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Oliver Schröm, Andrea Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt- und Neonazis

Mit Marcus Heumann am Mikrofon - guten Abend und Willkommen. Die erste Neuerscheinung, die wir Ihnen heute vorstellen, ist ein Buch, über dessen Inhalt man zuweilen verzweifeln möchte. Denn es beschäftigt sich nicht nur mit einem seit 50 Jahren von hohen deutschen Politikern geduldeten und mitunter sogar protegierten Netzwerk von Alt- und Neonazis in dieser Republik - es beschäftigt sich auch mit der Geschichte eines deutschen Justizskandals, der, obwohl er schon seit Jahrzehnten schwelt, einer breiten Öffentlichkeit erst in den vergangenen Wochen bekannt wurde: Es ist der Fall des ehemaligen SS-Scharführers und Gefängnisaufsehers Anton Malloth, der erst unlängst wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde - nachdem das Verfahren gegen ihn zuvor dreimal eingestellt worden war. Malloth hat Revision eingelegt - anscheinend ist er noch immer überzeugt, ungeschoren davonzukommen. Kein Wunder eigentlich, denn schließlich haben deutsche Behörden den SS-Mann Jahrzehnte lang äußerst wohlwollend behandelt. Wie wohlwollend - das enthüllt ein neues Buch aus dem Berliner Christoph Links Verlag.

Brigitte Baetz |
    Tränen liefen der alten Frau über die Wangen. Sie überschüttete Finkelgruen mit Erinnerungen, darunter auch zahlreichen an die Kleine Festung in Theresienstadt, wo sie ihren Mann und ihren Sohn verloren hatte. Dort war auch Finkelgruens Großvater ermordet worden, wie er aus Erzählungen seiner Großmutter wusste. Allerdings hatte sie ihm nie gesagt, auf welche Weise er zu Tode gekommen war. Bela Krausová kannte die näheren Umstände, sie wusste sogar den Namen des Mörders. "Dieser Malloth hat ihn erschlagen", sagte die alte Frau völlig unvermittelt. "Mit diesem Juden werden wir auch noch fertig. Den werden wir erledigen", soll er geäußert haben, als er auf Finkelgruens Großvater einprügelte und auf ihm herumtrampelte. "Vor ihm, diesem Schläger, haben wir alle Angst gehabt", erinnerte sich Bela Krausová. "Man nannte ihn den 'schönen Toni'." Finkelgruen brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff. Der Name des Mannes, der seinen Großvater vor 47 Jahren, am 10.Mai 1942, ermordet hatte, kam ihm irgendwie bekannt vor, er hatte ihn schon einmal gehört. Er grübelte eine Weile. Plötzlich kam ihm die Zeitungsmeldung wieder in den Sinn, die er vor einem halben Jahr in Piräus gelesen hatte. Hieß nicht auch jener Mann, der von Italien nach Deutschland abgeschoben worden war und gegen den der deutsche Staatsanwalt "keinen hinreichenden Tatverdacht" gesehen hatte, Malloth? Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er. Das bedeutete: Der Mörder seines Großvaters war noch auf freiem Fuß. (...) Er fuhr zurück nach Deutschland, setzte sich an seine Schreibmaschine und formulierte eine Anzeige wegen Mordes. Es war der 24.Februar 1989.

