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Opfer und Täter leben Tür an Tür

Für die Menschen in Nairobis Armenviertel Mathare hat sich seit den Unruhen im Zuge der Wahlen 2007 nichts geändert. Sie leben noch immer im Elend. Junge Männer sind auch jetzt wieder bereit, zur Waffe zu greifen, wenn ihnen jemand ein paar Schilling in die Hand drückt.

Von Antje Diekhans und Bettina Rühl |
    Das Frühprogramm von "Ghetto Radio”. Der Sender ist in ganz Nairobi zu empfangen, zielt aber vor allem auf die Jugend in den Slums. Am Mikrofon ist Eric Kioko alias DJ Talanta.

    Er ruft die Kenianer auf, bei den kommenden Wahlen friedlich zu bleiben. Der 30-Jährige hat vor fünf Jahren während der Unruhen schreckliche Erfahrungen gemacht. Eins der am häufigsten abgedruckten Bilder damals zeigte eine abgehackte Hand.

    "Das ist mein Arm mit meiner Uhr. Sie haben ihn mir mit einer sehr scharfen Panga abgeschlagen. Wenn sie meinen Kopf getroffen hätten, wäre mein Schädel gespalten gewesen. Nach dem Angriff bin ich weit gelaufen - wenn ich dir die Strecke zeige, wirst du es kaum glauben können."

    DJ Talanta führt durch Mathare. Es ist eine dicht bebaute Armensiedlung, die in einem Talkessel liegt. Auf den meisten Wegen können zwei Leute nicht nebeneinander gehen. Nach den vergangenen Wahlen standen hier viele Hütten in Flammen. Bewaffnete Gruppen zogen umher. Sie mordeten und plünderten. Der Platz, an dem Talanta attackiert wurde, liegt am Rande des Slums.

    "Ich habe eine Gruppe von etwa 17 Männern gesehen, die eine Frau vergewaltigten. Es war dunkel. Ich wollte ihr helfen, hatte aber keine Waffe dabei. Also habe ich einen Stein genommen und ihn geworfen. Dabei habe ich aber übersehen, dass einige Wache standen."

    Drei Männer kamen mit Buschmessern, sogenannten Pangas, auf ihn zu. Im Reflex riss er seinen Arm hoch, um seinen Kopf zu schützen. Das rettete ihm das Leben. Mit seiner schweren Verwundung rannte Talanta dann nur noch.

    Wohlmöglich war Tom in jener Nacht dabei, der Name ist ein Pseudonym. Falls er dabei war, hat er Talanta sicher nicht laufen gesehen. Sonst wäre er ihm wahrscheinlich nachgerannt, hätte ihm den Rest gegeben.

    "Wir haben viele Menschen umgebracht. Insgesamt vielleicht 30."

    Diese makabre Bilanz bezieht Tom nicht nur auf die Gewaltwelle nach den Wahlen, sondern auf sein ganzes Leben. Aber auch nach den letzten Wahlen zog er mit seiner Gang durch Mathare, tötete, setzte Häuser in Brand. Bezahlt wurden sie dafür von einem Politiker, für den die Gang immer noch arbeitet.

    "Meistens kriegen wir Geld dafür, dass wir Unruhe stiften. Oder gegen andere Leute kämpfen. Manchmal sollen wir auch Leute kidnappen, oder ihren Besitz zerstören."

    Tom nennt den Auftraggeber "Boss". Der sei, sagt der 26-Jährige, ein hochrangiger Politiker. Seinen Namen nennt er nicht, das könnte für ihn tödlich sein. Tom weiß nicht, ob er Anfang 2008 bei dem Überfall auf Talanta dabei war, an seine Opfer erinnert er sich nur selten.

    "Manchmal empfinde ich Mitleid mit jemanden. Aber ich töte ihn trotzdem. Ich brauche das Geld, und unser Boss droht uns oft: Entweder ihr tötet oder ihr seid selbst dran. Das sagt er immer, wenn wir einen Befehl nicht ausführen wollen: Ihr macht das besser, sonst werdet ihr getötet."

    Die Opfer seien meist Kikuyu aus dem Nachbarviertel namens "3C". In Mathare leben die Ethnien weitgehend getrennt in unterschiedlichen Vierteln. Tom gehört zum Volk der Luo und lebt in 4B. Die Jugendgangs beider Viertel greifen einander immer wieder an. Im Vorfeld der Wahlen noch häufiger als ohnehin üblich.

    "Für einen Mord kriegen wir nicht viel, nur 500 Schilling."

    Das sind etwa 4,30 Euro. Als Waffe benutzen sie Messer oder Pangas. Die sind an jeder Ecke zu haben und kosten nicht viel, umgerechnet nicht einmal zwei Euro. DJ Talanta hat erfahren, wie scharf diese Waffe ist.

    "Ich sage den Leuten: Wenn du noch nie von einer Panga verletzt wurdest, kennst du den Schmerz nicht. Wer zur Waffe greift, muss damit rechnen, dass auch er selbst oder seine Kinder sterben könnten."

    Aber Tom beschreibt das Morden so gleichgültig, als würde er über einen Job als Schreiner reden.

    "Wir haben kein Geld. Also nehmen wir das Angebot an, zu töten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen."

    DJ Talanta überlebte den Angriff in jener Januarnacht 2008 nur knapp. Später musste er noch mehrere Amputationen durchmachen, weil die Wunde schlecht verheilt war. Von seinem Arm blieb ihm ein Stumpf.

    In seinen Sendungen will der Reggaefan gute Laune rüberbringen und sich nicht ständig als Opfer präsentieren. Den Tätern von damals hat er verziehen, sagt er.

    "Ich will diesen Hass unter den Volksgruppen nicht in mein Herz lassen. Mein Programm nenne ich Amani, das bedeutet Frieden."

    Was Talanta Sorgen bereitet: Dass sich für die Menschen in Mathare seit den vergangenen Wahlen nichts geändert hat. Sie leben noch immer im Elend. Junge Männer sind auch jetzt wieder bereit zur Waffe zu greifen, wenn ihnen jemand ein paar Schilling in die Hand drückt. So wie Tom.

    Dessen Augen sind an diesem Nachmittag rot. Vermutlich hat er gerade wieder Schnaps getrunken. Das illegale Brauen dieses starken Alkohols ist sein zweiter Job, neben der Gewalt. Vor jedem Mord, sagt Tom, trinken sie auf Kosten des Bosses, rauchen Joints. Danach sind sie zu allem bereit.

    "Häufig kriegen wir Fotos. Wir kriegen gesagt: Der hier sollte heute noch umgebracht werden. Wenn wir das schaffen, kriegen wir wie gesagt 500 Shilling. Gelingt es uns, eine ganze Familie auf einmal zu töten, kriegen wir mehr Geld. Viel Geld. Das teilen wir dann untereinander."

    Erst kürzlich hätten sie sich wieder mit ihrem Boss getroffen.

    "Er sagte, dass er noch mehr Fotos besorgen wird, damit er uns noch mehr Jobs geben kann. Vor den Wahlen, sagt er, gibt es noch etwas zu tun."

    Und auch nach den Wahlen, sagt Tom, wenn ihr Kandidat nicht gewinnt.