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Özdemir: Finanztransaktionssteuer muss kommen

Angela Merkel müsse in "entscheidenden Punkten" zeigen, dass sie ihre Position verändert habe, sagt Cem Özdemir vor dem Treffen zum Fiskalpakt. Der Grünen-Chef fordert, dass Merkel nicht nur Dinge auf dem Papier formuliere, sondern diese auch in Brüssel verhandele.

Cem Özdemir im Gespräch mit Dirk Müller | 21.06.2012
    Dirk Müller: Eine gute Woche ist es noch hin, bis der umstrittene Fiskalpakt und der ebenso umstrittene Eurorettungsschirm im Parlament die Zustimmung finden sollen. Der Druck ist groß für die Schwarz-Gelbe Koalition, vor allem aber für die Kanzlerin. Dabei könnte sich Angela Merkel gelassen zurücklehnen und viel mehr Eurofußball schauen, als dies ihr Zeitbudget de facto im Moment jedenfalls zulässt. Denn wenn eins gewiss ist, dann ist es, auf die Opposition Verlass zu haben, eben darauf, dass sie zwar ständig kritisiert und herummäkelt an der Regierungschefin, aber beim Thema Euro letztendlich immer grünes Licht gibt - bestimmt auch gleich wieder, wenn die Partei- und Fraktionschefs, auch die von SPD und Grünen, im Kanzleramt eintreffen, zugunsten des Fiskalpakts.

    Termin also gleich bei Angela Merkel im Kanzleramt, um acht Uhr. Mit dabei ist auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir, er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Özdemir, wie sieht der Blankoscheck für die Kanzlerin aus, den Sie in der Tasche haben?

    Özdemir: Es gibt keinen Blankoscheck. Solange nicht in allen Punkten wir ein Ergebnis haben, ist nichts abgeschlossen für uns. Ich kann nicht für die SPD sprechen, aber ich kann für Bündnis 90/Die Grünen sprechen: Wir haben das bislang immer so gemacht. Allerdings wenn die Kanzlerin sich bewegt, dann werden wir auch nicht Nein sagen, nur weil die Kanzlerin sich auf uns zubewegt hat. Es hätte die Finanztransaktionssteuer, also den radikalen Kurswechsel der Bundesregierung, nicht gegeben, wenn wir da nicht hart verhandelt hätten. Das machen wir bis zum Schluss, am Samstag treffen wir uns nochmals mit der Kanzlerin, nachdem sie am Freitag ihren Gipfel hatte. Auf Druck von uns wird am Freitag erst im Bundestag abgestimmt und danach im Bundesrat. Sie sehen also, wir werden da bis zum Schluss alles offen lassen, denn wir wollen, weil wir die Bundesregierung ja kennen, bis zum Schluss gucken, dass wir den Druck aufrecht erhalten.

    Müller: Was meinen Sie, Herr Özdemir, damit, wir haben das immer so gemacht? Wenn wir das richtig im Kopf haben, haben Sie bislang noch nie dagegen gestimmt.

    Özdemir: Na ja! Ich meine, wenn die Bundeskanzlerin ihre Position jedes Mal revidiert und am Schluss das macht, was die Opposition fordert, dann können wir ja nicht sagen, nur weil es die Bundeskanzlerin ist, dass wir Europa vor die Wand fahren. Wir sind überzeugte Europäer und haben da kein taktisches Verhältnis zu Europa. Aber gucken Sie doch mal an, wir können ja auch gerne mal durchgehen, was die Bundeskanzlerin auf den Gipfeln jeweils beschlossen hat. Das war immer so ziemlich das Gegenteil dessen, womit sie auf den Gipfel ging. Eigentlich können Sie die Bundeskanzlerin fragen, warum sie ständig ihre Position revidiert und damit zugibt, dass sie praktisch in allen zentralen Fragen Europas immer falsch lag.

    Müller: Dann ist Angela Merkel ja nicht beratungsresistent, sondern lässt sich von Ihnen überzeugen?

    Özdemir: Leider nicht vollständig! Es fehlen ja auch noch Dinge. Beispielsweise der Altschuldentilgungsfonds, den wir dringend bräuchten, eine Bankenunion, da hat sie sich noch nicht bewegt und da halten wir den Druck nach wie vor aufrecht. Man braucht eine Antwort auf die Zinsproblematik. In einer Situation, wo wir eine Refinanzierungsquote haben in Spanien oder Italien von sieben beziehungsweise acht Prozent bei den Zinsen, da kann man nicht dagegen ansparen. Keine Regierung der Welt könnte so viel sparen, dass sie sechs oder sieben Prozent Zinsen auf zehnjährige Anleihen finanzieren können. Also muss auch die Bundesregierung sich bewegen in der Zinsproblematik und ich prophezeie Ihnen, das wird der Fall sein - vielleicht jetzt nicht beim Fiskalpakt, das werden wir sehen, aber sie wird sich in dieser Frage bewegen müssen, weil es gar nicht anders geht.

