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Oppermann verteidigt Verzicht auf Diätenerhöhung

Nach Ansicht des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, war der Verzicht auf die geplante Diätenerhöhung für Abgeordnete eine richtige Entscheidung. Offensichtlich werde eine Anhebung der Bezüge in der Öffentlichkeit nicht akzeptiert.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Unionspolitiker haben den gestrigen Verzicht auf die zusätzliche Diätenerhöhung für Bundestagsabgeordnete scharf kritisiert. Ich zitiere den CDU-Rechtspolitiker Jürgen Gehb. Er sagt "erst die Lippen spitzen, dann nicht pfeifen. Das ist eine der peinlichsten Entscheidungen, die je getroffen wurden, und ein Armutszeugnis für die Verlässlichkeit der Politik". Der Innenpolitiker Hans-Peter Uhl von der CSU nennt den Verzicht auf die Diätenerhöhung unerträglich und sagt wörtlich "es ist eine Unverschämtheit, einem Bundestagsabgeordneten nicht das Gehalt eines Landrats oder eines Bürgermeisters in einer mittelgroßen Stadt zu gewähren". - Am Telefon ist Thomas Oppermann, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Oppermann!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen Herr Spengler!

    Spengler: Hat Herr Uhl Recht? Ist das Umfallen falsch? War also die Erhöhung in der Sache richtig und nur falsch vermittelt?

    Oppermann: Ich glaube wir hatten eine sehr kritische Diskussion zu dem Thema. Wir hatten diese Diskussion auch in unserer Partei. Das spricht übrigens nicht gegen die SPD, sondern für die SPD, dass unsere Mitglieder und auch unsere Mandatsträger so etwas besonders sensibel und kritisch diskutieren. Deshalb ist jede Diätenerhöhung innerhalb der SPD immer ein Politikum, immer auch eine Glaubwürdigkeitsfrage. Ich bin sehr dafür, dass wir uns auch in Zukunft bei der Frage, was eine angemessene Entschädigung für die Abgeordneten darstellt, an der Richterbesoldung orientieren, an der Bezahlung von Bürgermeistern und Landräten. Aber das nützt nichts! Dieser allgemeine Maßstab wird so offenkundig noch nicht akzeptiert. Wir müssen noch mehr dafür werben, dass das auch in breiten Bevölkerungskreisen Zustimmung findet.

    Spengler: Habe ich jetzt die Antwort auf meine Frage überhört, Herr Oppermann? Die lautete, ob das Umfallen falsch war, also ob die Erhöhung in der Sache richtig war und nur falsch vermittelt wurde.

    Oppermann: Es ist richtig, wenn wir uns an R6/B6, also an der Richterbesoldung orientieren. Ich halte das nach wie vor für richtig. Wir werden wohl auch in der nächsten Wahlperiode einen erneuten Anlauf unternehmen, um diese Orientierungsgröße zu erreichen. Trotzdem war es richtig, aufgrund der sehr kritischen Diskussion, aufgrund der großen Ablehnung in weiten Teilen der Öffentlichkeit, jetzt auf die Durchführung des Vorhabens zu verzichten.

    Spengler: Sie haben ja schon angesprochen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wäre es nicht besser, wenn die SPD mit einer Initiative käme, die Diäten völlig zu reformieren, die Abgeordnetenbesoldung grundsätzlich neu zu regeln, vielleicht die üppige Altersversorgung und die steuerfreie Aufwandspauschale abzuschaffen?

    Oppermann: Nun ist ja die Altersversorgung im letzten Jahr auch noch mal um 0,5 Prozentpunkte abgesenkt worden - im Zusammenhang mit dieser Orientierung auf die Richterbesoldung. Das war allerdings noch keine Totalreform, wie sie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen stattgefunden hat. Dort müssen die Abgeordneten selbst für die Altersversorgung aufkommen.

    Spengler: Ja. So etwas schwebt mir vor! Warum gibt es keine SPD-Initiative auf Bundesebene?

    Oppermann: Wir sind offen für eine solche Diskussion. Wir sind aufgeschlossen. Wir haben bisher beim Koalitionspartner in dieser Frage wenig Zustimmung bekommen.

    Spengler: Aber wäre es nicht gut, wenn Sie damit in die Offensive gingen?

    Oppermann: Wir werden jetzt in aller Ruhe überlegen, nachdem wir die Diätenerhöhung gestoppt haben, wie wir in der nächsten Wahlperiode in dieser Frage vorgehen. Ich glaube es gibt Bedarf für eine ruhige und abgeklärte Diskussion. Es kann nicht sein, dass jede Diätenerhöhung die ganze Republik in totale Wallung versetzt. Wir brauchen ein Verfahren, das so rational ist und so akzeptiert ist, dass nicht immer die ganze Politik vorgeführt wird.

    Spengler: Ein Expertengremium von außen?

