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"Ohne Gerechtigkeit können Aussöhnung und Frieden nicht funktionieren"

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Herta Däubler-Gmelin, hat die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag betont. Das Gericht habe zwar noch keine Urteile gesprochen, aber bereits eine ganze Reihe von Haftbefehlen erlassen.

Moderation: Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat erst Anfang der Woche Schlagzeilen gemacht mit dem Antrag auf Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Baschir. Ein Novum, das weltweit auf geteiltes Echo stieß. Immerhin, das Echo war weltweit, diese öffentliche Aufmerksamkeit hat das Gericht bisher noch nicht häufig erfahren. Heute vor zehn Jahren wurde der Grundstein gelegt für die Einrichtung des Gerichtshofs. Mit großer Mehrheit sprach sich die UN-Bevollmächtigtenkonferenz in Rom dafür aus, wobei die Betonung auf Grundstein liegt, denn in Kraft trat das sogenannten Rom-Statut erst Mitte 2002, denn erst da waren die nötigen Ratifikationen zusammengekommen. Uns ist der Termin Anlass für eine Zwischenbilanz im Gespräch mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des Bundestages und früheren Justizministerin, Herta Däubler-Gmelin, SPD. Guten Morgen!

    Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Frau Däubler-Gmelin, ist der Internationale Strafgerichtshof gescheitert?

    Däubler-Gmelin: Nein, ganz im Gegenteil. Er ist ja nun die Verwirklichung, kann man sagen, eines Traums, der schon 1870er-Jahre das erste Mal geäußert wurde, damals von dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der ganz richtig gesagt hat, man kann Menschenrechtskonventionen wie damals, die beginnenden Rot-Kreuz-Konventionen eigentlich nur dann als Völkerrecht umsetzen, wenn man gleichzeitig die persönliche Verantwortlichkeit vor internationalen Gerichten feststellt, die persönliche Verantwortlichkeit von denen, die sie einhalten können oder Befehle geben können, sie zu verletzen, also der politisch oder militärisch Mächtigen. Und das passierte vor zehn Jahren in Rom. Nach fünf Jahren waren in einer außerordentlich kurzen Zeit, wenn Sie die völkerrechtlichen Konventionszeiten anschauen, schon die nötigen Mitgliedszahlen vorhanden. Und heute sind 106 Staaten, die beigetreten sind, wobei allerdings die großen oder die größten volkreichen Staaten noch beitreten müssen.

    Schulz: Aber vor fünf Jahren hat er seine Arbeit aufgenommen, im März 2003. Bislang liegt kein Urteil vor. Liest sich so eine Erfolgsgeschichte?

    Däubler-Gmelin: Ja natürlich, einfach deswegen, weil ein Gericht ja überall braucht eine gewisse Zeit, um anzulaufen. Das heißt, da müssen erst mal der Generalanwalt und seine Gruppe eingestellt werden, die müssen dann beginnen zu arbeiten. Die Richter müssen gewählt werden. Und es ist so, dass es eine ganze Reihe von Haftbefehlen gibt, auch von möglichen Tätern, also von Beschuldigten, die heute bereits in Untersuchungshaft sitzen. Und die Verfahren beginnen jetzt zum Beispiel gegen Herrn Lubanga, einen Warlord aus dem Kongo, dem in der Tat eben auch eines dieser schwersten Menschheitsverbrechen vorgeworfen wird.

    Schulz: Ja, mit einem Haftbefehl hat der Chefankläger Moreno-Ocampo ja Anfang der Woche auch für Aufmerksamkeit gesorgt, nämlich gegen den sudanesischen Präsidenten. Was erwarten Sie von dem Verfahren?

    Däubler-Gmelin: Das wird man abwarten müssen, weil ich natürlich die Dokumente, die er hat, und das ist ja kein politisches Verfahren, sondern ein juristisches, nicht kenne. Diese Dokumente werden jetzt von den zuständigen Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs gesichtet und angeschaut, und je nachdem wird der Haftbefehl erlassen, ja oder nein. Ich nehme an, dass die Dokumente ausreichen. Und das wäre in der Tat ein Novum, weil natürlich auch ein Regierungschef sich dann sagen lassen muss: Also es trifft da nicht immer nur die untergeordneten Leute, sondern hier geht man in der Tat an die Machthaber ran.

    Schulz: Aber wenn der Haftbefehl erlassen wird, rechnen Sie damit, dass Baschir tatsächlich in Haft genommen wird? Der Sudan hat schon angekündigt, nicht mit dem ICC zu kooperieren.

