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Olivier Guez: "Koskas und die Wirren der Liebe"
Lehr- und Wanderjahre eines jüdischen Erotomanen

Die Romane des französischen Autors Olivier Guez kreisen um extreme Charaktere. Berühmt wurde er mit seinem Bestseller über den KZ-Arzt Josef Mengele. In "Koskas und die Wirren der Liebe" steht ein jüdischer Journalist im Mittelpunkt: ein Trinker und Frauenverführer voller durchgeknallter Ideen.

Von Christoph Vormweg | 25.03.2020
Der französische Schriftsteller Olivier Guez
Der 1974 in Straßburg geborene Schriftsteller Olivier Guez (imago stock&people/Italy Photo Press/Gioia Botteghi)
Gewisse Scherze können sich nur jüdische Schriftsteller erlauben: so die Bemerkung, dass der reiche, geizige, übel aus dem Mund riechende Großonkel sicher gerade "vor boerse-online" onaniere. Ein nicht-jüdischer Autor würde dafür sofort des Antisemitismus bezichtigt. Nicht aber Olivier Guez. Und das weiß er für sein politisch inkorrektes verbales Dauerfeuer zu nutzen: bis hin zu den "zweihunderttausend moldawischen Prostituierten", die sein Held mit dem Fallschirm über Saudi-Arabien abspringen lassen will, um den islamischen Gottesstaat ins Wanken zu bringen.
Der haltlose jüdische Macho
Olivier Guez' Roman "Koskas und die Wirren der Liebe" erzählt die Geschichte eines 30-jährigen jüdischen Machos par excellence. Hyperaktiv steigt der Journalist durch alle Betten, palavert, frisst, säuft, kifft und kokst. Sein spätpubertäres Gehabe geht nicht nur seinen Eltern, einem Gynäkologen und einer Urologin, gehörig auf die Nerven. Auch mancher Leser dürfte sich anfangs im falschen Film fühlen. Doch ist Jacques Koskas ein intelligenter, im Inneren unsicherer Aufschneider – und das macht ihn wieder interessant.
"Jacques zweifelte. Der wahre Glaube wäre ihm zu anspruchsvoll und anstrengend gewesen. Hätte ihn zu der Herde genötigt, von der er sich doch gerade mit allen Mitteln abzugrenzen versuchte. Da er aber auch seiner Zweifel nicht ganz sicher war, rettete er sich in ein träges, beruhigendes Dazwischen, weder abtrünnig noch gläubig. […] Er hatte sich in den Kopf gesetzt, für die vierzig Generationen an Hausierern und Ärzten, die ihm vorangegangen waren, das Leben zu genießen. Und nicht zuletzt vor seinem Vater, ewiges wohlmeinendes Schreckgespenst, dessen Ratschläge er überhörte. Nie würde er ihm den Gefallen tun und ihm gleichen, so lachhaft, wie er war: ein guter Jude, ein treuer Synagogengänger, ein Mann mit Verantwortung, nie im Leben!"
Die Eitelkeiten des "Sephardenmännchens"
Nichts ist Jacques Koskas heilig, außer einer Ernährung, die seine Libido in Schwung hält. Seine Gier nach Frauen und seine Unberechenbarkeit sind die Garanten für einen unterhaltsamen, abgedrehten Plot. Mal treibt Olivier Guez seinen Roman "Koskas und die Wirren der Liebe" an den Rand der Groteske, mal glaubt man sich in einer modernen erotischen Variante von Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahren. In jedem Fall: Guez versteht das eingängige, freche, pointenreiche Prosa-Handwerk so gut wie seine Übersetzerin Nicolas Denis. Vor allem die Kurz-Porträts mit ihrem mal ironischen, mal gehässigen Witz haben es in sich. So als Koskas mit einer Kollegin der Pariser Wirtschaftszeitung, bei der er arbeitet, ins Restaurant geht:
"Er hatte allerdings Angst, mit der Großhandelsbeauftragten im Schlepptau einen Kollegen von La Turbine zu treffen: Gelinde gesagt schmeichelte Clémence nicht gerade seiner Eitelkeit als Sephardenmännchen. Auch wenn Jacques seitenlang aus Radetzkymarsch zitieren konnte und sich als Mann ohne Eigenschaften begriff, blieb er ein erklärter Freund kupferfarbener Sexbomben, an deren Arm er gern auf den Grands Boulevards oder vor der Synagoge von S. herumstolzierte. Clémence aber war weder Farah Fawcett noch Jacqueline Bisset, die beiden Musen, auf deren Porträts der Götzenanbeter vor dem Schlafengehen regelmäßig einen Kuss drückte."
