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"Ohne Truppenpräsenz keine dauerhafte Lösung im Kosovo möglich"

Labuhn: Am Telefon begrüße ich nun den Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping von der SPD. Guten Morgen!

    Scharping: Guten Morgen Herr Labuhn!

    Labuhn: Herr Scharping, wir geben das Kosovo nicht her, und sei es um den Preis von Bombardierungen. Mit diesen markigen Worten zitierte die serbische Nachrichtenagentur Tanjug den serbischen Präsidenten Milosevic. Rechnen Sie noch mit einem positiven Ergebnis der Rambouillet-Konferenz?

    Scharping: Wir alle sollten unterscheiden zwischen dem, was Begleitmusik zu Verhandlungen ist und was tatsächlich in den Verhandlungen geschieht. Bis Dienstag ist noch Zeit, zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Die Möglichkeiten dazu sind da. Das setzt aber konstruktives Verhalten aller Beteiligten, insbesondere der Serben voraus. Dort fehlt es zur Zeit am meisten.

    Labuhn: Für den Fall des Scheiterns der Rambouillet-Gespräche als Folge serbischen Starrsinns, Herr Scharping, hat das amerikanische Verteidigungsministerium bereits präzise Angaben zum NATO-Militäreinsatz gegen Serbien gemacht. Danach würden zunächst serbische Luftabwehrbasen, Radareinrichtungen und Kommandostützpunkte mit bis zu 80 Marschflugkörpern angegriffen. In einer zweiten Welle würden dann bis zu 460 Kampfflugzeuge eingesetzt, die dann vermutlich Militärflughäfen, Lagerhäuser und Panzerdepots angreifen würden. Welche Rolle würde die Bundeswehr dabei spielen?

    Scharping: Das unterstellt mit Ihrer Frage ja, daß alle diese Planungen so vorgenommen wären, wie Sie das sagen. Darauf konzentrieren wir uns zur Zeit aber nicht.

    Labuhn: Sondern?

    Scharping: Wir konzentrieren uns darauf, in den Verhandlungen deutlich zu machen, daß es durchaus ernste Konsequenzen haben kann, wenn diese Verhandlungen scheitern, und das wird es auch haben, aber daß man zunächst einmal sehr konzentriert und sehr konsequent den Versuch macht, diese Verhandlungen zu einem guten Ergebnis zu führen. Auf der Seite der Kosovo-Albaner gibt es verständliche Probleme bei der Erwartung der NATO, daß im Rahmen einer Autonomie, und diese wiederum garantiert durch militärische Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft, also nicht nur der NATO, die UCK dann einer Entwaffnung zustimmen muß, damit die Konflikte im Kosovo endlich aufhören und damit auch das Morden und das Vertreiben von Menschen. Auf der Seite der Bundesrepublik Jugoslawien gibt es enorme Probleme im Zusammenhang mit eben dieser militärischen Präsenz, von der alle wissen, Rußland eingeschlossen, daß ohne diese Anwesenheit internationaler Truppen und damit einer kräftigen Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft eine dauerhafte Garantie für ein solches Abkommen nicht zu erreichen ist. Dann muß man in Deutschland deutlich machen, daß die vielen Flüchtlinge erstens ein besseres Schicksal verdient haben und zweitens für den deutschen Steuerzahler im Zweifel viel teuerer sind als diese Art von Engagement, die wir jetzt vorbereiten.

    Labuhn: Herr Scharping, gegenwärtig sind schon Bundeswehreinheiten in Mazedonien stationiert, um sich an der OSZE-Luftüberwachung über dem Kosovo zu beteiligen und gegebenenfalls auch OSZE-Beobachter schnell aus dem Kosovo herauszuholen, falls sich die Lage dort zuspitzen sollte. Sollte der militärische Teil des Kosovo-Friedensplans der Balkan-Kontaktgruppe realisiert werden, dann sollen im Kosovo nach US-Angaben etwa 28 000 Mann als Friedenstruppe stationiert werden. Wären auch Bundeswehrsoldaten darunter?

