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Olympia-Berichterstattung bleibt schwierig

China hat nach internationalen Protesten die Zensur für das olympische Pressezentrum teilweise aufgehoben. Dennoch wird es für ausländische Journalisten nicht möglich sein, sich wie gewohnt frei im Internet zu bewegen, sagt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club.

Constanze Kurz im Gespräch mit Sandra Schulz | 01.08.2008
    Sandra Schulz: Auch wenn sich nun eine Einigung abzeichnet im Streit um die chinesische Internetzensur, die Haltung der chinesischen Regierung hat für viel Empörung gesorgt bei den Journalisten, die von den Olympischen Spielen in Peking berichten sollen ab Ende nächster Woche. Ob die Einigung, die das IOC nun vermeldet, auch gleichzusetzen ist mit einer vollständigen Freigabe, das ist noch offen. Von einer Great Firewall ist die Rede in Anspielung auf die Chinesische Mauer und auf den technischen Begriff Firewall, der für den Schutz vor unerlaubten Zugriffen steht. Was technisch dahintersteckt, das wollen wir in den nächsten Minuten klären. Am Telefon begrüße ich die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, Informatikerin der Humboldt-Universität in Berlin. Guten Morgen.

    Constanze Kurz: Guten Morgen.

    Schulz: Frau Kurz, aus welchen Bausteinen ist die Great Firewall gemacht?

    Kurz: Ja, China benutzt mehrere Techniken, um sich eben möglichst abzugrenzen von dem normalen Internet. Dazu gehören üblicherweise solche Wortfilter, dass also bestimmte Worte wie etwa Tibet oder Falun Gong ausgefiltert werden und dass eben bestimmte Adressen im Internet geblacklisted werden, so wie man es nennt, es sind also quasi ganze Adressen, die nicht vom chinesischen Netz aus erreichbar sind. In der Regel ist das tatsächlich eine Maßnahme, die sehr gut funktioniert, da China ein sehr hoch zentralisiertes Netz hat und wenige große Knoten, über die eben der Internetverkehr geht.

    Schulz: Aber was heißt das, rausgefiltert? Es sitzt da jemand sozusagen in einem Kontrollzentrum und hat, bildlich gesprochen, einen Filter in der Hand?

    Kurz: Na, das sind schon automatisierte Methoden. Allerdings Kontrolleure gibt es ebenfalls, also menschliche. Man sagt, da gibt es natürlich keine genauen Zahlen, aber es sollen etwa 30.000 Kontrolleure, menschliche Kontrolleure in China aktiv sein, also überhaupt nicht vergleichbar mit einer Zensur anderswo auf der Welt, vielleicht höchstens noch mit Iran vergleichbar. Das heißt, die Zensur in China funktioniert automatisch, aber auch manuell überprüft.

    Schulz: Und wie funktioniert diese Blockade über Stichworte?

    Kurz: Man sucht sich vorab für die Algorithmen, die dann filtern eben bestimmte Worte. Das sind natürlich auch einfach kinderpornographische Inhalte oder dergleichen, aber eben auch Inhalte politischer Natur, zum Beispiel eben Human Rights oder Fragen nach Todesurteilen, also Death Sentences, sodass eben die, zum Beispiel, Google-China-Seite ganz gezielt mitarbeitet daran und eben diese Wortfilter ebenfalls einsetzt. Also auch andere, zum Beispiel Portale wie Microsoft und Newsportal arbeiten da mit, oder Yahoo, also viele von den westlichen Firmen haben sich da dem chinesischen Druck gebeugt und haben sich gesagt "Unsere Services, die wir in China anbieten, sind ebenfalls gefiltert".

    Schulz: Wäre das ein Argument dafür, diese Suchmaschinen, die da zusammenarbeiten mit der chinesischen Regierung, zu boykottieren?

    Kurz: Ja, das wird auch für den westlichen Benutzer sehr schwierig, denn wir wissen ja, dass Google auch hier in Europa einen ganz großen Marktanteil hat und das wird sehr schwierig, denn die meisten großen Firmen, die wir im Suchmaschinenbereich kennen, arbeiten schlicht mit der chinesischen Regierung seit Jahren schon zusammen. Google hat sich da etwa so vom Motto gesagt, also lieber ein bisschen Google für die Chinesen, als gar kein Google. Daher arbeiten wir damit zusammen. Das ist natürlich von vielen Bürgerrechtlern schon vor Jahren kritisiert worden.

    Schulz: Ist der Mailverkehr auch betroffen?

    Kurz: Der Mailverkehr ist auch betroffen. Es ist auch häufig so, dass immer wieder berichtet wird, dass Mails ganz und gar verloren gehen, gar nicht ankommen, und dass auch noch eine zweite Sache passiert, nämlich eine sehr starke Verzögerung beim Internetverkehr, bei E-Mails und bei Webseiten, dass eben etwa nur sehr langsam die einzelnen Pakete ausgeliefert werden. Auch dieses ist wohl eine Form von Zensur, und dass man etwa, wenn man bestimmte Webseiten von China aus aufruft, immer wieder Time-outs hat, sodass man die Seite am Ende nie aufrufen kann.

    Schulz: Also, es ist eine falsche Vorstellung, das so zu sehen, dass einzelne Briefe sozusagen abgefangen werden?