    Däubler-Gmelin: Das muss er ja auch. Insofern ist es eine Sondersituation auch nicht direkt, weil der Sudan nicht zu den 106 Staaten gehört, die dem Internationalen Strafgerichtshof beigetreten sind, sondern, das ist ein besonderes Verfahren, der UN-Sicherheitsrat hat das Verfahren an den Internationalen Strafgerichtshof gegeben. Das heißt, mit Zustimmung oder zumindest nicht Verhinderung der fünf ständigen Mitglieder, also auch der Vereinigten Staaten, die ansonsten ja immer sehr darauf bedacht sind, dass kein internationales Recht für sie unmittelbar Anwendung finden kann, mit den Russen, den Chinesen, den Engländern und den Franzosen. Es wird also, wenn der Haftbefehl erlassen wird, Sache des UN-Sicherheitsrates sein, hier die fehlende Kooperationsbereitschaft der sudanesischen Regierung auszugleichen. Das wird schwer. Und das geht nicht von heute auf morgen, aber es zeigt natürlich auch dann, wenn es nicht zu 100 Prozent und nicht gleich gelingt, ganz deutlich, dass es heute von der Weltgemeinschaft nicht mehr akzeptiert wird, wenn die eigene Bevölkerung ausgerottet wird, und dass gesagt wird: Das ist Völkermord oder es kann Völkermord sein. Dieses muss untersucht und es muss bestraft werden.

    Schulz: Sie haben da eine weitere Schwäche gerade schon angesprochen, nämlich dass zu den Unterzeichnerstaaten gerade die Vereinigten Staaten von Amerika nicht gehören. Erhoffen Sie sich da von einem Machtwechsel im Weißen Haus, der möglicherweise Ende des Jahres ja ansteht, einen Stimmungswechsel?

    Däubler-Gmelin: Einen Stimmungswechsel hoffentlich schon. Es gibt ja da auch Äußerungen gerade auch außerordentlich guter und ernsthafter und ehrenhafter Völkerrechtler in den Vereinigten Staaten, die heftig kritisieren, was die jetzige Regierung macht. Aber auch das, Frau Schulz, wird natürlich Zeit brauchen, wie alles im internationalen Bereich Zeit braucht. Dennoch ist es ein enormer Fortschritt, wenn man sagt, man darf die Bevölkerung in seinem eigenen Land nicht mehr so ausrotten, so quälen und so vertreiben, wie das derzeit in Darfur passiert. Übrigens auch an einigen anderen Stellen, wie wir wissen, in der Welt, das heißt, die Dringlichkeit, dort hinzuschauen, die ist wirklich vorhanden.

    Schulz: Kann ein Gericht denn für Aussöhnung, für Versöhnung sorgen?

    Däubler-Gmelin: Ja, das ist natürlich Aussöhnung und Versöhnung. Auch dafür gibt es ja eine ganze Reihe von außerordentlich eindrucksvollen Beispielen, wie beispielsweise die Wahrheits- und Versöhnungskommission von Bischof Tutu in Südafrika, ist eigentlich immer Sache von Menschen. Die Frage ist, kann ohne die Verurteilung dieser schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit überhaupt Aussöhnung oder Gerechtigkeit oder auch nur Genugtuung für die Opfer und deren Angehörige erreicht werden. Und da zeigt uns, glaube ich, die Geschichte, auch das, was wir selbst in unserer Geschichte erlebt haben, aber auch das, was wir in Chile, in Argentinien, in Peru oder anderen gesehen haben, dass ohne Gerechtigkeit Aussöhnung und Frieden nicht funktionieren kann.

    Schulz: Es gibt aber auch Gegenbeispiele, zum Beispiel das Internationale Strafgericht für das frühere Jugoslawien. Da gibt es ja jetzt die Situation, dass Miloševic nicht verurteilt worden ist, und auf albanischer Seite war im Kosovo ja der in Den Haag freigesprochene Haradinaj, der ist inzwischen an der Regierungsbildung beteiligt. Welchen Beitrag hat dieses Gericht dem Frieden geleistet?

    Däubler-Gmelin: Das ist zunächst mal ein UN-Tribunal. Das heißt, es ist ein Gerichtshof, der durch den Sicherheitsrat eingesetzt wird, und wo die Frage, wozu er eingesetzt wird und ob er eingesetzt wird und wann er eingesetzt wird, damit politisch durch den Sicherheitsrat bestimmt wird. Also das ist etwas anderes als der ständige, unabhängige Internationale Strafgerichtshof. Auf der anderen Seite trifft das, was Sie jetzt natürlich sagen, eigentlich auf alle Gerichte zu. Es gibt immer wieder Fälle in der nationalen Gerichtsbarkeit und natürlich auch in der regionalen oder internationalen, wo Sie sagen können, da ist jemand, der verurteilt wurde, zu Unrecht wieder rehabilitiert, oder es ist einer der Täter, der eigentlich vor Gericht gestellt hätte werden müssen, nicht vor Gericht gestellt worden. Aber das ändert an der Richtigkeit und an der Notwendigkeit eines solchen Gerichtes und der klaren Aussage, dass Völkermord ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen heute nicht mehr geduldet werden können, überhaupt nichts.

    Schulz: Wenn wir noch mal zurückkommen auf den Internationalen Strafgerichtshof, wann rechnen Sie denn damit, dass er zum ersten Mal eine Strafe verhängt?

    Däubler-Gmelin: Ich denke, dass nach dem, was man hört, in diesem Jahr das Verfahren gerade in Sachen Kongo weiterbetrieben werden kann. Es ist natürlich jetzt schwer zu sagen, ob es in diesem Jahr schon beendet werden kann. Die Möglichkeit besteht aber sonst im nächsten.