    Müller: Das hat aber mit Ihrer Zustimmung wiederum nichts zu tun.

    Özdemir: Also wir gucken uns das einzelne Ergebnis an. Ein Tabu ist weg, nämlich das Tabu, dass es kein Wachstum in Europa geben darf. Erinnern Sie sich daran: Beim letzten Mal haben sie noch gesagt, die Bundeskanzlerin, sparen, sparen, sparen, das ist jetzt weg, die Bundeskanzlerin hat erkannt, dass ihr Rezept sich offensichtlich als falsch erwiesen hat, im Fall von Spanien geradezu katastrophale Zustände hervorgerufen hat. Und jetzt reden wir darüber, dass wir die Mittel der Europäischen Investitionsbank um zehn Milliarden beispielsweise erhöhen, dadurch haben wir über die Hebelung mindestens eine siebenfache oder sechsfache Menge des Geldes. Wir reden beispielsweise auch über einen mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union, dass es da nicht Kürzungen geben darf zulasten von Struktur- oder Kohäsionsfonds, und noch viele andere Dinge, die wir da auf den Weg bringen wollen. Das Wachstumstabu ist weg, aber ich gestehe Ihnen zu: ein anderes Tabu steht nach wie vor und da verhandeln wir gerade mit der Bundesregierung, das ist das Thema, was passiert mit Zinsen, was passiert mit alten Schulden, die angehäuft sind, und was passiert mit der Bankenkrise. Wir sehen ja auch im Fall von Spanien, dass Schulden der Banken, wenn sie dann auf den Staat übertragen werden, Staaten destabilisieren können. Und es ist wie immer: Die Bundesregierung springt zu kurz, weil sie die Dimension der Krise nicht verstanden hat.

    Müller: Aber wenn Sie tatsächlich so engagiert sind, wie Sie sagen und wie Sie auch klingen, Herr Özdemir, heute Morgen zugegeben bei uns hier im Deutschlandfunk, Schuldentilgungsfonds, Eurobonds, dann Bankenunion, das sind alles ganz wichtige Punkte, die viele in Europa fordern, die die Kanzlerin nicht bereit ist einzulösen, bislang jedenfalls, warum machen Sie das nicht zur Bedingung für diese Zustimmung? Warum haben Sie Angst, nein zu sagen?

    Özdemir: Ja wir verhandeln doch bis zum Schluss. Ich habe Ihnen doch gerade eben gesagt, wir haben durchgesetzt unter härtesten Verhandlungen - ich will jetzt keine Interna verraten, aber wenn Sie da dabeisitzen würden, würden Sie sehen, dass das hauptsächlich Bündnis 90/Die Grünen ist, die da Dampf machen und Druck machen und beispielsweise die gesamte Tagesordnung des Deutschen Bundestages verändert haben, was die Beschlusslage angeht. Andere hätten auch kein Problem damit gehabt, die Bundeskanzlerin auf den Gipfel zu schicken und zu sagen, der Bundestag hat bereits zugestimmt. Die Bundeskanzlerin geht auf den Gipfel und sie kann nicht sagen, dass sie den Bundestag hinter sich hat, wegen Bündnis 90/Die Grünen. Sie muss zurückkommen, sie muss berichten, dann wird im Bundestag beraten und am Samstag muss sie sich nochmals mit uns treffen. Das hätte sie sich sicherlich anders vorgestellt, ihren Samstag zu verbringen. Und davon machen wir abhängig, was wir am Sonntag auf unserem kleinen Parteitag machen. Wir haben einen öffentlichen Parteitag am Sonntag und da wird diskutiert. Übrigens wenn ich mir diesen Tipp erlauben darf: Das würde anderen Parteien nicht schlecht zu Gesicht stehen, ihre Parteitage auch öffentlich zu machen und öffentlich über Europa zu diskutieren. Es gibt noch Diskussionsbedarf in der Gesellschaft.

    Müller: Herr Özdemir, wir haben 7:25 Uhr, wir haben nicht so viel Zeit. Ich muss mal ein bisschen schauen, auch noch ein paar Fragen los zu werden.

    Özdemir: Schade!

    Müller: Mit der Bitte, dass wir das etwas schneller und kürzer miteinander austragen können.

    Özdemir: Noch kürzer?

    Müller: Ich möchte Sie dennoch bitten, noch einmal auf die Frage zu antworten: Schuldentilgungsfonds, Eurobonds, Bankenunion haben Sie mehrfach jetzt angesprochen. Warum ist es für Sie nicht die Bedingung?

    Özdemir: ... , weil es genauso eine Bedingung ist wie die Finanztransaktionssteuer, weil es genauso eine Bedingung ist wie demokratische Beteiligungsrechte des Bundestages.