    Mehr als zwölf Jahre sollten nach dieser Anzeige des Journalisten Peter Finkelgruen ins Land gehen, bis der ehemalige SS-Scharführer Anton Malloth vor ein deutsches Gericht gestellt und verurteilt wurde - im Alter von 89 Jahren, mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinen Verbrechen im Gestapo-Gefängnis Kleine Festung Theresienstadt. In der Zwischenzeit war es dem gebürtigen Südtiroler nicht schlecht ergangen. 1948 in Tschechien in Abwesenheit zum Tode verurteilt, war er nach Italien geflohen. Obwohl er auf der Fahndungsliste der Kommission für Kriegverbrechen stand, lebte er 40 Jahre lang als Deutscher unbehelligt in Meran. Als er endlich 1988 in die Bundesrepublik abgeschoben wurde, erkannte Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, immerhin Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen im Land Nordrhein-Westfalen: kein dringender Tatverdacht. Unterdessen hatte sich Anton Malloth an Freunde aus alten Tagen gewandt: Ich bin in einer furchtbaren Lage, habe keinen Rechtsschutz und wäre für den Fall eines Prozesses nicht haftfähig. Untergebracht bin ich vom Sozialamt München in einem Wohnheim für Alkoholiker, Homosexuelle und Penner. Ich bitte Sie, mich dort herauszuholen und mir zu helfen, da ich völlig mittellos bin.

    Und dem armen Manne, Besitzer eines großen Hauses in Meran, wurde geholfen. Gudrun Burwitz nahm sich höchstpersönlich seiner Sache an. Die Tochter Heinrich Himmlers, eine Art graue Eminenz der rechten Szene in Deutschland, sorgte dafür, dass Anton Malloth in ein komfortables Altersheim umziehen konnte und dort jahrelang unbehelligt blieb - die Kosten für die Unterbringung übernahm das Sozialamt. Gudrun Burwitz ist eine der tragenden Säulen der "Stillen Hilfe für Internierte und Kriegsgefangene", einem Verein, der jahrzehntelang aufgrund von Gemeinnützigkeit keine Steuern bezahlen musste. Einem Verein, der nicht nur als die erste Neonaziorganisation in der Bundesrepublik gelten kann, sondern der auch das Netz der braunen Kameraden nach dem Krieg weiterwob und eine ungebrochene Kontinuität bewirkte, auf die die rechte Szene heute aufbauen kann.

    Erste Vorsitzende des Vereins war eine Frau: Prinzessin Helene-Elisabeth von Isenburg, eine überzeugte Katholikin, die von der zuständigen NSDAP-Ortsgruppe einst als "politisch zuverlässig" eingestuft worden war. Gleich nach Kriegsende hatte die Prinzessin ihr Herz für verurteilte NS-Verbrecher entdeckt, die im bayerischen Gefängnis von Landsberg am Lech inhaftiert waren. Um die Begnadigung der Kriegsverbrecher zu erreichen, war der Prinzessin jedes Mittel recht. Vertrauensvoll wendete sie sich auch an den Heiligen Stuhl in Rom. "Ich kenne jeden, um den es geht. Niemand kann mehr von Schuld und Verbrechen reden, der in ihre Seelen geschaut hat", versuchte sie Papst Pius XII. für ihr Anliegen zu gewinnen. "Es bittet Dich, heiliger Vater, ganz im Vertrauen, die Mutter der Landsberger." Ihr Aufruf vom 4. November 1950 blieb nicht ungehört. Sechs Tage später, am 10.November, versprach Pius XII. der Prinzessin, "dass von Rom aus alles getan wird, um den Landsbergern das Leben zu retten".

    Kriegsverbrecher und sonstige Altnazis, die in Deutschland oder anderswo vor Gericht standen, kamen in den Genuss von Mitteln aus der Stillen Hilfe. Was die Autoren Oliver Schröm und Andrea Röpke an Material zusammengetragen haben, erschüttert aber weniger aufgrund der Tatsache, dass sich hier Ewiggestrige gegenseitig unterstützen. Der eigentliche Skandal, der aufgedeckt wird, liegt an dem Zusammenspiel zwischen Stiller Hilfe, kirchlichen Kreisen, Justiz und Politik. Ein Mörder wie Anton Malloth konnte nur deswegen so lange unbehelligt bleiben, weil die deutsche Justiz, verkörpert durch Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, sich schlichtweg weigerte zu handeln. Nur der Hartnäckigkeit eines einzelnen Mannes, nämlich des schon erwähnten Peter Finkelgruen, ist es zu verdanken, dass Malloth nicht davon kam. Und dem Zufall, dass die Unterlagen in die Hände des Münchener Staatsanwalts Konstantin Kuchenbauer gelangten, der innerhalb weniger Monate das schaffte, was seinem Kollegen Schacht über zehn Jahre nicht gelingen wollte: nämlich Malloth vor Gericht zu bringen.

