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Offenes Bein
Wie chronische Wunden wieder geschlossen werden

Manchmal können Wunden ganz schön hartnäckig sein, aber spätestens nach zwei oder drei Wochen sind die meisten dann doch verheilt. Speziell am Unterschenkel aber können Wunden entstehen, die sogar nach Monaten noch da sind. Ein sogenanntes offenes Bein ist entstanden.

Von Thomas Liesen | 05.05.2015
    Ein Krankenpfleger in einem deutschen Krankenhaus (Symbolfoto)
    Eine Wunde sollte immer von einem Spezialisten behandelt werden. (imago stock&people)
    "Haben sie Schmerzen in der letzten Zeit gehabt?"
    "Nein."
    "Das ist sehr schön, dann packe ich jetzt das Bein einmal aus."
    Venenzentrum der Uniklinik Bochum. Wundschwester Christiane Schiff löst vorsichtig den Verband am linken Unterschenkel des Patienten. Der 76-Jährige hat schon seit geraumer Zeit eine unangenehme Wunde über der Ferse.
    "Das hat irgendwie angefangen, wie so ein Pickel. Und dann ist das größer geworden und wollte nicht mehr heilen."
    Eine chronische Wunde, im Volksmund offenes Bein genannt. Der Durchmesser war zu Beginn der Behandlung über fünf Zentimeter groß, die Wunde nässte ständig, die Wundränder waren entzündet und sehr schmerzempfindlich. Doch mittlerweile ist alles auf den Weg der Besserung.
    "Wir machen dann das Prozedere wie sonst, das heißt ich gucke mir ihre Wunde an, werde die Wunde ausmessen und ein Foto von der Wunde machen und dann den Arzt dazu rufen."
    Der Vergleich mit Fotos aus den letzten Wochen zeigen, dass sich die Wunde bereits deutlich verkleinert hat. Auch die Rötung der Wundränder ist verschwunden. Der Arzt Prof. Markus Stücker ist nun dazu gekommen.
    "Das ist ja hier eine ungünstige Stelle da über der Achillessehne, da heilt es häufig sehr langsam, von daher ist es sehr erfreulich, wie sich das hier entwickelt hat. Den Kompressionsstrumpf können sie gut tragen?"
    "Einmal anpacken, hochziehen, passt. Fertig."
    Der Kompressionsstrumpf, auch Stützstrumpf genannt, ist hier der entscheidende Teil der Therapie. Denn wie sich bei den Untersuchungen herausgestellt hat, leidet der Patient schon seit längerer Zeit unter einer verengten Vene im Unterschenkel.
    "Deshalb staut sich das verbrauchte, sauerstoffarme Blut und der Kompressionsstrumpf hat jetzt die Funktion, mit einem erhöhten Druck das verbrauchte Blut aus dem Bein herauszupressen."
    Denn ein Blutstau im Unterschenkel – das ist die eigentliche Ursache für die meisten offenen Beine. Man kann die einmal entstandene Wunde noch so sorgfältig wickeln, säubern oder mit Salben versorgen – die Wunde bleibt, solange der Blutstau bleibt. Er verursacht einen zu hohen Druck im Bein.
    "Ein erstes Zeichen sind beispielsweise kleine Schnürfurchen im Bereich der Unterschenkel von Socken, die man trägt. Das setzt sich dann weiter fort durch Veränderung des Hautgewebes und der Unterhaut, bis dann eben so ein Bein mehr oder weniger platzt."
    Dr. Horst-Peter Steffen, Chefarzt der Capio Klinik in Hilden. Daher gilt als Grundsatz bei der Behandlung von offenen Beinen: Parallel zur Versorgung der Wunde muss getestet werden, wie es um die Durchblutung im Bein steht. Das ist heute unkompliziert mit Hilfe eines besonderen Ultraschallgeräts möglich, so auch im Venenzentrum der Uni Bochum.
    "Drehen sie sich bitte einmal um, ich gucke mir das Bein jetzt noch von hinten an."
    Markus Stücker untersucht einen weiteren älteren Patienten. Während er den Ultraschall-Kopf über dessen Unterschenkel führt, beobachtet er den angeschlossenen Bildschirm. Die Umrisse der Blutgefäße zeichnen sich ab. Das Besondere am Gerät ist: Es verleiht den Gefäßen unterschiedliche Farben, je nachdem in welche Richtung das Blut darin fließt.
    "Die blaue Farbe steht für einen regulären Blutfluss von unten nach oben, wenn wir jetzt einen roten Blutfluss sehen würden, insbesondere in Form eines Farbwechsels von blau nach rot in einer Vene, würde das bedeuten, dass das Blut nicht nur ordnungsgemäß von unten nach oben abfließt, sondern auch von oben nach unten direkt wieder zurück fließt. "
    Und das bedeutet: Blutstau. Häufigste Ursache sind Krampfadern. Manchmal reicht es dann schon, Stützstrümpfe zu tragen, um die Venen und die umliegende Haut zu entlasten. In der Regel müssen Krampfadern aber herausoperiert oder durch Verödung verschlossen werden. Der Blutstrom verteilt sich dann auf die zahlreichen anderen Venen des Beines und dadurch verschwindet auch der Blutstau. So wie bei einer älteren Patientin, die ihr offenes Bein bei Horst-Peter Steffen in der Hildener Venenklinik behandeln lässt. Ihr wurde zunächst eine krankhaft veränderte Vene im Bein entfernt. Jetzt begutachtet der Arzt den Verlauf der Wundheilung.
    "So jetzt schauen wir praktisch auf den angelegten Vakuumverband, das lösen wir jetzt, nehmen den Verband ab."
    "Wir sind mit dem Ergebnis, was wir jetzt sehen, durchaus zufrieden, die Wundgröße generell hat sich seit Anfang der Behandlung ein Drittel verkleinert. Wir sehen eine reizlose Wunde, die an den Wundrändern keine Zeichen mehr von abgestorbenem Gewebe hat. Ich denke, wir sollten noch ruhig eine Woche diesen Verband dran lassen und dann kann man denke ich in einer Woche die Patientin auch Richtung Köln entlassen."
    Nach wie vor versuchen aber zu viele Patienten, die Wunde selbst über Monate oder sogar Jahre in den Griff zu bekommen. Und machen dadurch meist alles nur viel schlimmer.
    "Wir haben nicht selten diese Fälle, da das offene Bein auch heute, im Jahre 2015, ein Stigma ist. Die Patienten, die diese Probleme haben, schämen sich. Man hält es geheim, solange es geht, viele wickeln selber irgendwelche Verbände auf die Beine, um wenigstens vor den Flüssigkeitssekretionen geschützt zu sein."
    Viele Patienten setzen dabei zusätzlich auf Hausmittel. Doch auch davon rät der Venenspezialist dringend ab.
    " Denn diese sogenannten Hausmittelchen führen häufig nicht zum Erfolg. Es gibt immer wieder neue Mittel, die propagiert werden. Waffenöl beispielsweise gehört in die Pistole und Honig gehört aufs Brötchen, das ist unser Tenor dazu."
    Stattdessen sollte jeder, der länger als drei bis vier Wochen mit einer nicht heilenden Wunde kämpft, unbedingt eines tun: Möglichst schnell zum Arzt gehen.