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Offener Schlagabtausch in der IG Metall-Spitze

Simon: Am Telefon ist nun Carmen Bahlo, ehrenamtliches Mitglied im IG Metall-Vorstand und Betriebsratsvorsitzende von ZF Getriebe GmbH Brandenburg. Guten Tag, Frau Bahlo.

    Bahlo: Guten Tag, Frau Simon.

    Simon: Die ZF Getriebe GmbH war ja einer der Betriebe, die im gescheiterten Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche bestreikt wurden. Wir haben gerade gehört, etliche Ihrer Vorstandskollegen in der IG Metall fordern den Rücktritt der Verantwortlichen, sogar den Rücktritt des Vorstandes. Sie auch?

    Bahlo: Nein, wir hier in Berlin, Brandenburg und Sachsen sind der Meinung, dass wir es erst einmal gründlich aufarbeiten müssen. Der Schock sitzt gerade bei den Kollegen, die gestreikt haben, besonders tief. Sie fühlen sich am meisten verraten, weil es nur eine Personaldiskussion gibt und überhaupt keine inhaltliche Diskussion, keine Perspektiven da sind für die Kollegen, wie es hier weitergehen soll. Darüber ist die Wut besonders hoch nach dieser Enttäuschung.

    Simon: Das heißt, Sie werden morgen bei der Vorstandssitzung auf eine inhaltliche Diskussion drängen?

    Bahlo: Genau, wir müssen auf eine inhaltliche Diskussion drängen. Ich denke, das ist ganz stark angebracht, denn es entsteht überall der Eindruck - der auch schon vorhanden ist -, dass es nur eine Tarifrunde von Herrn Peters und Herrn Düvel war und der Rest sich ganz dezent zurückgehalten hat. Wenn dem so wäre, wäre das auch ein Skandal. Eigentlich habe ich das bisher so verstanden, dass der komplette Vorstand dahintersteht und es nicht nur zwei Mitglieder aus diesem Gremium sind, die das zu verantworten haben.

    Simon: Haben Sie das Gefühl, einige aus dem Westen, besonders aus bestimmten Bezirken, die vorher noch bei der Strategie mit dabei waren, ziehen sich da jetzt ganz vornehm zurück?

    Bahlo: Ja, sicher. Wir hatten auch nicht geplant, dass es nur eine Tarifrunde für Berlin, Brandenburg und Sachsen gibt, sondern für den kompletten Osten. Es kam aus einigen Gebieten - Thüringen, Sachsen-Anhalt und Küste - schon immer hoch, dass es dort schwieriger sein würde. Es war aber jedem von uns klar, dass wir die Kollegen aus den Restteilen von Ostdeutschland mitziehen müssen, dass es keinen Sinn macht, hier eine alleinige Runde zu machen. Für uns war aber auch klar, dass man dort schon mit Unterstützung rechnen muss. Sie waren ja auch in den Verhandlungen mit zugegen. Wenn jetzt plötzlich der Schuldige nur in Berlin/Brandenburg oder nur Jürgen Peters gesucht wird, ist das schon ein bisschen einfach. Dann machen es sich alle sehr einfach.

    Simon: Wenn wir das mal an einem konkreten Beispiel festmachen: Der bayerische IG Metall-Chef Werner Neugebauer hat ja heute Morgen in diesem Programm schwere Vorwürfe gemacht und gesagt, abgesprochen gewesen sei, dass die Streiks befristet werden, dass die Zulieferungen vor allem in den Westen nicht gefährdet werden würde, und daran hätten sich die Streikführer aus dem Osten, hätte sich auch Jürgen Peters nicht gehalten und damit letztendlich die Stimmung in Westdeutschland auch zum Kippen gebracht. Ist das falsch?

    Bahlo: Ich denke, das Ziel war auch nicht vorrangig, in erster Linie die Fernwirkung auszulösen. Der Streik ging ja in Sachsen vier Wochen. Die Fernwirkungen sind ja nicht von Anfang an ausgelöst worden. Es war nicht die erste Strategie, Fernwirkungen auszulösen. In der Vorstandssitzung am 16. Juni ist darüber aber bereits diskutiert worden, dass es auch zu Fernwirkungen kommen kann. Sie sind auch nicht ausgeschlossen worden.

