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Ohne Traumprinz

Jede Niederlage birgt etwas Positives. Das gilt auch für Katja Kullmanns Protagonistin Simone, die am Ende ihren Traumprinzen zwar nicht bekommt, dafür aber gelernt hat, dass Olivgrün eine pathologische Farbe ist, dass zwischen gecasteten Popsängern und Tiefkühlkost interessante Parallelen bestehen und dass die klimatischen Verhältnisse von Hamburg mit denen vom finnischen Tallin durchaus vergleichbar sind.

Von Claudia Cosmo | 14.09.2004
    Am Anfang der Erzählung Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad dominiert jedoch das Chaos, das Chaos der Gefühle, dem sich die Hauptfigur Simone wie ein Backfisch hingibt. Den Jargon der "Gucci Gucci" - Frauenzeitschriften imitierend, konfrontiert Katja Kullmann den Leser mit Simones Herz- Schmerz- Tiraden und baut ein "Was Wäre Wenn"- Kitsch-Szenario auf. Geblendet von ihren Liebesgefühlen für einen Mann ist Simones Welt natürlich schön und der Himmel über der Stadt gelb.

    Simones Liebestendelei lenkt sie aber von ihrem eigentlichen Problem ab: Sie schämt sich für ihren Heimatdialekt und für ihre Herkunft. Aus einem Dorf namens Batzenhain zu kommen und eine eher durchschnittliche Ausbildung genossen zu haben, passt nicht zu ihrem neuen Leben in der Großstadt. Aus einer personalen Erzählhaltung heraus beschreibt Katja Kullmann den Versuch einer Anpassung

    Ich habe versucht, einen Lebenslauf darzustellen von einer Person, die ausgegrenzt wird, weil sie nur ein oberflächliches Wissen hat wie die Codes funktionieren heutzutage, wie Gesellschaft funktioniert. Also mein großes Thema sowie in der literarischen und auch sonstigen Arbeit, ist das "Wir" und das "Ich". Das ist nicht nur mein Steckenpferd, sondern auch die Perspektive, die ich anlege beim Schreiben. Mich interessiert: Wie kommen Leute zusammen, wie bilden sich Gemeinschaften, wie grenzt man sich ab: Distinktion und Zugehörigkeit nach oben und nach unten. Da ist die Mittelschicht, die untere, aus der ich ja auch herkomme, die interessante, weil man da von oben und von unten aufgerieben wird. Simone ist in diesem Sinn eines der freigesetzten Individuen, das irgendwo zwischen Flexibilität, Mobilität und den anderen abgestandenen Formeln versucht, ihr Leben zu meistern und droht auf der Strecke zu bleiben."

    Denn Simone hat nur einen begrenzten Arbeitsvertrag in einem Kosmetikstudio, ist in keinem angesagten Freundeskreis integriert, der weiß, was "geht". Sie ist ein kleines Rädchen innerhalb einer großen Lifestyle-Maschinerie und erledigt die Drecksarbeit. Die Kosmetikerin feilt, massiert, quetscht und reibt an besser verdienenden, Designerschuhe tragenden Frauen mit Karriere herum.

    Als die Geschichte letztendlich fertig war und einem gegenübertritt, habe ich dann doch eine Verbindung thematisch entdeckt, als dass ich sagen würde, dass die "Generation Ally" hier in der Erzählung quasi auf dem Behandlungsstuhl liegen. Und die Hauptperson, die Kosmetikerin, um einen altmodischen Begriff zu wählen, eine "Unterschichtsfrau" ist. Ich habe damals im Sachbuch Ally versucht klar zu markieren: Wir haben es zu tun mit Frauen um die 30, die sehr privilegiert sind und partizipieren konnten an Fragen wie Karriere und so weiter. Und Unterschicht in Ally habe ich auch immer thematisiert in der Person der Ramona, die immer hinterher bleibt und immer noch Dialekt spricht. Dieses Motiv habe ich jetzt aufgegriffen und jetzt auf der literarischen Seite anders erzählt, von einem anderen Deutschland auch. Und in sofern gibt es da eine Verbindung. Ich erzähle jetzt die Geschichte einer Heldin, auf die die "Generation Ally" herabblickt.

