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Offene Führungsfragen in der CDU

Gerner: Bis vor wenigen Tagen waren sich Demoskopen relativ einig: Die CDU-Mehrheiten in den Bundesländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo im März neue Landtage gewählt werden, sind sicher. Inzwischen fallen die Urteile zurückhaltender aus. Der Grund: Offene Führungsfragen in der CDU. Dazu begrüße ich am Telefon Heiner Geißler, für die CDU im Bundestag und ehemaliger Generalsekretär. Guten Morgen.

    Geißler: Guten Morgen Herr Gerner.

    Gerner: Herr Geißler, in den ARD-Tagesthemen hat gestern der Kommentator, der der Union nahe steht, gesagt: 'Liebe Bundesregierung, Sie brauchen sich nicht zu sorgen; von der Opposition haben Sie in diesen Tagen nichts zu befürchten'. Teilen Sie diesen Befund?

    Geißler: Den Befund teile ich nicht. Solche Diskussionen haben wir in der Mitte der Legislaturperiode immer wieder gehabt. Es war früher bei der SPD ähnlich, und ein Jahr später, ein halbes Jahr später oder gar eine Woche später hat die Sache schon wieder anders ausgesehen.

    Gerner: Trotzdem - woher kommt die alarmierte Stimmung, die jetzt quer durch die Landesverbände geht in Ihrer Partei? Ist die Doppelspitze, um die es jetzt geht, die optimale Lösung?

    Geißler: Also, ich glaube, dass es um etwas ganz anderes geht. Man muss die Diskussion vom Kopf wieder auf die Füße stellen. In dieser Kanzlerkandidatenfrage braucht die Union zunächst einmal einen Fahrplan. Das heißt, man muss sich doch Gedanken machen über das Verfahren. Und wir wollen ja einen neuen Anfang machen nach den Jahren, die zurückliegen. Und das wäre zum Beispiel dadurch zu ermöglichen, dass man über die Gremien nachdenkt - wer denn den Kandidaten oder die Kandidaten nominiert. Das kann von einer Befragung der Mitglieder anfangen - bis hin zu einer gemeinsamen Delegiertenkonferenz der CDU/CSU. Das halte ich für viel wichtiger, als ständig diese Spekulationen um Personen, die ohnehin nicht so sehr wichtig sind für eine Bundestagswahl, wie immer wieder getan wird. Die Bundestagswahlen sind bisher immer Richtungsentscheidungen gewesen und keine Entscheidungen über Kanzler.

    Gerner: Das Problem ist doch aber auch, Herr Geißler, 'dass sowohl Merz wie Merkel nach allgemeiner Einschätzung gleichermaßen entschlossen die Kanzlerkandidatur anstreben' - schreibt Karl Feldmeyer heute in der FAZ; und der ist nahe an der Union dran. Mithin: Da rasen zwei Züge aufeinander. Kann das so weitergehen?

    Geißler: Es rasen nur zwei Züge aufeinander, wenn man sich über das Verfahren nicht einig ist, das heißt, wenn es keine Gleise und keine Weichenstellungen gibt. Nur dann gibt's ein Unglück. Deswegen sage ich ja: Es muss zunächst einmal darüber diskutiert werden, wie das Verfahren ist, wie der Kandidat oder die Kandidatin nominiert werden soll. Dann wird die Diskussion auch sehr schnell in eine sachliche Richtung gebracht. Und außerdem wird sich dann sehr schnell herausstellen, dass derjenige oder diejenige die beste Chancen haben, die das tun, was eine Bundestagswahl bedeutet - nämlich den Leuten klarzumachen, welche Richtung, welche politische Perspektive gewählt werden soll. Das ist für die Leute entscheidend, wenn es zur Bundestagswahl kommt. Und da gibt es ja nun genügend Themen.

    Gerner: Wie beurteilen Sie denn das Verhältnis Merz - Merkel im Moment?

    Geißler: Das kann ich nicht beurteilen, ich bin ja nicht dabei.

    Gerner: Aber Sie hören viel und Sie sehen sie ja auch . . .

    Geißler: . . . aber ich beteilige mich nicht an der ständigen Kolportage in bestimmten Zeitungen.

    Gerner: Fehlt Angela Merkel das Machtbewusstsein möglicherweise? Merz hat mit seinem Zitat, jeder Fraktionschef sei prinzipiell ein Kanzlerkandidat, ja Profilierung auf ihre Kosten betrieben.