    Oppermann: Das ist der Vorschlag der FDP, wird auch von Teilen der Union vertreten. Ein solches Expertengremium, eine Sachverständigenkommission beim Bundespräsidenten etwa, könnte natürlich Vorschläge machen, aber solche Vorschläge muss der Gesetzgeber spätestens im Haushaltsgesetz dann doch wieder selber umsetzen. Es führt also kein Weg daran vorbei, dass die Abgeordneten selber über ihre Einkünfte entscheiden müssen. Das hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt und das könnte man selbst mit einer Verfassungsänderung in Richtung Diätenkommission nicht ändern.

    Spengler: Fasse ich Sie jetzt richtig zusammen, Herr Oppermann, wenn es heißt "jetzt machen wir erst mal gar nichts, in der nächsten Legislaturperiode sind wir für Vorschläge offen, aber eine Initiative zu einer grundlegenden Reform ist von uns nicht unbedingt zu erwarten"?

    Oppermann: Wir müssen das im Konsens mit den anderen Parteien machen. Es hat auch keinen Zweck, diese Frage zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung zu machen. Für die Opposition ist es immer sehr verlockend, gegen Diätenerhöhungen vorzugehen, sie scharf zu kritisieren. Viele Oppositionsabgeordnete tun das übrigens in der Hoffnung, dass die Zustimmung der Mehrheit gesichert ist. Darin sind sie diesmal aber enttäuscht worden.

    Spengler: Das heißt von Ihnen kommt ein Vorschlag für eine große Reform dann, wenn Sie möglicherweise nächstes Mal selbst in der Opposition sitzen?

    Oppermann: Wir werden beim nächsten Mal wieder in der Regierungsmehrheit sein; dafür arbeiten wir!

    Spengler: Was ist das bessere Bild, was sich jetzt der Öffentlichkeit für die Abgeordneten bieten soll? Die Abgeordneten sind erst gierig und dann feige, oder sie sind erst abgehoben und dann einsichtig?

    Oppermann: Ich finde es spricht nicht gegen das Parlament. Es spricht auch nicht gegen die SPD, dass wir aufgrund einer so kritischen Debatte unseren Kurs korrigieren. Ich halte das eher für ein Zeichen politischer Klugheit und politischer Vernunft. Man kann nicht alles mit der politischen Brechstange durchsetzen. Wir müssen um Zustimmung werben, wir müssen um Akzeptanz werben und deshalb akzeptiere ich diese Schablone, die Sie mir da vorlegen, so nicht.

    Spengler: So ein Rückzieher, der bleibt ja nicht folgenlos. Peter Struck, der alte Fahrensmann, schreiben die "Lübecker Nachrichten", er habe die Lage falsch eingeschätzt. Es sei eine bittere Lektion für ihn. Woran lag es am Ende, dass es so falsch eingeschätzt wurde?

    Oppermann: Jede Diätenerhöhung ist ein Risiko. Jede Diätenerhöhung führt zu einer großen emotionalen Diskussion in der Bevölkerung. Es gibt immer Gruppen, deren Einkünfte gerade weniger steigen oder gar nicht steigen. Mit diesen Debatten haben wir natürlich gerechnet. Dass es aber eine so breite ablehnende Diskussion würde, das hatten wir nicht angenommen. Jetzt wissen wir es besser. Dann müssen wir die richtige Entscheidung treffen.

    Spengler: Sie waren abgehoben? Würden Sie das sagen?

    Oppermann: Nein! Wir wären abgehoben, wenn wir auf diese Debatte nicht reagiert hätten und hätten gesagt "Augen zu und durch". Das wäre eine abgehobene Entscheidung gewesen. Genau das haben wir nicht gemacht!

    Spengler: Herr Oppermann, hat Peter Struck jetzt seine Autorität als Fraktionschef eingebüßt?

    Oppermann: In keiner Weise. Diejenigen bei uns, die mit großer Mehrheit diese Entscheidung ja mitgetragen haben, haben Verständnis dafür und diejenigen, die sie abgelehnt haben, sowieso. Ich sehe die Autorität der Fraktionsspitze in keiner Weise in Frage gestellt.

    Spengler: Was sagen Sie zur Forderung Ihres Fraktionskollegen Lauterbach der sagt, ohne bundesweite Mindestlöhne keine Diätenerhöhung?

    Oppermann: Wir kämpfen für bundesweite Mindestlöhne und das tun wir völlig unabhängig von Diätenerhöhungen.

    Spengler: Nach diesem Desaster - das muss man schon so sagen -, nach der SPD-Kakophonie zur Wahl des Bundespräsidenten, zur Steuerentlastung, zum Empfang des Dalai Lama, wundert Sie das, dass die SPD nach einer aktuellen Umfrage von Forsa weiter an Boden verliert - 23 Prozent?