    Müller: Also ist eine Bedingung?

    Özdemir: Das sind alles Punkte, über die wir verhandeln, und dann schauen wir uns das Endergebnis an und entlang dessen entscheiden wir.

    Müller: Also die Kanzlerin muss am Samstag, letzte Beratungsrunde, unterschreiben, dass sie das alles mitträgt?

    Özdemir: Die Kanzlerin muss in entscheidenden Punkten, die für uns wichtig sind, zeigen, dass sie sich verändert hat, dass sie ihre Position revidiert. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt, dass sie das nicht nur uns auf dem Papier sagt, sondern auch in Brüssel dafür verhandelt. Ich will beispielsweise die Finanztransaktionssteuer ja nicht so formuliert haben, dass sie nie kommt, sondern sie muss kommen, und da will ich sehen, wie die Bundeskanzlerin das macht.

    Müller: Bis wann muss die kommen?

    Özdemir: Sie muss schneller kommen, als die Bundesregierung das vorhatte, möglichst bis Ende des Jahres 2012, und dafür muss sie jetzt anfangen, über die verstärkte Zusammenarbeit initiativ zu werden.

    Müller: Haben Sie Verständnis dafür, dass das noch länger dauern soll? Es wird ja mit technokratischen Argumenten teilweise hier argumentiert. Der Atomausstieg ist ja auch innerhalb von fünf Tagen beschlossen worden. Warum geht das nicht schneller?

    Özdemir: Na ja! Ich meine, auch der Fiskalpakt, den die Bundesregierung jetzt uns vorlegt, ging ja relativ zügig und da geht es um Vertragsänderungen, Verfassungsänderungen etc. Das zeigt also, wenn die Bundesregierung möchte, dann kann es offensichtlich sehr schnell in Brüssel gehen, und das wollen wir jetzt mal testen, wie das mit der Finanztransaktionssteuer geht. Da hat die Bundesregierung erst gesagt, im Europa der 27, das ist weg; dann hat sie gesagt, in der Eurozone der 17, das ist jetzt auch weg; und jetzt haben wir sie so weit, dass sie sagt, über die verstärkte Zusammenarbeit, da braucht man neun Staaten. Das ist machbar, wenn ernsthafter Wille da ist.

    Müller: Zehn Milliarden für Wachstum ist auch noch ein Stichpunkt, Sie haben das eben gesagt, für die Europäische Investitionsbank. Mit zehn Milliarden in Europa bei all diesen Problemen Wachstum zu generieren, da sagen viele, ist zwar kein Peanuts, aber ist dennoch ein Witz.

    Özdemir: Absolut! Da widerspreche ich Ihnen nicht. Das ist viel zu wenig, deshalb machen wir da auch weiterhin Druck. Wir haben die Projektbonds, wo es eine Aufstockung geben soll möglichst um eine Milliarde bis Ende des Jahres 2013, die Energieeffizienzrichtlinie, die die Bundesregierung bislang ja blockiert hat in Brüssel, da ist die Blockade ebenfalls weg, das haben wir nebenher quasi noch ausverhandelt, die Connecting Europa Facility, wo es um die Netze geht, da haben wir durchgesetzt, dass das Geld nicht, wie ursprünglich von der Bundesregierung gewünscht, in den Straßenbau geht, sondern vor allem Breitband, Bahninfrastruktur, Energienetze. Das sind die Zukunftsinvestitionen, wo es sich entscheidet, ob Europa modern aufgestellt ist. Auch da machen wir entsprechend Druck, all diese Fragen werden wir heute mit der Bundesregierung noch mal besprechen, und ich bin sehr gespannt, was sie uns zu sagen hat. Wir haben viel Zeit eingeplant.

    Müller: Noch mal ganz kurz. Wenn die zehn Milliarden bleiben und Sie sagen, das ist ein Witz, absolut, stimmen Sie trotzdem zu?

    Özdemir: Noch mal: Es hängt alles vom Endergebnis ab. Sie sind ja bei den Verhandlungen leider nicht dabei, sonst könnten Sie sich das anschauen. Aber ich kann Ihnen sagen, da wird sehr hart von uns verhandelt, und wir verhandeln das nicht, weil wir Opposition sind und die Bundesregierung ärgern wollen, um das noch mal klarzustellen. Wir verhandeln das, weil wir im Sinne von Helmut Kohl, im Sinne von Gerhard Schröder, Joschka Fischer, von Willy Brandt für Europa stehen, und diese Bundeskanzlerin ist eine sehr gute Politikerin, aber sie ist keine gute Staatsfrau. Das merkt man immer dann, wenn sie nach Europa geht.

    Müller: Heute Morgen im Deutschlandfunk der grüne Parteichef Cem Özdemir. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Özdemir: Gerne - tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.