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"Offen Politik machen"

Nach Einschätzung Antje Hermenaus hat die Fusion mit dem ostdeutschen Bündnis 90 die Grünen verändert. "Ich glaube schon, dass wir den West-Grünen geholfen haben, von den Bürgerlichen im Lande etwas seriöser wahrgenommen zu werden", sagte Hermenau, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen im sächsischen Landtag.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: "Alle reden von Deutschland - wir reden vom Wetter." Dieser Slogan damals 1990 im Wahlkampf war eine bewusste Provokation mit einem bitteren Ende für die Grünen: Man verpasste den Wiedereinzug in den Bundestag. In den neuen Ländern dagegen schaffte die Sammelbewegung der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung unter dem Namen Bündnis 90 den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Es folgten lange Debatten und zähe Verhandlungen, ehe heute vor 15 Jahren, am 14. Mai 1993, die Fusion perfekt gemacht wurde. Seither werben Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam um Wähler - allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

    Während in den meisten alten Ländern sich die Partei längst fest etabliert hat, fristet sie im Osten mit Ausnahme des Freistaates Sachsen ein Schattendasein. Auch 15 Jahre nach der Vereinigung haben es die Grünen im Osten nach wie vor schwer, und darüber möchte ich jetzt reden mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im sächsischen Landtag. Antje Hermenau. Guten Morgen nach Dresden!

    Antje Hermenau: Guten Morgen!

    Heinlein: Warum ist der Osten schwarz und rot, aber nur so wenig grün?

    Hermenau: Na ja, nach der Wende gab es eine starke Deindustrialisierung. Da wurde automatisch sehr schnell Luft und Wasser besser, und deswegen haben viele Leute gedacht, jetzt geschieht ja endlich was im Bereich Umwelt. Dabei war es eigentlich nur die flächendeckende Schließung aller Dreckschleudern und Firmen. Aber ich glaube, dass wir jetzt in einem Zustand sind, 20 Jahre nach der Wende, wo wir merken, ja, die Leute wollen auch noch was anderes im Leben als nur die Diskussion über Arbeitsplätze. Da sind die Argumentationen von der Linken und von der CDU auch zu kurz.

    Heinlein: War es rückblickend betrachtet ein Fehler, dass die Grünen im Osten sich jahrelang mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit beschäftigt haben, anstatt tatsächlich der neuen sozialen Realität nach der Wiedervereinigung sich zu widmen?

    Hermenau: Es war emotional menschlich nicht anders möglich, als sich erst einmal mit dem Regime zu beschäftigen, das einem versucht hat, das Rückgrat zu brechen. Da kann man sagen, es gab den falschen Zeitpunkt oder nicht; das spielt keine Rolle. Die Menschen, die darunter gelitten haben, haben das gebraucht. Das war nötig.

    Die sozialen Themen sind ja nicht erst mal ursprüngliche oder ursächliche Anliegen der Grünen. Das haben sich die Grünen ja erst im Laufe der Jahre hart erarbeitet. Jetzt verbinden wir sozusagen die Fragen von Klimaschutz und Umwelt mit den Fragen der Sozialpolitik und auch der Wirtschaftspolitik. Und es hat gedauert, das alles zu begreifen und miteinander zu verbinden.

    Heinlein: Ist denn heute noch das Erbe der Bürgerrechtsbewegung in Ihrer Partei zu spüren?

    Hermenau: Aber in der Tat! Natürlich! Das habe ich beim Wiedereinzug der sächsischen Bündnis-Grünen gemerkt in den Landtag 2004. Da gab es eine Reihe von Leuten, die sich zum Teil mit unseren Leuten schon seit 1990 kennen, von Runden Tischen und so weiter. Es gibt einen gewissen Respekt, der uns entgegengebracht wird, der auch damit zu tun hat, dass wir bestimmten Idealen immer noch folgen und das nicht aufgegeben haben in der Zeit nach der Wende. Natürlich sind Anknüpfungspunkte da in verschiedenen Parteien - sicher!

    Heinlein: Und warum gelingt es dann nicht, dieses von Ihnen genannte Erbe der Bürgerrechtsbewegung politisch zu nutzen, in Wahlerfolge umzumünzen?

    Hermenau: Wissen Sie, die Bewegung nach der Wende, oder die zur Wende stattfand, war ja eine Bewegung für den Moment. Da ging es darum, die DDR abzuwickeln oder zu verändern. Das war damals noch eine unterschiedliche Motivlage - nicht ganz eindeutig. Deswegen gab es da einen wichtigen politischen Zeitpunkt, aber der ging auch schnell vorbei. Und dann begann natürlich die Frage: Was bauen wir jetzt stattdessen auf? Da hat man erst mal beispielsweise in Sachsen der CDU vertraut und Herrn Biedenkopf. So nach und nach merkt man jetzt, dass der Nachbau West nicht in die Zukunft führt. Deswegen kommen unsere Rezepte jetzt auf einmal wieder ins Blicklicht.

    Heinlein: Aber werden Bündnis 90/Die Grünen tatsächlich im Osten vielleicht immer noch als Westimport wahrgenommen, als westdeutsche Partei, die an der Lebenswirklichkeit in den neuen Ländern vorbeiagiert?