    Scharping: Es ist richtig, daß die Planungen der NATO von etwa dieser Größenordnung ausgehen. Ich sage aber noch einmal: Das sind Planungen, die eine internationale Präsenz betreffen und nicht alleine NATO-Mitgliedstaaten. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich daran beteiligen. In welcher Form und in welchem Umfang, hängt von eben diesen genauen Planungen, hängt vom Friedensabkommen, hängt von der Art des Friedensabkommens ab. Ich gehe allerdings davon aus - und deswegen habe ich ja schon vor rund drei Wochen die Entscheidung einer entsprechenden Vorbereitung getroffen -, daß Deutschland sich seiner Verantwortung nicht entzieht. Wir werden das heute mit den Fraktionsvorsitzenden besprechen. Wir werden wahrscheinlich heute abend im Bundeskabinett darüber reden und werden dann möglicherweise noch in dieser Woche eine Entscheidung im deutschen Bundestag anstreben.

    Labuhn: Wie groß wäre denn ein mögliches Bundeswehrkontingent im Kosovo?

    Scharping: Das muß ich Ihnen unter dem Vorbehalt sagen, der sich aus den unklaren Bedingungen ergibt. Wir gehen aber davon aus, daß neben den Kräften, die jetzt schon in Mazedonien zum Schutz der unbewaffneten Beobachter der OSZE eingesetzt werden, ein Kontingent in der Größenordnung von drei bis vier tausend ganz sicher notwendig werden wird.

    Labuhn: Um welche Einheiten wird es sich handeln?

    Scharping: Das wäre jetzt eine ganz unverantwortliche Spekulation, denn ohne einen Beschluß der Bundesregierung und des deutschen Bundestages kann man solche Festlegungen überhaupt nicht treffen. Ich habe nur die Vorbereitungen so machen lassen, daß man auf verschiedene Möglichkeiten vorbereitet ist.

    Labuhn: Herr Scharping, was sagt denn Ihr Koalitionspartner in Bonn zu diesem Szenario, also die Bündnis-Grünen?

    Scharping: Ich sehe im Falle eines Abkommens überhaupt keine Schwierigkeiten voraus, daß sich die Bundesrepublik Deutschland an einer entsprechenden Maßnahme beteiligt. Das ist klug, das ist verantwortungsbewußt. Es dient dem Schutz eines Friedensabkommens. Es dient der Hilfe für Menschen im Kosovo. Es dient der Verhinderung weitere Gewalttaten, weiteren Mordens, weiterer Vertreibung. Es dient also auch der Verhinderung weiterer Flüchtlingsströme. Wenn man alles zusammennimmt, rechne ich damit, daß es in der Koalition völlige Einigkeit und im Bundestag eine sehr, sehr große Mehrheit gibt.

    Labuhn: Herr Scharping, wenn es auf Schloß Rambouillet ein erfolgreiches Gesprächsergebnis geben sollte, wäre auch dieses wohl wieder, wie schon auf der Dayton-Konferenz zu Bosnien-Herzegowina, einzig auf den massiven Druck der US-Regierung zurückzuführen. Bereitet Ihnen als europäischer Verteidigungsminister dies nicht erhebliche Kopf- und Bauchschmerzen?

    Scharping: Wenn es so wäre, Herr Labuhn, dann würde ich mir schon Gedanken machen über die Schwächen der Europäer, aber die Europäer sind dabei, diese Schwäche zu überwinden. Man darf nicht übersehen, daß die Verhandlungen übrigens in der deutschen Ratspräsidentschaft im wesentlichen geführt werden auf der Grundlage dieser Ratspräsidentschaft von dem französischen und von dem englischen Außenminister. Man darf nicht übersehen, daß die konkreten Gespräche, die manchmal ja so mit Delegationen oder mit anderen Regierungen geführt werden, gemeinsam von Europäern und Amerikanern auf völlig gleichberechtigter Grundlage geführt werden. Vor diesem Hintergrund habe ich den Eindruck, sollten wir eines wirklich hoch einschätzen, nämlich die sehr enge Kooperation zwischen Europäern und Amerikanern innerhalb der sogenannten Kontaktgruppe, auch mit Rußland.

    Labuhn: Das war der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, SPD. Vielen Dank und auf Wiederhören!