Dienstag, 19. März 2024

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OPCW in Syrien
"Propaganda von beiden Seiten"

Die Chemiewaffen-Experten der OPCW müssen noch warten, bis sie den mutmaßlichen Giftgas-Angriff in Syrien vor Ort untersuchen dürfen. Die USA sprechen von Manipulationen durch Russland. Das Entscheidende sei jetzt die Untersuchung von Überlebenden, sagte der Linken-Politiker und Ex-Waffeninspekteur Jan van Aken im Dlf.

Jan van Aken im Gespräch mit Christine Heuer | 17.04.2018
    Der Linken-Politiker Jan van Aken
    Der Linken-Politiker und ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (imago stock&people)
    Christine Heuer: Jan van Aken aus dem Bundesvorstand der Linken ist am Telefon, in den letzten Jahren Außenpolitiker seiner Partei im Bundestag, vorher selbst UN-Waffeninspekteur. Guten Morgen, Herr van Aken.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Heuer: Wir haben heute Nacht widersprüchliche Meldungen gehört, über die wir kurz zu Anfang sprechen sollten. Es hat angeblich israelische Angriffe auf syrische Ziele gegeben heute Nacht. Wir können darüber nur spekulieren. Trotzdem: Wie wahrscheinlich finden Sie das?
    Van Aken: Ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich. Israel hat mehrfach in den letzten Jahren auch in Syrien Ziele bombardiert. Jetzt soll es sich aber auch um diesen Flughafen in der Nähe von Idlib handeln, den die Amerikaner vor einem Jahr schon mal bombardiert haben. Das passt überhaupt nicht ins Bild. Die Meldungen sind widersprüchlich. Ich kann nur spekulieren, aber ich glaube eher, dass es ein Fehlalarm war.
    "Die Verzögerung ist natürlich nicht gut"
    Heuer: Dann haben wir das wenigstens besprochen und müssen da neue Informationen abwarten. Lassen Sie uns gucken auf die Entwicklung gestern: Da sind die OPCW-Experten, die in Damaskus warten, bisher nicht nach Duma durften, um die Giftgas-Vorwürfe zu prüfen. Morgen sollen sie nun dahin dürfen. Ist das zu spät für belastbare Ergebnisse bei einer solchen Untersuchung?
    Van Aken: Die Verzögerung ist natürlich nicht gut und ich frage mich, was das für Sicherheitsprobleme gewesen sein sollen. Da steckt man nicht drin und es war wieder die Propaganda auf beiden Seiten in vollem Gange. Aber der mögliche Giftgas-Anschlag war am 7. April. Da ist der Unterschied zwischen sieben Tagen und zehn Tagen danach, dann vor Ort zu sein, nicht so groß. Ich glaube, sie werden trotzdem Ergebnisse bringen, denn das Entscheidende, was die Inspekteure machen werden, das ist, Betroffene, Überlebende, Patienten und Patientinnen zu untersuchen, Proben zu nehmen. Und da wird man auch nach zehn Tagen noch mit Sicherheit sagen können, was dort passiert ist.
    Heuer: Aber der OPCW-Chef, der sagt ja, die Beweise seien extrem flüchtig. Wie muss man sich das denn vorstellen?
    Van Aken: Wir müssen immer davon ausgehen, dass diese Inspekteure in zwei verschiedenen Bereichen arbeiten. Das eine sind die Umweltproben. Das heißt, sie gehen an den Ort, wo möglicherweise dieses Giftgas freigesetzt worden ist, und da ist es wirklich so: Chlorgas ist ein Gas und das ist flüchtig und da wird man von Chlorgas auch schon einen halben Tag später eigentlich kaum noch was feststellen können. Vielleicht haben sie indirekte Effekte, dass dort Pflanzen in der Nähe sind, die ausgebleicht sind, oder was man da so finden kann, aber sie werden von dem Chlorgas nichts mehr finden. Bei Sarin ist es einfacher. Sarin ist zwar auch flüchtig und zersetzt sich schnell, aber es gibt stabile Abbauprodukte. Die sind so eindeutig, dass sie einem auch noch zehn Tage später sagen können, hier ist Sarin eingesetzt worden. Was wirklich stabiler ist, das ist dann der zweite Weg. Das ist die Untersuchung der Überlebenden. Da kann man am Blutbild, auch an Untersuchungen, Verätzungen durch Chlorgas, das kann man auch ein bisschen später noch feststellen.
    "Propaganda von beiden Seiten"
    Heuer: Nun hieß es gestern aus der OPCW, dass es sehr wahrscheinlich Manipulationen durch Syrien und oder durch Russland gegeben haben könnte. Da haben Sie jetzt gerade gesagt, es gibt Propaganda auf beiden Seiten. Ist das Propaganda von der OPCW?
    Van Aken: Ich weiß es nicht. Es wurde berichtet aus der geschlossenen Sitzung des Exekutivkomitees der OPCW, dass angeblich dort der amerikanische Botschafter nicht gesagt hat "mit Sicherheit", sondern er deutete an, es könnte sein, dass die Russen dort in dem Gebäude, wo möglicherweise das Giftgas freigesetzt wurde, Beweise manipuliert haben. Das kann natürlich sein. Es gibt eindeutige Belege, dass Russen in diesem Gebäude waren, einige Tage nach dem Vorfall am 7. April. Aber ob die da was manipuliert haben, ob die was untersucht haben - ich glaube, da ist der amerikanische Botschafter genauso überfragt wie ich. Das ist Spekulation und insofern Propaganda von beiden Seiten. Ich würde jetzt erst mal die Inspekteure ihre Arbeit in Ruhe machen lassen.
