. Das heißt Fremdfirmen liefern zu, die Teile werden dann im Werk zusammengeschraubt. Was spricht dagegen?

    Oettinger: Zunächst einmal muss man sehen: Die Misere bei EADS Airbus ist keine Misere, die die Arbeitnehmer verursacht haben. Wir haben qualifizierte Beschäftigte. Wir haben gute Komponenten und Teile, die an verschiedenen Orten hergestellt werden. In das Werk Laupheim wurde in den letzten Jahren gewaltig investiert. Es ist auf höchstem Niveau Technologie und Präzision vorhanden und die Verluste werden nicht in Laupheim produziert. Die Verspätung beim A380 oder das Versäumnis beim A350 entstand auch nicht in Laupheim. Das heißt eigentlich werden hier Arbeitnehmer in Turbolenzen gebracht, die gar keine Schuld haben. Deswegen stellen wir die Frage, was bringt es der EADS-Airbus-Gruppe, Laupheim zu verkaufen.

    Zum zweiten: Selbst wenn verkauft werden sollte, brauche ich Standortsicherungen, will ich wissen, was und wie lange EADS Airbus Komponenten und Teile in Laupheim bestellt. Dann will ich noch sehen, wer der Käufer wird, ob dies durch eine Option allein meistbietend verkauft wird oder ob man einen strategischen Partner sucht. Das heißt wir protestieren nicht blindlings, sondern wir stellen berechtigte Fragen, die sich auch im Konzern jeder Verantwortliche stellt.

    Heinemann: Es ging dort ja auch um deutsch-französische unterschiedliche Auffassungen von Industriepolitik. Sie sind rein geographisch nahe dran. Wie erleben Sie die französische Industriepolitik?

    Oettinger: Wir haben ja zu Frankreich die engsten Verbindungen, entlang des Rheins und in der direkten Nachbarschaft Baden-Württembergs zum Elsass. Die Franzosen sind schon sehr zentralistisch organisiert und dominant. Das heißt es gelingt eine tolle Partnerschaft mit Franzosen, wenn es um die Weinprobe oder das gute Essen im Burgund oder im Elsass geht, aber wenn es um knallharte Geschäftsinteressen geht, wollen die Franzosen die Mehrheit, wollen sie dominieren, wollen sie Wertschöpfung nach Frankreich ziehen. Das heißt ich kenne von der SEL Alcatel angefangen über den ganzen Bereich der Uhrenbranche, der Elektronikbranche bis hin zu Chemie und Pharma eigentlich wenige Beispiele einer geglückten Partnerschaft auf Augenhöhe.

    Heinemann: Woran liegt das?

    Oettinger: Das liegt sicherlich in dieser Elite, die in Frankreich zwischen Politik und Wirtschaft wechselt, hat sicherlich auch geschichtliche Gründe. Die Franzosen sehen sich als la grande Nation. Und ich glaube, dass wir oftmals nicht genügend professionell in derartige Partnerschaften gehen. Wir unterschätzen die Dominanz der Franzosen. Wir haben keine genügende Strategie. Der Austausch, auch der Personalaustausch zwischen Wirtschaft und Politik ist in Deutschland die Ausnahme, nicht die Regel. Das heißt da können wir durchaus in Fragen einer modernen Standort- und Industriepolitik lernen von dem, wie in Frankreich diese Netzwerke funktionieren.