Nutz: Herr Glück, Edmund Stoiber hat gestern versichert, die Union bemühe sich, wieder zu einer einheitlichen Linie in essenziellen Fragen zu kommen. Er könne aber nicht ausschließen, dass Unionsländer im Bundesrat mit ihrer Stimme abweichen. Heißt das übersetzt, eine Linie gibt es immer noch nicht und die Geschlossenheit ebenso wenig?
Glück: Die Probleme liegen innerhalb der CDU, nicht zwischen CDU und CSU. Hier ist es so, dass eben einige Bundesländer, in denen die CDU mitregiert, sicher einerseits in einer schwierigen Situation sind, aber es bislang auch nicht gelungen ist, in wesentlichen Fragen - das ist ja nicht nur jetzt bei der Steuerreform - zu einer einheitlichen Linie zu kommen. Dies schwächt natürlich die Möglichkeiten der Union, bei zustimmungsbedürftigen Regelungen über den Bundesrat auf die Gestaltung der Bundespolitik Einfluss zu nehmen. Das muss aber zunächst innerhalb der CDU geklärt werden.
Nutz: Kann sich die CSU dort wirklich so ausklinken, wenn man bedenkt, dass Edmund Stoiber zusammen mit Angela Merkel die Union als Opposition führen wollte?
Glück: Wir können das, was innerhalb der CDU an Zusammenhalt und Klärung notwendig ist, nicht von der CSU aus klären. Es wäre auch völlig kontraproduktiv, wenn wir uns in diesen Prozess einmischen würden, denn das würde zu Gegenreaktionen in dem Sinne einer Nichteinmischung führen, das ist unsere Sache. Deswegen werden wir uns an diesem Punkt nicht engagieren. Wir werden uns natürlich weiter engagieren in der Gestaltung der Sachfragen und der gemeinsamen Linie.
Nutz: Angela Merkel hat an ihrem 100. Tag als Parteivorsitzende Fehler eingeräumt. Edmund Stoiber wurde eine Mitschuld an dem Debakel im Bundesrat gegeben. Welche Fehler hat er, hat die CSU gemacht?
Glück: Ich wüsste nicht, wo wir hier jetzt Fehler gemacht haben, denn es wurde uns immer wieder versichert, dass im Präsidium der CDU alle erklärt haben, sie bleiben bei dieser Linie. Wir haben niemand gezwungen, eine solche Linie einzunehmen, und auch innerhalb der CDU denke ich kann gar niemand gezwungen werden. Das besondere und das schwer begreifbare dieses Vorgangs liegt darin, dass bis zum Sitzungsbeginn am Freitag Morgen diejenigen, die in der Nacht mit der SPD Arrangements getroffen hatten, die CDU-Führung und auch die CSU-Führung in dem Unglauben gelassen haben. Das ist unabhängig von der Sache, dass man so entscheiden kann, belastend für den inneren Vorgang. Wir haben uns aber denke ich so weit nichts vorzuwerfen. Wir haben darauf vertraut, dass das was in den Präsidien der CDU beschlossen wird auch dann tatsächlich so gilt.
Nutz: Das ist die taktische Variante. Nun gibt es aber auch die Linie von Edmund Stoiber, dieses Reformwerk im Grundsatz zu kritisieren, bestimmte Punkte zu kritisieren, so dass man den Eindruck hatte, die Mäkelei an der Reform geschieht um der Opposition Willen?
Glück: Schauen Sie, die Vertreter der Wirtschaft haben beispielsweise einhellig gesagt, das bessere Konzept für die Steuerreform hat die Union. Der Mittelstand, die Personengesellschaften, die 80 bis 90 Prozent der Betriebe in Deutschland stellen, fühlen sich nach wie vor benachteiligt. Die Industrie und ihre nach außen einflussreicheren Sprecher, Vertreter von Versicherungen und Banken haben natürlich von der jetzigen Regelung eindeutig einen Vorteil, den wir ihnen ja auch nicht nehmen wollen. Die haben dann nach außen das Bild bestimmt. Wir haben immer gesagt, die Steuerreform soll nicht scheitern. Das ist nicht unser Ziel, so wie es das Ziel der Herren Lafontaine und Schröder in der letzten Regierungsperiode war. Wir haben immer gesagt, sie soll zum 01. September in Kraft treten. Übrigens die jetzt gewählte Prozedur kostet mehr Zeit wie ein zweites Vermittlungsverfahren im September, denn jetzt muss durch diese Nacht- und Nebelaktion das Gesetz erneut im Bundestag beraten werden, dann nochmals in den Bundesrat. Es ging ganz ausschließlich um eine Machtdemonstration von Schröder und nicht um eine sachgerechte Lösung. Darin liegt nun auch ein Stück Tragik der CDU, dass einige dieses nicht erkannt haben.
Nutz: Tragik der CDU ist das Stichwort. Was erwarten Sie denn nun von der Schwester, zum Beispiel beim nächsten großen Reformprojekt Rente?
Glück: Ich glaube, dass wir hier eine gute gemeinsame Linie haben. Wir sagen, wir sind bereit, an dem Reformprojekt mitzuarbeiten.
Nutz: Das ist aber auch nicht ganz klar. Frau Merkel ist zu Gesprächen mit der Regierung unter Bedingungen bereit; Friedrich Merz will aus diesen Konsensgesprächen aussteigen.