    Kullmanns Heldin Simone hat aber eines mit den Repräsentantinnen der
    Generation Ally gemeinsam: Genauso wie sie sehnt sich die Kosmetikerin nach Liebe und Glück, weiß aber nicht so recht, wie dies vor lauter distanzierter Selbstinszenierung dem männlichen Gegenüber klarzumachen ist. In diesem Zusammenhang spielt die immer wieder auftauchende Farbe Türkis eine wichtige Rolle in der Erzählung. Das Sofa in Simones Appartement ist türkisfarben und auch die kuschelweichen Handtücher des sonst so nüchtern wirkenden Kosmetikstudios erstrahlen in dieser Farbe

    Türkis ist eine kitschige Farbe. Türkis, meine ich, ist besetzt von Sehnsucht. Ich habe versucht eine Farbe zu finden, die ans Gefühl geht, und insofern wird das Türkis zu einer Methapher. Letztlich geht es da um echte Gefühle, um das Verhandeln von Sehnsucht.

    Simones Sehnsucht bezieht sich auf einen ihrer männlichen Kunden, der sich jeden Donnerstag für 43 Euro von ihr verschönern lässt. Engelhaft, eine Rolltreppe herunterfahrend, nähert er sich jedes Mal dem Kosmetikstudio, das sich im tristen Untergeschoss einer Einkaufspassage befindet. In dem fensterlosen Salon mit nervender Klimaanlage fristet Simone ihr Dasein. Geschickt zeigt Katja Kullmann die enge thematische Verbindung zwischen der Stimmung von Ort und Figuren und spielt auf den Raum als sozio- psychologischen Faktor an.

    Deshalb habe ich auch dieses Kosmetikstudio als Szenario gewählt oder als Hintergrundfläche. Weil Simone als Kosmetikerin ihrer Kundschaft anmerkt, dass die gehetzt und getrieben ist. Es ist ja keine Freiheit, wenn wir heute alle toll aussehen dürfen, sondern es ist ja ein neuer Zwang, der übrigens auch Männer betrifft. Diese Angst, diese zunehmende Unfreiheit in Zeiten des fortschreitenden Kapitalismus im Endstadium ist mein Thema, und da sehe ich auch die Schönheitsfrage. Und deshalb habe ich dieses Feld gewählt als Arena für meine Geschichte.

    Auf humorvolle und sprachlich souveräne Weise bettet Katja Kullmann ihren theoretischen Hintergrund in ihre Geschichte ein, mit einer personalen Erzählstimme, die wohlwollend Simones Perspektive beleuchtet.

    Nie hat der Leser das Gefühl, auf Simone herabzuschauen, sondern kann ihre Handlungsmotive und Gedanken immer besser nachvollziehen. Außerdem bleibt Simones Traummann namenlos. Der Leser erfährt nur, dass er Feuilleton- Journalist ist und Simone als einfache Kosmetikerin nicht ernst nimmt und sich lustig über sie macht.

    Von ihrer Verliebtheit geleitet, entwickelt sich Simone von der unbedarften Frauenzeitschrift- Konsumentin zur versierten Feuilleton- Leserin und zur Kennerin des Camp. Auf einmal weiß sie, welche Möbel en vogue sind und führt mit ihrem Traummann philosophische Diskurse im Schönheitssalon. Das passt dem selbstverliebten Feuilletonisten gar nicht, dass Simone ihm dadurch plötzlich ebenbürtiger wird

