Archiv


Olbertz: Wir brauchen einen modernen Föderalismus

Im Vorfeld des von Bundeskanzlerin Angela Merkel initiierten Bildungsgipfels hat Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt, die Bundesländer aufgerufen, an einer gemeinsamen und modernen Bildungspolitik mitzuarbeiten. Vereinheitlichte Maßstäbe seien wichtig, damit die Länder nicht völlig unabgestimmt unterschiedliche Wege beschritten.

Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Schon vor der Sommerpause hatten die Kultusminister eine Art Zeugnis vorlegen lassen, sich und dem Bund zugleich auch vielleicht so etwas wie Hausaufgaben erteilt mit dem Zweiten Nationalen Bildungsbericht, mit dem sich heute auch das Kabinett befasst. Den Bericht hatten Forscher unter der Leitung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung erarbeitet. Was stand oder steht drin?

    Mitgehört und sich miterinnert hat Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Guten Tag, Herr Olbertz.

    Jan-Hendrik Olbertz: Guten Tag, Frau Durak.

    Durak: Welche Schlussfolgerungen haben Sie denn, hat das Land Sachsen-Anhalt aus diesem Bildungsbericht gezogen?

    Olbertz: Das Land Sachsen-Anhalt hat ja schon aus dem vorigen Bericht von 2006 eine ganze Reihe von Schlüssen gezogen, insbesondere auf das Thema Entkoppelung, soziale Herkunft und wirtschaftliche Situation der Eltern gegenüber dem Bildungserfolg. Mit anderen Worten Programme aufzulegen - und das haben wir in großem Umfang gemacht -, die gerade die Kinder betreffen, deren Lebensumstände einfach chancenmindernd im Bildungssystem sind: mangelnde Förderung, mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Elternhäuser, mangelndes Erfolgserleben in den Schulen. Damit ist es uns ja gelungen, schon heute gemessen am Jahr 2002 die Zahl der Schüler, die ohne Abschluss - und zwar ganz ohne Abschluss - die Schulen verlassen, fast zu halbieren.

    Durak: Können Sie uns ein, zwei Beispiele nennen?

    Olbertz: Ja, ich kann Ihnen gerne Beispiele nennen. Wir haben vor drei Jahren ein Programm im Umfang von immerhin 300 Lehrerstellen aufgelegt, das ausschließlich den Schülern gewidmet ist, deren Schulabschlüsse gefährdet sind und die jetzt im außerunterrichtlichen Bereich intensiv und individuell gefördert werden, um ganz präzise an bestimmten Schwachstellen und Defiziten entlang aufzuholen. Das ist ein wichtiges Beispiel.

    Ein anderes ist das produktive Lernen, wo abschlussgefährdete Schüler drei Tage in der Woche in Unternehmen zubringen, in enger Zusammenarbeit mit der Schule, und zwei Tage in der Woche dann ihre Erfahrungen in der Begegnung zwischen Schule und Arbeitswelt in den Lernprozess integrieren. Wir haben da eine Erfolgsquote von 90 Prozent. Das hat mich übrigens selber überrascht, weil ich erst skeptisch war, ob man schulische Abschlüsse sozusagen außerhalb der Schule erfolgreich erwerben kann. In bestimmten Kooperationsnetzwerken ist das tatsächlich möglich und ermutigt und bestärkt die jungen Leute auch in ihrem Selbstwertgefühl, in ihrer Selbstgewissheit.

    Durak: Herr Olbertz, das ist das oder ein Modell in Sachsen-Anhalt. Könnte ja sein, andere Bundesländer ziehen dort nach oder haben Ähnliches vor. Nun hat - wir wissen es - die Bundeskanzlerin für Oktober zu einem Nationalen Bildungsgipfel geladen. Da möchte ich gerne eine Gretchenfrage an Sie stellen. Wie halten Sie es denn mit dem Föderalismus? Verstehen Sie das also als freundliches Angebot der Kanzlerin, oder als heimliche Einmischung?

    Olbertz: Ich verstehe das als freundliches Angebot der Kanzlerin und ich gehe davon aus, dass sich dahinter eine Vorstellung von einem aufgeklärten und modernen Föderalismus verbirgt. Und der sagt eben nicht Eingeborenentänze, die jedes Land für sich selber aufführt, sondern der besagt, eine Ländergemeinschaft zu bilden, die in der Lage ist und auch interessiert daran ist, gemeinschaftliche Standards zu formulieren, Mobilität zu fördern und eine Willensbildung zu formulieren, die dann länderübergreifend die Schwerpunkte in der Bildungspolitik markiert. Die Devise müsste eigentlich lauten: Maßstäbe vereinheitlichen. Dann ist die Vielfalt der Wege tatsächlich ein Gewinn. Wenn aber alle Länder unabgestimmt völlig andere Wege beschreiten, können wir uns nicht wundern, dass dieses föderale System dann irgendwann archaisch wirkt.