    Kurz: Also, es wird immer wieder berichtet, dass einfach E-Mails nicht ankommen. Natürlich ist es sehr schwer, Einblick zu erhalten. Man hört immer nur von Einzelfällen, die eben Menschen berichten, die dort arbeiten oder eine Weile sich in China aufgehalten haben, die einfach erzählen, dass sie dann eben zu Hause angerufen haben und berichtet bekommen haben, dass eigentlich eine E-Mail da sein sollte und die kam nie an. Aber da kann man natürlich schlecht Zahlen nennen und wie viel Prozent das etwa betrifft, das ist unbekannt.

    Schulz: Gibt es die Möglichkeit, diese Sperren zu überwinden technisch?

    Kurz: Es gibt eigentlich eine ganze Reihe von Möglichkeiten und wir haben auch immer wieder Berichte bekommen, gerade von jungen Chinesen, dass die technisch fitten Chinesen sich durchaus da gewitzt versuchen, dieser Zensur zu entziehen, bis hin dazu, dass sie etwa Morsecodes versenden und dergleichen. Sie können etwa auf westliche Proxys, also sogenannte Vermittlerrechner, die man Proxys nennt, zurückgreifen, die ihnen dann ermöglichen, diese Sperren zu umgehen. Aber hier ist natürlich ein gewisses Katz- und Mausspiel immer dabei, denn gerade wenn auch so viele menschliche Kontrolleure in China arbeiten, kann man natürlich auch leicht hier versuchen, einzugreifen. Des Weiteren kann man natürlich versuchen, Anonymisierungsservices zu benutzen. Also etwa wie Tor. Das ist also eine Möglichkeit, anonym im Internet zu surfen. Aber auch hier haben wir gehört, dass durchaus da technische Schwierigkeiten bestehen und immer wieder gefiltert wird, sodass man die auch nicht überall benutzen kann.

    Schulz: Sind das denn Optionen, die rein theoretisch auch den Journalisten im Pressezentrum zur Verfügung stehen?

    Kurz: Auf jeden Fall. Wir raten auch den Journalisten, sich darauf vorzubereiten, denn mittlerweile ist ja bekannt, dass eben auch die Journalisten nicht unzensiert surfen können, dass sie sich also möglichst technisch vorbereiten sollen, also Proxy-Listen etwa bereithalten sollten, die sie benutzen können.

    Schulz: Und was sind das für Proxy-Listen?

    Kurz: Es gibt natürlich tausende Rechner im Internet, die man als Proxys verwenden kann. Und es ist eigentlich sehr einfach etwa im Browser wie im Internet Explorer oder im Firefox eine Einstellung vorzunehmen, dass jeglicher Internetverkehr, den man vornimmt, also irgendwelche http-Adressen, die man eingibt, über diesen einen Proxy laufen. Das ist eine Voreinstellung, die man vornehmen kann, und dann kann man in der Regel eine ganze Weile über diesen Proxy surfen, muss aber davon ausgehen, dass es nicht ewig klappt, sondern dass nach einer Weile auch dieser Proxy abgeschaltet wird und man deshalb eine Liste mitnehmen sollte. Wir sind da auch gerade dabei, beim CCC, einige Hilfen anzubieten, da wir sehr viele Anfragen haben und wir versuchen da, einige Informationen zusammenzustellen und dann anzubieten. Das kann allerdings noch ein bisschen dauern, ehe wir das zusammengestellt haben.

    Schulz: Geht das denn theoretisch von jedem Computer aus?

    Kurz: Also, wir müssen da jetzt erst gerade noch testen, das heißt, wir haben uns jetzt die ersten Journalisten, die bereits in China sind und Vorberichterstattung machen, da haben wir Kontakte und wir werden testen müssen, welche technischen Möglichkeiten tatsächlich gehen und das werden wir dann auch öffentlich machen, wenn wir es rausbekommen haben.

    Schulz: Und könnte daraus auch der chinesische Otto-Normalsurfer Honig saugen?

    Kurz: Also wir wissen ja, dass sich junge Chinesen, die sich gut auskennen, durchaus, zumindest teilweise, dieser Zensur entziehen können, das klappt. Wir gehen aber schon davon aus, dass zumindest das Pressezentrum in Peking noch andere Möglichkeiten haben wird, als etwa die doch sehr stark regulierten Internetcafés, die es ja reihenweise gibt. Es wird wahrscheinlich noch einen Unterschied machen, aber wir sind gerade erst am Testen.

    Schulz: Von 30.000 Kontrolleuren haben Sie gesprochen. Haben Sie einen Überblick, wie viel Angebote davon betroffen sind?

    Kurz: Na ja, natürlich. Ich meine, es ist klar, dass bestimmte Domains, also Internetadressen, prinzipiell auf den Listen enthalten sind, also die geblockt werden. Von so was ist zum Beispiel YouTube oder auch die BBC und CNN betroffen oder der Guardian, dann die Wikipedia oder Flickr. Bei diesen Seiten wurde das immer wieder berichtet, oder auch die relativ bekannte Blogger-Seite LiveJournal, oder auch Goggle-Blogger, sind eine Menge Seiten, die von vornherein von China aus nicht erreichbar sind.

    Schulz: Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Vielen Dank.

    Kurz: Bitte schön.