    Eine Sache, die mich gekitzelt hat und die ganz in der Ursprungsinspiration dieser Geschichte liegt, ist, dass mir aufgefallen ist, dass die Feuilletons, diese Anzug tragenden, flotten, mehrsprachig aufgewachsenen Männer, die heute die Seiten voll schreiben, immer wieder- ich habe die Artikel dazu gesammelt!- sich in ihren Berlin-Texten mokieren über die schwäbisch sprechenden Verkäuferinnen, die die Frechheit hatten, nach Berlin zu ziehen und den Hauptstadtruf zu versauen. Die gibt es ja real, die werden dann immer "gedissed". Da formiert sich die bürgerliche Klasse neu. In meinem Buch sagt ja Simone auch mehrfach: Die Unterschiede kehren zurück. Das ist genau das, was wir haben: Unterschicht und Mittelschicht unterscheiden sich neu.

    Tatsächlich glaubt man an einigen Stellen der Erzählung, Stadtgebiete des Prenzlauer Bergs wieder zu erkennen und dass die Protagonistin bestrebt ist, sich dort zu integrieren und zu einer Frau werden möchte, die die Spielregeln beherrscht. Dabei stört sie besonders ihr Name "Simone"

    Dieser neue Name "Mona"...ist böse gesagt ein neues Labeling. Also, man klebt ein neues Etikett auf die Flasche... dieses scheinbar so oberflächliche Labeling, was Simone auch auf sich anwendet, hat ganz viel mit Verzweiflung zu tun und der Sehnsucht etwas festmachen zu können und jemand zu sein. Es ist viel schwieriger, reinzukommen in gewisse Kreise, ob es nun beruflich oder in Freundschaften ist, also Horden, die versuchen, familiäre Codes zu finden. Jeder Mensch ist auch ein soziologisches Wesen, vor allen Dingen in der Selbstsicht, also sich selbst so zu begreifen, als soziologisches Item sozusagen.

    Simone, die lieber Mona hieße, unterliegt stellvertretend für viele Frauen einer Selbsttäuschung. Die besteht in der Annahme, dass sie nur mit etwas gutem Willen und einer gewissen Dosis an gesellschaftlicher Anpassung ihren Weg machen kann, Traumpartner inklusive. Feminismus ist da überflüssig und altmodisch

    Also, ich glaube in Bezug auf den Feminismus, damit hält es Mona wie viele Frauen unserer Altersgruppe. Die alte These, die ich in Ally aufgeworfen habe: Die Frauen springen vom Feminismus ab wie die Flöhe vom sterbenden Hund, das stimmt immer noch! Das revidiere ich mit keinem Stück!

    Der Punkt ist, dass viele Frauen, persönlich und auch beruflich ganz klar auf der Strecke bleiben. Aber sie machen keinen Ärger, thematisieren das nicht, und das ist, was Mona auch spürt: Dass man sich einiges nicht mehr bieten lässt als Frau, aber auch nicht weiß, wie man seinen Unwillen artikulieren soll, wenn man sich nicht gerade unbeliebt machen will. Das ist ja die alte These aus Generation Ally, dass die Töchter der Emanzipation es verpasst haben, die alten Fragen weiterzuführen, dass unsere Generation jetzt umsetzen muss, wofür unsere Mütter gekämpft haben...mit diesem Erbe lebt eben auch Mona.

    In ihrem Sachbuch
    Generation Ally schrieb Katja Kullman einmal: "Liebesgeschichten eignen sich nicht zur Fortschreibung, denn sie wären alsbald gar nicht mehr komisch." Diesem Credo folgend verpufft Simones einseitige Liebesschwärmerei für ihren Feuilletonisten, und sie steht am Ende wieder alleine da und kauert auf ihrem türkisfarbenen Sofa.

    In ihrem Prosa- Debut
    Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad greift Katja Kullmann in ironisch-flottem Erzählrhythmus aktuelle Gesellschaftsdebatten auf und verwebt sie kunstvoll mit literarischen Ausdrucksmitteln zu einer Geschichte. Keine Frage, dass dies auch Männer anspricht.

    Katja Kullmann
    Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad
    Kiepenheuer & Witsch, 174 S., EUR 14,90