    Simon: Damals haben alle gesagt, das ist in Ordnung so?

    Bahlo: Es war eine kontroverse Diskussion. Es ist aber auch keine Entscheidung in diesem Vorstand gefallen, dass es nicht zu Fernwirkungen kommen kann. Ein Streik muss nach meiner Erkenntnis ja auch steigerungsfähig sein. Die Steigerung liegt wahrscheinlich bei den wenigen Ostbetrieben dann auch darin, dass man eine Fernwirkung nicht ausschließen kann. Die Kollegen aus Westdeutschland sind ja auch mit Flugblättern, die Anfang Juni herausgegeben wurden, auf eine Fernwirkung hingewiesen und vorbereitet worden. Es kann sich ja jetzt niemand hinstellen und sagen: Die Fernwirkungen sind völlig vom Himmel gefallen. Man kann in einem so wenig industrie-besiedelten Teil wie Ostdeutschland nicht davon ausgehen, dass man in 16 Betrieben, die noch dazu eine verlängerte Werkbank von Westkonzernen sind, einen Streik ohne Fernwirkung führen kann. Wie viele Jahre lange hätte der denn dauern sollen?

    Simon: Das heißt aber dann am Ende, dass es zwischen IG Metall West und IG Metall Ost und den Arbeitern selber keine Solidarität mehr gibt.

    Bahlo: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Wir haben sehr starke Solidaritätsbekundungen aus unserem eigenen Konzern - sie haben auch Fernwirkung gehabt - bekommen. Dort hat man gesagt: Gut, man macht Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber, man nimmt erst einmal Zeitkonten weg. Dort ist auch nicht gleich das Totschlagsargument gekommen: Ihr müsst den Streik abbrechen, weil wir hier eine Fernwirkung abbekommen. Überhaupt nicht. Im Konzern selber konnte ich das überhaupt nicht feststellen. Wir haben auch viele andere Solidaritätsbekundungen per Email, per Telefon oder direkt vor Ort erhalten. Da kann ich das nicht so pauschal sagen, dass der Westen uns in den Rücken gefallen ist. Einige haben uns mit ihren Äußerungen in den Medien überhaupt keinen Gefallen getan, gerade - das ist ja bekannt - der GBR-Vorsitzende von Opel oder auch von DaimlerChrysler. Im Großen und Ganzen aber kann ich das so nicht teilen, dass es überhaupt keine Solidarität gegeben haben soll.

    Simon: Frau Bahlo, morgen, haben Sie gesagt, muss es erst einmal eine Sachdiskussion und keine Personaldiskussion sein. Wenn sich das jetzt aber hinzieht über Monate mit einem im Amt bleibenden Hasso Düvel und einem designierten Vorsitzenden Jürgen Peters, der nicht abtritt, bringt das nicht die IG Metall so dermaßen in die Schlagzeilen die ganzen nächsten Monate, dass es die Gewerkschaft eigentlich kaputtmacht?

    Bahlo: Ich denke mal, wenn diese Personaldiskussionen bis zum Gewerkschaftstag im Oktober weitergehen würden, brächte uns das ziemlich in die Bredouille. Deswegen glaube ich auch, dass man da einen Schlussstrich ziehen muss. Ob das nun ein Rücktritt oder eine Abwahl oder was auch immer sein muss, mag dahingestellt sein. Ich glaube nicht, dass, wenn man da zwei Personen köpft, da die ganze Personaldiskussion ...

    Simon: ... also der ganze Vorstand?...

    Bahlo: Vielleicht ist ein vorgezogener außerordentlicher Gewerkschaftskongress ja wirklich die Lösung. Das weiß ich noch nicht. Es ist aber mein persönliches Empfinden, dass das vielleicht am ehesten hilft. Man muss ja auch die Delegierten zu Wort bitten und hören. Das kann ja nicht alleine der Vorstand entscheiden.

    Simon: Das war Carmen Bahlo, ehrenamtliches Mitglied im IG Metall-Vorstand und Betriebsratsvorsitzende von ZF Getriebe GmbH in Brandenburg. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Bahlo: Bitte. Danke schön.