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Offen für Vielfalt - Zukunft der Kultur

"Deutschland wird deutscher" so hieß ein Kunstwerk von Astrid Klein, das nach der Wende vor 20 Jahren Furore und auch ein bisschen Sorge machte. Und heute? Auf dem Bundesfachkongress stellte man fest: Interkulturell läuft es gut in Deutschland, die Diskussion läuft jedoch falsch.

Von Karin Fischer |
    Die gute Nachricht lautet: Deutschland ist im interkulturellen Feld schon längst viel weiter als es die Integrationsdebatte vermuten lässt. Die schlechte Nachricht: Diese Diskussion läuft falsch, schürt Ressentiments und wird das Land alles andere als zukunftsfähig machen, darüber sind sich die beruflichen Macher an der Basis einig. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu teilte trotzdem nach allen Seiten aus:

    "Den Hysterikern droht von jedem nicht einheimischen Kulturartikel Infektionsgefahr. Sie sehen in der fremden Sprache ein Eingliederungshemmnis. Die Enthusiasten verweisen auf die Formel 'Vielfalt statt Einfalt'. Das taugt vielleicht als Motto bei einer Cocktailparty, nährt aber bei den wenig gebildeten Menschen den Verdacht, man wolle sie verhöhnen. Schließlich schicken sie ihre Kinder auf Schulen und Internate mit wenig Ausländeranteil. Endlich sind wir beim Kern des Problems: wo gute soziale Politik fehlt, verwildern die Sitten."

    Klaus Schäfer, Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, formulierte es positiv:

    "Deutschland hat kein Ausländerproblem, sondern wir stehen vor der Aufgabe, die ethnische Vielfalt seiner Staatsbürger als Normalfall zu betrachten und entsprechen zu agieren. Es kann auch nicht nur darum gehen, vermeintlich Bildungsdefizite auszumachen und zu beheben. Entscheidend ist, kulturelle Vielfalt als Chance zu nutzen und zu sehen, Vielfalt macht uns reich."

    Das weiß man im Ruhrgebiet, wo 5,3 Millionen Menschen aus 171 Nationen leben. Das Bochumer Schauspielhaus hat im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres mit Jugendlichen über Zukunft nachgedacht. Der Dramaturg Thomas Laue über das Projekt "Next Generation":

    "Wir haben also im gesamten Ruhrgebiet neun "Zukunftshäuser" errichtet und gesagt, ihr könnt da für ein Jahr arbeiten, wir geben euch Infrastruktur, aber auch Künstler, Wissenschaftler, die ihr nutzen könnt, und dabei sind ganz unterschiedliche Projekte entstanden so unterschiedlich wie die Stadtteile in die wir gegangen sind. Denn es geht nicht darum, die nächste theaterkompatible Randgruppe über die Bühne zu jagen, sondern Verbindungen zu schaffen."

    Ein Film im Opel-Werk, eine Gruppe, die Geschichten sammelt als "Gedächtnis des Ruhrgebiets", ein "Weltweit-Eigenheim mit eigener Verfassung" oder ein Musikprojekt mit eigenem Label entstehen da, und am Ende doch noch ein Theaterstück:
    Musik O-Ton

    Vertreter der "Interkultur", der "Kultur im Zwischen", wie eine Formulierung von Mark Terkessidis lautet, halten die Idee der Integration überhaupt für überholt. Es geht längst nicht mehr nur um neues Publikum für alte Kulturinstitutionen. Es geht um Interaktion und Dialog, um gesellschaftliche Ermächtigung auf beiden Seiten. Das Amsterdamer Institut "Imagine Identity and Culture" ist Vorbild und Vorläufer solcher Ansätze. Direktorin Malous Willemsen:

    "Das Interesse für die Geschichten älterer Migranten hat sich verbreitert hin in Richtung auf die großstädtische Bevölkerung, wie Unternehmer und vor allem auch Jugendliche, deren Sicht wir als "sneak preview" auf die Zukunft betrachten. Wir sammeln ihre Geschichten als Erbe der Zukunft. Methodisch entwickelt es sich zunehmend hin zu mehr street art und Kunst, indem Künstler ihre eigenen Perspektiven hinzufügen."

    Zuvor aber müssen noch viele Vorurteile abgebaut und viele Falschinformationen aus der Welt geschafft werden. Zuletzt hatte die Tagesschau wieder mit jener Statistik gearbeitet, die besagt: 45,6 Prozent der deutsch-türkischen Bevölkerung hat keinen Schulabschluss. Da fühlt man den IQ in Deutschland ja fast körperlich sinken. Wahr ist: die Zahl umfasst die gesamte türkische Bevölkerung - nicht etwa jene, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben. In Bezug auf unsere demographische Zukunft lügt sie. Wie Fernsehbilder lügen können. Marjan Parvand, iranischstämmige Redakteurin bei ARD-Aktuell, mit dem aktuellen Beispiel eines Hintergrundbildes - und, dass die ARD imstande ist, sich selbst zu korrigieren:

    "Da gab es immer diese Illu im Hintergrund, mit zwei Frauen mit Kopftüchern, die von hinten zu sehen sind und Einkaufstaschen in der Hand haben mit ein paar Kindern drumrum und darüber stand: Zuwanderung. - Ja. Und diese Illu wurde gelöscht, händisch gelöscht. Aber es war ein Kampf."