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Oppermann wirft Schäuble "Täuschung" der Parlamentarier vor

Die Sozialdemokraten halten die Kanzlermehrheit bei der Euro-Abstimmung für wahrscheinlich. Doch die neuesten Gerüchte über einen erweiterten Rettungsschirm seien unerträglich, meint SPD-Geschäftsführer Thomas Oppermann.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 29.09.2011
    Friedbert Meurer: Zwei wichtige Abstimmungen stehen heute im Bundestag an: über den Euro-Rettungsschirm und Beitrag von Gudula Geuther in Informationen am Morgen, Deutschlandfunk (MP3-Audio) wie gerade gehört über das neue Wahlrecht für die Bundestagswahl. Thomas Oppermann, den wir eben schon kurz im Beitrag gehört haben, ist parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Oppermann.

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Zum Wahlrecht vielleicht zunächst. Haben Sie sich, hat sich die Fraktion der SPD schon entschieden, wir rufen Karlsruhe an?

    Oppermann: Ja. Gegen das Gesetz, das FDP und CDU heute verabschieden wollen, werden wir vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Dieses Gesetz kommt zu spät, es ist handwerklich schlecht gemacht und es löst die Probleme nicht. Weder löst es das Problem des negativen Stimmengewichtes, noch gibt es eine Lösung für das Problem der Überhangmandate. Es bleibt ein Wahlrecht, das nicht fair ist. So braucht die SPD für ein Bundestagsmandat im Durchschnitt 68.000 Stimmen, die CDU braucht nur 61.000 Stimmen.

    Meurer: Das klingt zwar ungerecht, Herr Oppermann, aber das hatte doch Karlsruhe in seinem Urteil nicht moniert, sondern das negative Stimmengewicht.

    Oppermann: Das negative Stimmengewicht hängt mit den Überhangmandaten zusammen. Wenn jetzt die Wahlgebiete getrennt werden, dann können die Mandate nicht mehr wandern. Insoweit wird das negative Stimmengewicht ausgeschlossen, aber es wird ein ganz neues negatives Stimmengewicht jetzt von der Koalition eingeführt, das beispielsweise dazu führt, dass die Piraten in Berlin bei der letzten Bundestagswahl mit ihren Stimmen am Ende dazu beigetragen hätten, dass die Grünen ein zusätzliches Mandat bekommen. Und wenn eines die Wählerinnen und Wähler der Piraten nicht gewollt haben, dann genau das. Und diese neuen Formen des negativen Stimmengewichts durch das hoch komplizierte Wahlrecht, das die Koalition jetzt einführt, das ist auch nicht mit der Verfassung vereinbar.

    Meurer: Wenn die Sache vom Bundesverfassungsgericht wieder verhandelt wird, sollte dann das Bundesverfassungsgericht selber das neue Wahlrecht formulieren?

    Oppermann: Das wäre für unsere Demokratie höchst unglücklich. Ich glaube, es ist immer besser, wenn der Gesetzgeber, das souveräne Parlament, das ja dazu von der Verfassung den Auftrag hat, auch ein verfassungskonformes Wahlrecht verabschiedet. Es ist in der Tat das erste Mal, dass wir keinen Konsens im Parlament beim Wahlrecht haben und dass das Wahlrecht jetzt politisiert werden kann vor jeder Wahl. Das bedaure ich sehr, aber ich sehe auch, dass ein Wahlrecht mit Überhangmandaten die Demokratie in Deutschland gefährdet, denn im Vier-, Fünf- oder Sechs-Parteien-System, wo die großen Parteien immer weniger vom Gesamtkuchen bekommen, werden wir immer mehr Überhangmandate bekommen. Es waren schon 24 bei der letzten Wahl, bei der nächsten Wahl drohen uns Überhangmandate im Umfang von mehr als fünf Prozent.

    Meurer: Da sagt die Koalition, als Sie [die Sozialdemokraten] von den Überhangmandaten profitierten, waren Sie damit einverstanden, Herr Oppermann.

    Oppermann: Nun, zu den Zeiten, als auch wir von den Überhangmandaten profitierten, gab es nur einige wenige Überhangmandate. Gleichwohl sagen wir, es darf nicht davon abhängig sein, wer davon profitiert. Das Wahlrecht muss den Bürgerinnen und Bürgern ein zuverlässiges Verfahren geben, mit dem sie die Staatsgewalt vom Volk auf das Parlament übertragen. Dieses Verfahren darf nicht anfällig sein für Manipulationen, es darf den Wählerwillen nicht verfälschen. Das große Versprechen der Demokratie ist doch, dass jeder das gleiche Stimmrecht bekommt, und das ist durch das doppelte Stimmengewicht, das bei den Überhangmandaten für einige Wähler entsteht, verletzt.