    Oppermann: Bei Forsa verlieren wir ständig an Boden. Das geht mal ein oder zwei Prozent hoch, um dann gleich wieder runterzugehen. Ich sehe in der Tat natürlich, dass wir keine guten Umfragewerte haben. Das hat auch was damit zu tun, dass wir in vielen Feldern im Augenblick mit zu vielen Stimmen sprechen. Wir brauchen mehr Disziplin, mehr Geschlossenheit. Wir werden diese auch schon in der nächsten Woche erreichen. Ich glaube, dass das große Parteitreffen, das wir in Nürnberg haben werden, der SPD zu einer größeren Geschlossenheit verhilft. Wir haben klare Positionen in der Steuerpolitik. Wir haben auch eine klare Position in der Außenpolitik. Dass es immer wieder zu Differenzen um einzelne Punkte kommt, lässt sich in dieser Phase nicht vermeiden. Ich bin sicher: Sobald wir in der Sachdebatte uns mit Positionen melden, werden auch die Umfragewerte der SPD wieder besser.

    Spengler: Diese Kakophonie, von der ich gesprochen habe, woran liegt die eigentlich? Liegt die daran, dass die Führung, die derzeitige Führung in Partei und Fraktion nicht die Führungsautorität hat, die sie bräuchte?

    Oppermann: Wenn Sie von Kakophonie sprechen, dann denke ich ...

    Spengler: Vielklang!

    Oppermann: Ja! Das Wort ist mir sehr geläufig. Der Bundeskanzler Schröder hat es ja in die politische Begriffswelt in Deutschland eingeführt. Dann denke ich aber nicht in erster Linie an die SPD; dann fällt mir die CSU ein ...

    Spengler: Darüber reden wir jetzt nicht! Wir wollten heute über die SPD reden.

    Oppermann: Wir können ja nicht so tun, als ob nur in der SPD im Augenblick verschiedene Meinungen verlautbart werden.

    Spengler: Aber Sie leiden besonders unter den Umfrageergebnissen!

    Oppermann: Ja. Das hat aber nicht nur was mit der Debatte zu tun, die zu diesem oder jenem Punkt im Augenblick geführt wird. Die Union ist doch heillos zerstritten in der Steuerfrage, in der Pendlerpauschale-Frage. Es ist doch völlig unklar, ob dort sich die Meinung durchsetzen wird, dass Steuererhöhungen noch in dieser Wahlperiode kommen.

    Spengler: Herr Oppermann, darüber reden wir ein andermal, vielleicht morgen schon.

    Oppermann: Gut! Ich wollte nur sagen: Das Erscheinungsbild der Koalition insgesamt ist im Augenblick nicht positiv. Das können Sie nicht allein bei der SPD festmachen.

    Spengler: Gut, aber die Union profitiert und Sie nicht.

    Oppermann: Ich sehe im Augenblick nicht, dass die Union profitiert. Die Union steigt nicht in den Umfragewerten; sie stagniert und sie sinkt auch.

    Spengler: Nehmen wir das Beispiel Wiederwahl des Bundespräsidenten. Nach viel Streit hat die SPD nun beschlossen, nichts zu beschließen, sondern erst mal abzuwarten, ob der Bundespräsident bereit ist, erneut zu kandidieren. Erklären Sie mir, welchen Sinn dieser Beschluss macht?

    Oppermann: Wir haben dazu eine klare Position. Wir sagen, dass in Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten wir ihm zunächst erst mal den Vortritt lassen. Er soll sagen, ob er überhaupt kandidiert.

    Spengler: Ja. Wenn der Bundespräsident nicht erneut kandidieren sollte, dann müssen Sie sich doch ...

    Oppermann: Dann werden wir sofort einen Kandidaten ins Rennen schicken, wenn er nicht kandidiert. Und wenn er kandidiert, werden wir natürlich in Abwägung aller Umstände, die wir dann haben, darüber entscheiden.

    Spengler: Die "FAZ Online" schreibt, die Entscheidung sei schon gefallen. Die SPD-Spitze wolle mit Gesine Schwan eine eigene Bundespräsidentenkandidatin antreten lassen. Können Sie das bestätigen?

    Oppermann: Gesine Schwan ist eine mögliche Kandidatin, aber ob wir antreten mit einer eigenen Kandidatin oder einem Kandidaten, das werden wir erst entscheiden, wenn der Bundespräsident seine Entscheidung über seine erneute Kandidatur bekannt gegeben hat.

    Spengler: Ist das nicht zu Ihrem Schaden, dass Sie darauf warten?

    Oppermann: Das ist nicht zu unserem Schaden. Am Anfang war das übrigens großer Konsens in der deutschen Politik, dass man erst mal abwartet, was der Bundespräsident selber sagt. Das haben alle Parteien übereinstimmend gesagt. Inzwischen wollen aber alle mit dem Thema Wahlkampf machen und sind deshalb vorgeprescht. Wir sind diejenigen, die immer noch an dieser alten Verfahrensfrage festhalten, und das wird sich auch nicht ändern.

    Spengler: Thomas Oppermann, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen für das Gespräch.