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Omar Robert Hamilton: "Stadt der Rebellion“
Hommage an die Toten vom Tahrir-Platz

Die Demonstrationen für Freiheit und Demokratie auf dem Kairoer Tahrir-Platz, der Rücktritt des Diktators Mubarak, die quälende Desillusionierung danach - Omar Robert Hamilton hat den ägyptischen Frühling und Herbst selbst miterlebt und die Erlebnisse nun in seinem Debüt-Roman verarbeitet.

Von Dina Netz | 17.04.2018
    Buchcover Omar Robert Hamilton: Stadt der Rebellion, Im Hintergrund Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo
    Kairo als "Stadt der Rebellion" (Buchcover: Wagenbach Verlag / Hintergrund: picture alliance / dpa / Jacob Ehrbahn)
    Der arabische Frühling 2011 war ein Moment großer Hoffnungen auf der ganzen Welt, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Die historischen und politischen Analysen der Frage, warum die Arabellion so schnell und so radikal scheiterte, füllen ganze Regale. Den Filmemacher und Schriftsteller Omar Robert Hamilton hat für seinen Debüt-Roman weniger die analytische Aufarbeitung interessiert. Er macht in "Stadt der Rebellion" nachvollziehbar, wie sich das Scheitern für die Beteiligten anfühlte. Hamilton kann von ihrem Schmerz erzählen, weil er selbst mitgekämpft hat für ein demokratisches Ägypten. Der Roman hat starke autobiographische Züge, bloß heißt der Protagonist nicht Omar, sondern Khalil. Auch Khalil hat, wie Hamilton, Eltern mit ägyptischen und palästinensischen Wurzeln, auch Khalil kommt aus Amerika nach Kairo und stürzt sich in die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz. Wie viele andere hat er, der vorher ausländischen Journalisten bei ihren Recherchen als Stringer zugearbeitet hatte, endlich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun: für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.
    Vertauschte Chronologie
    Die drei Teile des Romans sind in umgekehrt chronologischer Reihenfolge mit "Morgen", "Heute" und "Gestern" überschrieben, denn Hamilton erzählt, wie der Traum von einem demokratischen Morgen zerplatzte. "Stadt der Rebellion" setzt im Oktober 2011 ein, im arabischen Herbst also, als der Diktator Mubarak zwar zurückgetreten war, als sich aber auch schon der Sieg der Muslimbrüder bei den ersten freien Parlamentswahlen in der ägyptischen Geschichte abzeichnete. Auf diese folgte dann die Machtergreifung durch das Militär und General al-Sisi, der bis heute regiert.
    "Vor einer Stunde hat sie aufgehört, die Toten zu zählen." Dieser Satz, mit dem der Roman einsetzt, gibt Ton und Atmosphäre vor. Von Toten erzählt das Buch immer wieder, von von der Polizei willkürlich Erschossenen, von zu Tode Gefolterten und von verzweifelten Hinterbliebenen. Sie, die die Toten nicht mehr zählt, das ist Mariam, neben Khalil die zweite Figur, aus deren Perspektive Hamilton erzählt. Die beiden sind ein Paar, haben sich am Rande einer Demonstration kennengelernt. Sie arbeiten für ein Aktivisten- und Medienkollektiv, das "Chaos-Kollektiv", das den offiziellen Regierungs-Verlautbarungen seine Sicht der Dinge gegenüberstellt.
    Das Politische wird privat
    Hamilton erzählt von den Mitgliedern dieses Kollektivs, von ihren strategischen Überlegungen und Planungen, den Demonstrationen, bei denen sie immer wieder Leib und Leben riskieren. Genauso schildert er die Kehrseite, die Erosionserscheinungen in der Gruppe, als der revolutionäre Elan erlahmt, einige aufgeben, eine Aktivistin sich sogar auf die Seite des Militärs schlägt. Und Hamilton zeigt, wie das Politische privat wird: wie Mariams und Khalils Liebe unter der Last der Gräuel, die sie verarbeiten müssen, zerbricht. Wie die Revolution die Aktivisten körperlich strapaziert, weil sie kaum zum Essen und Schlafen kommen. Wie das eigentliche Leben, die Berufswahl, die Familienplanung, zum Stillstand kommen, weil alle sich mit Haut und Haaren der Befreiung Ägyptens verschrieben haben.
    Einen "Roman" nennt der Verlag Omar Robert Hamiltons Buch. Es ist eher eine Art autofiktionales Tagebuch mit objektivierenden Einsprengseln: Zwischen die kurzen Szenen, die Khalil und Mariam erleben, blendet Hamilton immer wieder Schlagzeilen, Tweets, SMS, die die Chronologie der sich überschlagenden politischen Ereignisse liefern. Das ist zumindest für ausländische Leser, denen die Geschehnisse von damals vielleicht nicht mehr so präsent sind, ganz hilfreich. Und die Disparatheit der Form passt zum Inhalt. Denn Hamilton hält keine reflektierende Distanz zu den Ereignissen, wie Victor Klemperer das zum Beispiel in seinen Kriegstagebüchern tat. Hamilton stürzt sich mit diesem fiebrigen, atemlosen Buch noch einmal hinein in die diesen intensiven Moment der ägyptischen Geschichte. Er ist eigentlich Filmemacher, und das merkt man dem Buch an: Die kurzen Szenen sind so plastisch, zum Teil aber auch so überdeutlich wie Filmszenen.
    Eindrucksvolles Dokument
    Dass sein Roman im Wesentlichen eine 300 Seiten lange Aneinanderreihung von Gräueltaten ist, kann man Hamilton kaum zum Vorwurf machen. Damit bildet er wohl nur die realen Schrecknisse ab. Überhaupt erscheint es ein wenig unangemessen, "Stadt der Rebellion" mit literaturkritischem Besteck zu untersuchen. Denn Hamilton erzählt von einer äußerst emotionalen Phase in seinem eigenen Leben, die zudem noch nicht lange zurückliegt. Der Text ist literarisch nicht immer gut durchgearbeitet, zum Beispiel geraten die Figuren und die Sprache manchmal etwas klischeehaft. Das sieht man Hamilton aber gern nach, denn "Stadt der Rebellion" ist eher ein eindrucksvolles Dokument dieses zentralen Moments in der arabischen Geschichte als ein Roman. Und es ist eine Hommage an alle, die in dem Kampf für ein freies Ägypten ihr Leben oder nur ihre Illusionen gelassen haben. Und auch wenn Hamilton nicht analysiert, vermittelt allein seine Beschreibung der Ereignisse die ernüchternde Einsicht: Für eine erfolgreiche Revolution braucht man mehr als Ideale. Man braucht auch mächtige Verbündete, und vor allem braucht man – viel Geld.
    Omar Hamilton: "Stadt der Rebellion"
    Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
    Klaus Wagenbach Verlag, Berlin, 320 Seiten, 24 Euro