    Meurer: Seit drei Jahren gibt es keinen Konsens im Bundestag. Noch mal die Frage: Bleibt da gar nichts anderes übrig, als dass Karlsruhe das Wahlrecht festlegt?

    Oppermann: Ich glaube, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Gelegenheit jetzt nutzen wird, ein für allemal die Frage der Überhangmandate zu klären, nicht nur eine Teilklärung vorzunehmen, die wieder neuen Streit zwischen den Parteien hervorruft, sondern jetzt endlich mal klarstellt, sind Überhangmandate verfassungsgemäß – das war bisher immer sehr umstritten bei den Richtern -, in welchem Umfang gegebenenfalls, welche Regeln müssen wir dafür einziehen? Diese Entscheidung muss jetzt eine Befriedung dieses Streites bringen, damit es nicht zu einer Dauerpolitisierung des Wahlrechts in unserer Demokratie kommt.

    Meurer: Beim Wahlrecht, Herr Oppermann, liegen Sie über Kreuz mit der Koalition, bei der Euro-Rettungsschirm-Abstimmung heute wollen Sie dem Gesetz zustimmen. Sie sagen aber, da gibt es noch viele Fragen, Gerüchte, man weiß gar nicht, ob da nicht noch mehr kommt. Warum stimmt eigentlich die SPD-Fraktion dann zu?

    Oppermann: Wir stimmen zu, weil wir jetzt Instrumente brauchen, die Situation für den Euro zu stabilisieren. Es wäre nicht verantwortlich, jetzt einfach den kurzfristigen Vorteil der Opposition zu suchen, die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Wir fühlen uns für Europa und für den Euro verantwortlich und deshalb werden wir heute zustimmen, auch wenn der Rettungsschirm in der jetzigen Form nur ein notwendiges Instrumentarium bereitstellt, aber keineswegs das Problem insgesamt lösen kann.

    Meurer: Unterstellen Sie der Bundesregierung und namentlich dem Bundesfinanzminister, nicht die ganze volle Wahrheit zu sagen, auf den Tisch zu legen?

    Oppermann: Ich finde es eigentlich unerträglich, dass wir am Tag vor der Abstimmung über den Rettungsschirm mit neuen Gerüchten konfrontiert werden, dass die jetzigen Milliarden gar nicht ausreichen, dass weitere Mittel benötigt werden, dass in Regierungskreisen darüber diskutiert wird, wie man die sogenannte Hebelwirkung des Rettungsschirmes optimieren kann, also wie man noch zusätzliche Milliarden für die Euro-Rettung zur Verfügung stellen kann. Ich finde, dass der Bundesfinanzminister da die Parlamentarier täuscht. Er hat Gelegenheit, heute im Parlament noch vor der Abstimmung klarzustellen, wie viel Mittel brauchen wir, wie viel stehen davon zur Verfügung, wie viel müssen in Zukunft noch zur Verfügung gestellt werden, denn es kann nicht sein, dass die Parlamentarier auf einer unvollständigen Informationsbasis heute eine so weit reichende Entscheidung treffen müssen. Aber diese Regierung hat es geschafft, in dieser Frage jegliches Vertrauen zu zerstören.

    Meurer: Wir werden nachher mit dem Bundesfinanzminister noch selber reden. Es steht ja fast fest, dass die Koalition eine eigene Mehrheit bekommt, vielleicht sogar die Kanzlermehrheit. Wird das am Ende doch ein Tag des Triumphes für Angela Merkel?

    Oppermann: Also wenn darin ein Triumph gesehen wird, dass man die eigene Mehrheit auch zusammen bekommt, dann backt diese Regierung ja mittlerweile sehr kleine Brötchen. Gleichwohl: Ich rechne damit, dass Angela Merkel heute die Kanzlermehrheit schafft. Es gibt natürlich auch einen Anreiz selbst für die Euro-Skeptiker und Euro-Kritiker, heute zuzustimmen, denn wir befinden heute mit diesem Gesetz ja auch über die Rechte des Parlamentes bei künftigen Rettungsentscheidungen, und die sind sehr weitgehend. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes haben wir jetzt eine parlamentarische Beteiligung, die sicherstellt, dass ohne die Mitwirkung des Deutschen Bundestages keine Mittel fließen können, keine neuen Hilfsmaßnahmen auf den Weg gebracht werden können, und die Kritiker, die wollen diese Rechte und deshalb werden sie heute zustimmen. Die künftigen Abstimmungen werden für die Kanzlerin wesentlich schwieriger.

    Meurer: Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Oppermann, besten Dank und auf Wiederhören!

    Oppermann: Ich bedanke mich auch.