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Olympische Winterspiele
Putins Sicherheitswahn

Die russischen Geheimdienste überwachen und zensieren das Internet, tausende Seiten sind gesperrt. Im Schwarzen Meer kreuzen Kriegsschiffe, Kampfjets fliegen, Kurzstreckenraketen sind in Posititon.

Von Thomas Wheeler |
    Offiziell 37.000 Soldaten und Polizisten sollen für sichere Spiele sorgen. Martialisch heißt Sotchi seine Gäste willkommen. Es gibt eine Bedrohung durch islamistische Terroristen aus dem Nordkaukasus. Die Anschläge in Wolgograd im Dezember und ein jüngst bekannt gewordenes Internet-Video der mutmaßlichen Attentäter beweisen es. Aber Putins Sicherheits-Gigantismus ist nahezu grenzenlos. Seine Geheimdienste haben Jeden im Visier: Sportler, Trainer, Wettkampfrichter und Fans.
    "Der Sicherheitswahn in Russland kommt daher, dass die heutigen Geheimdienste in einer Linie mit ihrem Vorgänger KGB stehen, was die Mentalität betrifft. Das heißt, das Beste ist alles zu kontrollieren. Schwer zu akzeptieren sind dabei Systeme wie das Internet, die sich eben nicht so einfach überwachen lassen."
    Andrej Soldatov, Journalist und Experte für Online-Überwachung in Russland. Während der Olympischen Winterspiele wird der Inlandsgeheimdienst FSB nach eigenen Angaben die Kontrolle des Telefon- und Datenverkehrs massiv ausweiten.
    "Die russischen Geheimdienste haben spezielle Monitoring-Programme die sie verstärkt seit dem arabischen Frühling einsetzen. Mit dieser Software durchsuchen sie soziale Netzwerke. Viele Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens sind sehr viel vorsichtiger geworden was ihre Aussagen angeht."
    Mit der Technik "Deep Packet Inspection" (DPI) können die Schnüffler jedes Datenpaket, das durchs Netz läuft, öffnen und überprüfen.
    "Ursprünglich wurde diese Technik von Mobilfunkanbietern zu rein kommerziellen Zwecken genutzt, um den Datenverkehr zu kontrollieren. Inzwischen haben Staaten weltweit erkannt, welche Filtermöglichkeiten dieses Instrument bietet."
    Damit können die Geheimdienste Websites und E-Mails mitlesen, kopieren und Texte sogar manipulieren.
    "Mit dieser Technologie können die Dienste nach Schlüsselworten filtern. Sie wissen, was sich Jeder im Internet ansieht, und welche Inhalte er herunterlädt. Bei Link-Verweisen lassen sich Seiten durch andere ersetzen. Also z. B. statt einer Protestseite gegen Putin etwas ganz Anderes."
    Schwarze Liste der gesperrten Internetseiten
    DPI ist in Russland eine Ergänzung des Rechnersystems Sorm, mit dem der KGB-Nachfolger FSB alle Daten speichert, die im Reich Putins durch das Netz geschickt werden. Seit November 2012 kann die Regierung in Moskau zudem Internetseiten bereits nach einem Anfangsverdacht ohne Gerichtsbeschluss sperren lassen. Die Behörden fordern die Provider auf, unliebsame Inhalte zu löschen. Passiert das innerhalb von 24 Stunden nicht, kommen diese Seiten auf eine "Schwarze Liste", deren Umfang und Zusammensetzung niemand einsehen kann.
    "Das Problem ist, dieses Gesetz wurde als Kampf gegen Pädophilie proklamiert. Die russische Mittelschicht ist bereit, sehr viel hinzunehmen, was Eingriffe in die Privatsphäre betrifft, wenn es um die Sicherheit ihrer Kinder geht. Jeder, der bisher versucht hat, das Gesetz zu kritisieren, wird als Anhänger der Pädophilie verunglimpft."
    Offiziell ist von mehr als 10.000 gesperrten Seiten die Rede. Unabhängige Organisationen sprechen sogar von 80.000. Alexej Sidorenko, Blogger und Netzaktivist.
    "Die Überwachungsmethoden führen auch dazu, dass immer mehr gebildete Russen ihre Heimat verlassen oder sich in die innere Emigration flüchten. Die Protestbewegung hat sich abgekühlt, weil die Regierung kritische Stimmen immer weiter einschüchtert und versucht mundtot zu machen. Die Gefahr ist, dass an die Stelle der Intelligenzija radikale Kräfte treten, die um ihre Meinung durchzusetzen, auch vor Gewalt nicht zurückschrecken."
    "Big brother is watching you", heißt es auch bei den Olympischen Winterspielen, die in gut zwei Wochen in Sotchi beginnen.
    "In den russischen Blogs wird weitgehend negativ über Olympia geschrieben. Über die schlechten Vorbereitungen und die mangelhafte Infrastruktur. Während anfangs vor allem über die ökologischen Auswirkungen diskutiert wurde, geht es jetzt verstärkt um Korruption."
    Mehr als 5.500 Videokameras haben die 300.000 Einwohnerstadt während der Spiele und den anschließenden Paralympics im Visier. Nach den Erkenntnissen von Andrej Soldatov spielt das Nationale Olympische Komitee Russlands bei der Datensammlung eine wesentliche Rolle.
    "Das russische NOK ist quasi die Schnittstelle zu den anderen Behörden. Dort wurden in den letzten Jahren massenweise Informationen über ausländische Sportler, Trainer, Wettkampfrichter und Journalisten gesammelt und können nun bei Anfrage weitergegeben werden."
    Da nützt es wohl kaum etwas Smartphones oder Laptops zu Hause zu lassen. Das nämlich empfiehlt die US-Regierung ihren Bürgern.