    Die Geschichte des Peter Finkelgruen ist der rote Faden dieses spannend geschriebenen Buches, das die Vergangenheit und die Gegenwart der Stillen Hilfe schildert und das einen hilflos und wütend macht. Wütend angesichts der Tatenlosigkeit gegenüber einem braunen Netzwerk, die man vielleicht auch als Sympathie auslegen könnte. Ein Beispiel: Alois Brunner, rechte Hand Eichmanns und verantwortlich für den Tod von über 128.000 Menschen, stand nie persönlich vor einem Gericht. Brunner alias Fischer konnte sich auch in Deutschland auf Freunde an entscheidenden Stellen verlassen. 1968, er stand längst auf der internationalen Fahndungsliste für NS-Kriegsverbrecher, ließ beispielsweise das Bonner Außenministerium diskret nach ihm suchen - allein um ihn vor Bestrafung zu warnen. Das Auswärtige Amt beauftragte damals den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, nach insgesamt 800 Deutschen und Österreichern zu fahnden, die in Abwesenheit von französischen Gerichten wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden waren. Man wollte sie "über Schwierigkeiten unterrichten, die einem im Ausland drohen können", wie es in einem internen Papier des Amtes hieß. Als die diskret behandelte Aktion (DRK-Code: "Warndienst West") durch eine Panne aufflog, gab es weltweit Proteste. Das Auswärtige Amt hingegen fand, die Warnaktion sei "kein Prozess, der zu kritisieren ist". Und die Leitung des DRK-Suchdienstes verkündete gar, "ein volles gutes Rotkreuzgewissen bei dieser Sache" zu haben.

    Ein gutes Gewissen hatten auch all die Politiker, die der Stillen Hilfe jahrelang Unbedenklichkeit bescheinigten oder sie verharmlosten, von Franz-Josef Strauß bis Karl-Heinz Funke. Und die auch heute nicht eingreifen, wenn das Zusammenspiel von jungen und alten Nazis beispielsweise in der sogenannten "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und ihrer Angehörigen" deutlich wird oder wenn Gudrun Burwitz, die Tochter Heinrich Himmlers, bei den Jahresfeiern der "Kameradschaft Freikorps und Bund Oberland" und der "Deutschen Patrioten" die Huldigungen ihrer Verehrer - jungen und alten - entgegennimmt. Auch ein Verbot der Stillen Hilfe steht nicht zu Debatte. Am 15. November 2001 können die alten und neuen Kameraden den 50. Geburtstag ihres Vereins feiern. Da erscheint das Urteil gegen einen wie Anton Malloth wie ein Tropfen auf dem heißen Stein - wären da nicht immer noch die Opfer, wie der fast 80-jährige Tscheche Albert Meyer, einer der Zeugen im Prozess, denen wenigstens ein bisschen Gerechtigkeit widerfahren durfte:

    Albert Meyer: Man kann sowohl mit der Prozessführung als auch mit der Staatsanwaltschaft als auch mit dem Urteil zufrieden sein. Wichtig ist, dass das die deutsche Öffentlichkeit erfährt und dass die deutsche Öffentlichkeit die Begründung erfährt. Das ist eine Genugtuung gegenüber den Toten, gegenüber denen, die nicht zurückgekehrt sind.

    Brigitte Baetz über: Oliver Schröm und Andrea Röpke: Stille Hilfe für braune Kameraden. Das geheime Netzwerk der Alt-und Neonazis. Erschienen im Christoph Links Verlag, Berlin, 200 Seiten zum Preis von DM 29,80.