    Geißler: Ja, das ist wieder eine Frage in dieselbe Richtung. Ich soll Personen bewerten, und das mache ich nicht. Dann würde ich ja genau den Fehler machen, der meines Erachtens der jetzigen Auseinandersetzung zugrunde liegt. Jeder hat seine Aufgabe, und die soll er erfüllen, und zwar möglichst gut. Und es kommt in der Tat darauf an, dass man die für die Union wichtigen entscheidenden Sachprobleme erarbeitet. Und dazu gehört zum Beispiel etwas, was Angela Merkel angestoßen hat: Eine Diskussion um eine neue soziale Marktwirtschaft . . .

    Gerner: . . . aber das ist ja bisher wenig mit Inhalten gefüllt worden . . .

    Geißler: . . . ja, aber das muss man jetzt eben weiterentwickeln. Wir müssen uns auf die ethischen Grundlagen einer Gesellschaft besinnen, die eher gekennzeichnet ist durch einen Tanz um das goldene Kalb. Wir haben die Probleme der Globalisierung - mit den Folgen auf unserem Arbeitsmarkt. Wir erleben zur Zeit die Entlarvung falscher Propheten und falscher Vorbilder, wie zum Beispiel dem amerikanischen Modell. Man könnte zum Beispiel die Initiative ergreifen in einer geistigen Auseinandersetzung und den Menschen sagen, dass es nicht auf die Vermehrung der Haare, sondern auf die Verminderung der Wünsche ankommt. Aber stattdessen wird eine Spaß- und Fressgesellschaft propagiert, die von den Leuten in der Mehrheit nicht akzeptiert wird . . .

    Gerner: . . . wir kommen ein bisschen ab vom Thema 'Unionführungsspitze'. Angela Merkel war ja bisher bekannt für politisches Gespür. Damit hat sie auch den Übergang von der Kohl-Ära geschafft und ist ins Amt gekommen. Die Plakataktion jetzt hat dieses Bild erschüttert. Hat der Instinkt von Angela Merkel da versagt?

    Geißler: Ach nein, verstehen Sie: Sie wollen jetzt immer von mir irgendwelche Urteile haben über irgendwelche Personen. Das werde ich nicht machen.

    Gerner: Nun, diese Plakataktion ist ja allgemein als Geschmacklosigkeit - in Ihrer Partei und auch außerhalb - empfunden worden und ist mithin ja eine Führungsfrage, weil sie das Thema 'Rente' anspricht und wie man damit umgeht.

    Geißler: Ja, natürlich sind solche Dinge immer ein Diskussionspunkt. Aber sie verblassen doch im Grunde genommen gegenüber dem, was heute diskutiert werden muss und was die entscheidenden Fragen in unserer Gesellschaft sind. Die Sache ist ja nun aus dem Verkehr gezogen, und da muss auch mal ein Ende sein.

    Gerner: Das Negativbeispiel der Doppelspitze Schröder - Lafontaine gibt Ihnen nicht zu denken?

    Geißler: Nun, es hat andere Bespiele gegeben, die - zugegebenermaßen - auch schwer zu händeln waren. Denken Sie an die Zeit des Triumvirates von Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Das war eine Zeit, in der die Sozialdemokraten relativ erfolgreich gearbeitet haben in den 80er Jahren. Gut, da sind die Sozialdemokraten aus der Opposition nicht rausgekommen, da hatten wir aber unbestritten Willy Brand als Parteivorsitzenden bei der SPD und wechselnde Fraktionsvorsitzende, lange Zeit Jochen Vogel. Also, es kommt ein bisschen auf die Leute an, nicht wahr. Wir brauchen halt Menschen mit Format, die in der Lage sind, in einer solchen Übergangszeit eben auch ihre Aufgaben optimal zu erfüllen.

    Gerner: Sollten die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für die CDU nicht erwartungsgemäß - sprich negativ - ausgehen, müsste dann die Frage nach der Doppelspitze neu gestellt werden?

    Geißler: Ich glaube, die Doppelspitze hat für den Ausgang der Wahlen relativ wenig zu tun. In Baden-Württemberg geht es um die CDU, um Erwin Teufel. Der hat die besten Chancen, und da darf man sich jetzt durch ein bisschen Stimmungstief im Moment nicht deprimieren lassen.

    Gerner: Also unter dem Strich alles in Ordnung in der Union, Herr Geißler?

    Geißler: Nein, das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe ausdrücklich eingefordert, dass wir uns jetzt auf einen Fahrplan konzentrieren und dass wir uns über die Richtung unterhalten müssen, die wir einschlagen müssen - über die Perspektiven. Das ist das, was zu tun ist.

    Gerner: Heiner Geißler war das, der ehemalige Generalsekretär der CDU und für die Union im Bundestag. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Geißler: Ja, Dankeschön.

    Link: Interview als RealAudio