    Hermenau: Nein, das ist durch. Das erleben Sie an mir. Erstens spreche ich ja nun deutlich erkennbar Sächsisch, und das wissen meine Landsleute auch zu schätzen, wenn jemand mal das Grundgesetz nicht auf Schwäbisch erklärt, sondern auf Sächsisch - und das mit Leidenschaft, denn ich vertrete das Grundgesetz leidenschaftlich und gerne. Auf der anderen Seite haben wir ja eben genau diese Programmarbeit geleistet, dass wir sagen, wir wollen nicht nur einen stupiden Nachbau West machen, um dann irgendwann mal so zu sein wie die Bundesrepublik alt in den 80er Jahren - das ist ja nicht die Zukunft, sondern wir wollen etwas Eigenes aufbauen. Das findet bei den Menschen durchaus Anklang.

    Heinlein: Dennoch: Es ist ja keine Vereinigung und keine Partei auf Augenhöhe: bis heute fast 40.000 West-Grüne und nur rund 2500 Bündnis-Mitglieder im Osten. Hat man immer noch das Gefühl, dass die Partei geschluckt wurde von den West-Grünen?

    Hermenau: Nein. Da waren schon die Persönlichkeiten, die das damals ausgehandelt haben, zu sperrig dafür, um einfach geschluckt zu werden. Wir gehen nicht so einfach runter wie Öl.

    Auf der anderen Seite ist es so, dass der Ostdeutsche an sich sich auch nicht so gerne an eine Partei bindet. Die SPD in Sachsen, ein Land mit vier Millionen Einwohnern, hat 5000 Mitglieder. Der Ossi an sich geht nicht so gerne in eine Partei.

    Heinlein: Stimmt denn die Unterscheidung, die lange gemacht wurde, da die linke Sponti-Partei im Westen und dort im Osten bei Ihnen eher die wertkonservative Bürgerrechtspartei?

    Hermenau: Das war sicherlich nach der Wende noch stärker der Fall als jetzt. Es hat Ausdifferenzierungen gegeben. Es sind ja einzelne Leute auch stark erkennbar zur CDU oder zur SPD gegangen oder haben sich ganz zurückgezogen. Es gibt auch viele aus der Bürgerbewegung, die gesagt haben okay, wir hatten unseren historischen Moment, und jetzt lebe ich wieder ein anderes Leben. Es gibt auch einige Leute, die stehen immer in Opposition zum System, egal welches System gerade dran ist. Aber es gibt auch viele, die sich bei uns gehalten haben, und ich glaube schon, dass wir den West-Grünen geholfen haben, von den Bürgerlichen im Lande etwas seriöser wahrgenommen zu werden. Das halten wir auch für ein großes Verdienst unserer Seite, weil wir nämlich offen Politik machen und nicht immer in einem Lager sich einfach verklemmen lassen, sondern wir sagen ja, dann gucken wir, was wir gemeinsam hinkriegen. Ist es das Wert, oder ist es das nicht Wert? Diese doch eher öffnende Debatte in die Spektren der Bevölkerung hinein ist, glaube ich, eine Qualität von Bündnis 90.

    Heinlein: In Hamburg, Frau Hermenau, erleben wir seit einigen Tagen die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene. Wenn ich Sie richtig verstehe in Ihrer letzten Antwort, ist das ein Modell, das Sie sich auch durchaus für Sachsen, für die neuen Länder vorstellen können.

    Hermenau: Da muss man einfach gucken, was geht mit den Leuten vor Ort und wie ist die Themenlage. Wir haben hier in Sachsen ganz konkret eine CDU, die offensichtlich oder hoffentlich gerade im Umbruch ist. Die hat hier lange durchregiert. Da hat man auch gar nicht gemerkt, dass die letzten Jahre die SPD mit an der Regierung war. Und ob die sich ändern können, so dass man aufeinander zugehen kann thematisch, das hängt jetzt bei uns in Sachsen, glaube ich, stärker an der CDU als bei uns. Wir haben bestimmte Pläne für Sachsen, was wir gerne wollen in den nächsten 15, 20 Jahren, und da kann man sich ja drüber unterhalten. Diese Diskussion findet aber von Seiten der CDU zurzeit noch nicht statt.

    Heinlein: Wenn Sie jetzt auch den Ball an die CDU weiterspielen, die Frage einer möglichen Koalition Schwarz-Grün in Sachsen, in den neuen Ländern muss die Partei, muss Ihre Partei letztendlich aber doch selber beantworten?

    Hermenau: Ja, aber die steht zurzeit eigentlich nicht wirklich an. Die CDU kann hier zwischen mehreren Partnern wählen, und da wäre die kulturelle Differenz zu uns offensichtlich noch die größte. Sie scheint die SPD vorzuziehen, sie scheint die FDP vorzuziehen. Das ist ihr gutes Recht. Aber da muss ich mir jetzt keine Kopfschmerzen über etwas machen, was die CDU sowieso gar nicht anstrebt.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk die Grünen-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Antje Hermenau. Frau Hermenau, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Dresden.

    Hermenau: Sehr gerne. Tschüß.