    Heuer: Aber genau die Inspekteure, die beklagen sich ja. Die OPCW beklagt sich ja.
    Van Aken: Die OPCW hat nichts von Manipulationen gesagt.
    Heuer: US-Vertreter bei der OPCW haben das gesagt, so hieß es.
    Van Aken: Genau. Das war der US-Botschafter. Das waren nicht die Inspekteure. Die Inspekteure, die haben gestern festgestellt, dass syrische und russische Vertreter in Damaskus sie bis jetzt nicht an den Ort in Duma lassen. Das wird begründet mit Sicherheitsfragen. Ob das vorgeschoben ist von den Syrern, um die noch ein paar Tage fernzuhalten, vielleicht auch, um international wieder ein bisschen herumzustänkern, oder ob es tatsächliche Probleme gab, das kann ich von hier nicht beurteilen.
    "Alle Beteiligte müssten Druck auf ihre Partner machen"
    Heuer: Dann sprechen wir über die politische Debatte. Die EU-Außenminister sagen jetzt, was sie eigentlich immer mal wieder sagen: Man soll sprechen, es soll einen Waffenstillstand geben, es soll verhandelt werden, man sucht eine politische Lösung - möglichst ohne Assad. Hat das noch viel mit der Wirklichkeit zu tun, worauf sich die EU-Außenminister gestern geeinigt haben?
    Van Aken: Auf eine Art nicht. Ich glaube schon, dass die EU, wenn sie es ernst meinen würde mit der Diplomatie, ein paar Schritte nach vorne kommen kann. Man muss sich immer wieder angucken, was passiert in Syrien eigentlich. Das ist ja schon lange kein Bürgerkrieg mehr. Das ist ein Stellvertreterkrieg. Und ganz entscheidend dort sind Iran auf der Seite Assads, die Türkei mit eigenen Interessen und Saudi-Arabien auf der Seite der Islamisten. Dieser große Gegensatz zwischen Iran und Saudi-Arabien, der verhindert eigentlich einen Friedensschluss dort in Syrien. Und ich glaube, da müssten alle Beteiligten mal Druck auf ihre jeweiligen Partner machen. Da müssten die Russen Druck auf den Iran machen, da müsste vor allen Dingen der Westen, da müsste die Bundesregierung auch mal Druck auf Saudi-Arabien machen, dass die dort ihr schmutziges Spiel sein lassen. Ohne solchen Druck auf die Länder, die dort ihren Stellvertreterkrieg führen, wird es auch …
    Heuer: Was meinen Sie damit konkret, Druck auf Saudi-Arabien durch Deutschland?
    Van Aken: Na ja. Saudi-Arabien kauft immer noch bis heute Waffen ein hier in Deutschland. Es gibt Möglichkeiten, irgendwann dem König von Saudi-Arabien nicht nur den roten Teppich in Berlin auszurollen, sondern zu sagen, genug ist genug, wir wollen Frieden für die Menschen in Syrien, jetzt hört auf, da weiter die Islamisten zu bewaffnen und finanziell zu unterstützen.
    "So viele Möglichkeiten, wo die EU hätte eingreifen können"
    Heuer: Aber spielt der Westen überhaupt noch eine Rolle in diesem großen Konflikt rund um Syrien und in Syrien, Herr van Aken?
    Van Aken: Im Moment nicht. Im Moment, muss man sagen, hat Europa sich selbst dort rauskatapultiert. Ein anderes Beispiel ist der Norden von Syrien. Der Norden von Syrien war lange Zeit eine Art Rückzugsgebiet, wo nicht gekämpft wurde, weil dort die kurdischen Milizen die Grenzen sowohl gegen Assad als auch gegen die Dschihadisten verteidigt haben. Da sind Hunderttausende aus den restlichen Gebieten Syriens hingeflüchtet, weil dort Ruhe herrschte. Und dann fällt die Türkei dort ein und die Bundesregierung guckt zu und sagt keinen Ton. Da gibt es so viele Möglichkeiten, wo Deutschland, wo die EU mal massiver diplomatisch hätte eingreifen können. Das tun sie nicht und deswegen spielen sie auch keine große Rolle.
    Heuer: Putin kündigt ja entschiedene Reaktionen an, wenn der Westen noch einmal Syrien angreifen sollte. Was muss man sich nun darunter vorstellen?
    Van Aken: Ich weiß es nicht. Sie haben ja auch direkt nach dem Militärschlag am Samstag gesagt, wir werden antworten, und dann war die Antwort eine diplomatische, was ja erst mal gut ist, dass es nicht militärisch eskaliert ist. Da ist natürlich auch ganz viel Krieg der Worte, genauso wie Trump letzte Woche herumgemackert hat mit seinen Tweets, wie smart seine Raketen sind. Ich befürchte im Moment eigentlich nicht eine militärische Eskalation zwischen USA und Russland. Nur so richtig unter Kontrolle hat man zwei solche Nationalisten, wie Trump und Putin das sind, nicht, die irgendwann dann auch mal glauben, sie müssten den starken Mann spielen. Das kann außer Kontrolle geraten, aber im Moment sehe ich keine große Gefahr.
    "Einen größeren Krieg sehe ich im Moment nicht"
    Heuer: Wenn es außer Kontrolle geriete, was würde das konkret heißen?
    Van Aken: Na ja. Wir hatten über viele Jahrzehnte den Kalten Krieg. Und wenn jetzt plötzlich Russland und die USA anfangen, aufeinander zu schießen, welche Eskalation das geben kann, mag ich mir gar nicht vorstellen. Aber wie gesagt, das sind düstere Szenarien. Die möchte ich nicht an die Wand malen. Es ist im Moment ganz schlimm für die Menschen in Syrien, aber einen größeren Krieg zwischen den beiden Weltmächten sehe ich im Moment nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.