    Durak: Ist es aber dann nicht so, dass einige Bundesländer warnend durch die Gegend rufen "Zentralismus, Zentralismus"?

    Olbertz: Ich kann diese Warnrufe nur bedingt nachvollziehen. Nehmen Sie mal das Beispiel des Zentralabiturs. Ich rede bewusst nicht davon, weil ich dann tatsächlich fragen muss, wo soll eigentlich die Zentrale sein. Aber ein Länderabitur, wo die Länder gemeinsam die Standards für die Abiturprüfung verabreden und vielleicht auch einen gemeinsamen Aufgaben-Pool für die Kernfächer der Abiturprüfungen bilden und meinetwegen auch Schritt für Schritt die wichtigsten Prüfungen auf denselben Zeitpunkt verlegen, denn die jungen Leute werden sich sonst mit ihren Handys schneller abstimmen als wir Kultusminister je dazu in der Lage sind, warum soll man dem entgegentreten. Ich finde, ein moderner Föderalismus, der Wettbewerb ermöglicht, aber auch eine gemeinsame Basis formulierbar hält, das dürfte ungefähr auch das sein, was der Kanzlerin mit ihrer Initiative vorschwebt. Deswegen unterstütze ich das Ganze auch.

    Durak: Was sollte denn der Bildungsgipfel darüber hinaus leisten, wenn er nicht nur eine intellektuelle Austauschrunde sein will? Soll es verbindliche Vereinbarungen, wenn ja, wozu geben?

    Olbertz: Da bin ich nicht ganz sicher. Eine intellektuelle Austauschrunde wäre ja erst mal nichts Schlechtes, denn wir müssen uns ja erst mal eine gemeinsame Gewissheit darüber verschaffen, was wirklich dringend und vorrangig in der Bildungspolitik zu tun ist. Ich halte es zweitens für wichtig, wirklich noch mal zu definieren, was sind eigentlich gesamtstaatliche Aufgaben und wo ist gemeinschaftliches Handeln zwischen Bund und Ländern wirklich gefragt und angesagt. Da bin ich möglicherweise offener als einige Kollegen. Ich finde schon, dass Bildung eine nationale Aufgabe ist. Das untergräbt überhaupt nicht die föderale Zuständigkeit, insbesondere dann nicht, wenn die Länder sich auf gemeinsame Ziele und gemeinsame Ansprüche und auch gemeinsame Standards verständigen.

    Durak: Und einigen, Herr Olbertz. Sonst bleibt es doch immer nur bei Absichtserklärungen.

    Olbertz: Ja, natürlich. Die Kultusministerkonferenz ist ja selbst durch die ersten Pisa-Studien ich möchte fast sagen geläutert worden, denn wir haben es ja zu Wege gebracht, tatsächlich fast in jeder Sitzung ein Paket von Bildungsstandards länderübergreifend zu verabschieden. Das ist ja eine Tendenz, ein Trend, der seit einigen Jahren erfolgreich anhält, und der ist für mich mustergültig, denn wir müssten auch in vielen anderen Bereichen Schritt für Schritt versuchen, unsere Erwartungen zu standardisieren, und in der Tat uns nicht nur zu verabreden, sondern diese Verabredungen auch in gemeinsame Anerkennungsmechanismen und in gemeinsame Projekte einmünden lassen.

    Durak: Eines könnte die Kanzlerin ja trotzdem dabei haben: etwas Geld.

    Olbertz: Das würde ich immer begrüßen und ich halte es auch für wichtig, bei allem Respekt der föderalen Struktur gegenüber, Gemeinschaftsprojekte, Gemeinschaftsaufgaben zu identifizieren und dann auch gemeinsam mit Ressourcen auszustatten. Ich wäre der letzte, der sich dem nicht aufschließt und an Stelle dessen eine formale Zuständigkeitsdebatte führt, die keinen Menschen auf der Straße interessiert - insbesondere Eltern nicht.

    Durak: Im Oktober sind wir dann ein bisschen schlauer, wenn es den Bildungsgipfel gegeben hat. - Ich bedanke mich bei Ihnen. - Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!

    Olbertz: Frau Durak, das wünsche ich Ihnen auch. Vielen Dank!

    Durak: Danke schön.