Nach der Hälfte des Romans, im Januar 2005, beginnt der Sinkflug: Es werden Burnout-Symptome diagnostiziert. Koskas flieht nach Brasilien und schreibt Tagebuch. Der Gestresste sucht ein zweites Leben. Aber es kommt in dieser Tragikomödie noch schlimmer: Nach der Rückkehr stellt ein Arzt zufällig Hodenkrebs fest. Der Frauenheld scheint am Ende. Jacques Koskas schreibt sein Testament. Auf die Nachricht seiner Hauptgeliebten, der "Tigerin", sie sei schwanger, weiß er nur eine Antwort: Er schwängert auch noch Clémence, um garantiert nicht spurlos von dieser Welt zu verschwinden.
Endlich die große Liebe
Nach der Operation macht sich der - wie es heißt – "Luftikus" dann, wie gewohnt, aus dem Staub: mit einer Hode in Richtung Berlin. Der selbst auferlegten Enthaltsamkeit nach dem überstandenen Krebs folgt endlich die große Liebe zur Pianistin Barbara. Wunderbar die Beschreibung der Ängste von Jacques Koskas vor und während der ersten Begegnung seiner Eltern mit den potentiellen Schwiegereltern. Er muss reumütig erkennen, wie sehr er die Seinen unterschätzt hat. Doch heißt das: Alles wird gut?
"Allmählich verlor er selbst den Überblick über seine grandiosen Einfälle. Einer jagte den nächsten, und er verfiel aufs Neue in seine österreichisch-ungarischen Schrullen: ein ständiges Schwanken und Auf-der-Stelle-Treten, monotone Kreisbewegungen, jugendlicher Tatendrang und romantische Entschlussunfähigkeit. Jacques wirbelte umher wie ein Kreisel-Mensch und fiel exakt dort, wo er gestartet war, auf den Allerwertesten zurück. Barbara war zunehmend verstört von seiner wechselhaften Persönlichkeit, seinem angeborenen Sinn für Zerstreuung, von den kunstvollen Ausweichmanövern, die immer mehr an ihm nagten, ohne dass er es merkte, während sie von Monat zu Monat hellsichtiger wurde. Sein Königreich war das Mögliche, und beim geringsten Hindernis suchte er das Weite, als wäre das Leben nur eine unversiegbare Quelle von Vergnügungen, als lebte er noch immer und für alle Zeiten in der mütterlichen Gebärmutter, er, das Chamäleon, der Wetterhahn."
"Koskas und die Wirren der Liebe" ist ein turbulenter Roman voller überraschender Wendungen. Natürlich bekommt der Frauenheld, der so viele Herzen verletzt zurückließ, am Ende die Rechnung. Und wie immer steigert er sich in das Desaster hinein. Seine Bauchlandung jedenfalls ist logisch. Aber wohin führt sie? Alles darf man nicht verraten. Nur so viel: Olivier Guez' Roman ist durch seine sexuell überladene Hochtourigkeit – bei allem Humor - nicht der große Wurf. Aber er erzählt indirekt viel über die Abgründe der Liebe, des Glaubens, des Ehrgeizes.
Olivier Guez: "Koskas und die Wirren der Liebe"
aus dem Französischen von Nicola Denis
Aufbau Verlag, Berlin. 336 Seiten, 22 Euro.