Glück: Hier ist nur Meinungsverschiedenheit, soweit es denn überhaupt eine ist, im Hinblick auf das Verfahren. Da ist es ja nun wohl so, dass die Bundesregierung angekündigt hat, dass sie bereits einen Gesetzentwurf vorlegen wird. Dann ist der Ort der Beratung der Bundestag. Es ist offensichtlich nicht mehr der Ort der weiteren Konsensgespräche und die Zeit weiterer Konsensgespräche auf der Ebene der Parteien. Ich lese dieser Tage, dass im Arbeitsministerium, sagt Herr Riester, an die 35 Leute jetzt über den Sommer an der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes arbeiten. Dann ist der Bundestag der Ort der weiteren Beratung, und in diesen Beratungen wird sich dann ergeben, inwieweit etwa in der Frage eines Zuschusses für Familien, für die Kinder und in den zwei, drei anderen Regelungen noch Übereinkunft erzielt wird oder nicht. Davon wird am Schluss das Abstimmungsverhalten abhängig sein.
Nutz: Nun hat der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Peter Ramsauer angemerkt, die Bundesregierung könnte dieses Projekt auch im Alleingang durchbringen. Er meinte wörtlich, man werde den Teufel tun und der Regierung hinterherlaufen. Wie ist denn das gemeint?
Glück: Ja, natürlich kann es nicht unsere Aufgabe sein, der Regierung hinterherzulaufen, zu sagen, dürfen wir auch mitmachen oder wie hätten sie es denn gerne. Denn in der Tat ist es so, dass im Gegensatz zur Steuerreform bei der Rentenreform die Mitarbeit der Opposition ja nicht notwendig ist. Die muss ihr im Bundestag nicht zustimmen, und im Bundesrat ist es im Detail eine Frage der Regelungen in der Steuerfrage, ob der Bundesrat gebraucht wird oder nicht. Nun war es in der Tradition der Bundesrepublik, dass die großen Parteien bei der Reform der Rente immer zusammengearbeitet haben. Die SPD hat in der letzten Legislaturperiode dieses aufgekündigt. Die SPD hat sich in der letzten Rentenreform verweigert. Nun frage ich, mit welchem Recht erwartet dieselbe SPD und erwarten die Grünen, dass die Opposition jetzt um jeden Preis mitarbeitet, wo sie genau das andere demonstriert haben. Wir wollen gleichwohl mitarbeiten. Wir haben sehr konkrete Vorschläge unterbreitet. Der Bundeskanzler hat einen Teil dieser Vorschläge auch bereits aufgenommen. Insofern ist das, was die Bundesregierung jetzt vorlegt, zum Teil schon Ergebnis der Politik der Union. Jetzt muss man sehen, ob man sich auf der letzten Wegstrecke trifft oder nicht trifft.
Nutz: Herr Glück, noch kurz: Es gibt ja Meldungen über eine angebliche Annäherung der FDP an die SPD. Bereitet Ihnen so etwas Sorgen?
Glück: Nein. Ich muss zunächst feststellen, dass die FDP über zwei Regierungen im Bundesrat gegen das Gesetz gestimmt hat. Die FDP hat über die Länderregierungen sowohl dafür wie dagegen gestimmt: dagegen gestimmt über die Regierungen in Hessen beispielsweise und in Baden-Württemberg, dafür über Rheinland-Pfalz. Und dass die FDP da Lockerungsübungen macht, dass es Schröder gefällt, wenn er den Grünen sagen kann, ich habe eventuell auch noch mehr Optionen, ist ein Teil des taktischen Spiels. Man wird sehen wie es weitergeht. Die FDP wird im Endeffekt im Jahr 2002 dort sein, wo sie am ehesten mitregieren kann.
Nutz: Alois Glück in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, der Fraktionsvorsitzende der CSU im bayerischen Landtag. - Danke für dieses Gespräch! Ebenfalls am Telefon ist nun Rainer Brüderle, der stellvertretende Vorsitzende der Bundes-FDP. Auch Ihnen einen guten Morgen!
Brüderle: Schönen guten Morgen.
Nutz: Herr Brüderle, Sie haben es eben von Alois Glück gehört. Die FDP in Mitten eines taktischen Spielchens der SPD?
Brüderle: Nein! Die FDP konnte, weil sie erhebliche Fortschritte bei der Steuerreform - das war unabdingbare Voraussetzung - für alle Bürger durch weitere Tarifabsenkung und durch eine spezielle Entlastung für den Mittelstand erreichen konnte, helfen, Probleme aufzulösen. Wir haben ja ein kompliziertes Zwei-Kammern-System in Deutschland, Bundestag und Bundesrat. Beide Kammern blockieren sich über weite Strecken. Es war immer Aufgabe der FDP, auch Kompromisse zu finden, Brücken zu bauen, dass die Handlungsfähigkeit unseres Staatssystems mit gewährleistet ist. Das steht dahinter. Die FDP hat hier erhebliche Fortschritte erreicht, hat eine Blockade praktisch auflösen können im Sinne einer Lösung.
Nutz: Nun gab es immer wieder Meldungen, es habe Geheimgespräche gegeben zwischen SPD und FDP, es gebe eine Annäherung. Wolfgang Gerhardt, der Bundesvorsitzende, sieht gar eine rasante Annäherung der SPD an die Liberalen. Wie ist es denn nun wirklich? Wie stark ist im Augenblick die Nähe der beiden Parteien zueinander?
Brüderle: Tatsache ist schon, dass die SPD sich verändert und dass sie auf Positionen der Mitte, auf Positionen der FDP zugeht, etwa in der Steuerpolitik. Bei Lafontaine war damals noch der Endpunkt einer Entlastung 48 Prozentpunkte. Eichel sagte mal, 45 Prozent ist das äußerste. Jetzt sind wir bei 42. Da hat sich schon etwas verändert. Bei der Rente war das bilden von privaten Ansparkonzepten hin zur Kapitaldeckung über viele Jahre bei der SPD kaum vermittelbar. Sie hat mehr von Tariffonds geträumt, die die Gewerkschaften steuern. Insofern hat sich bei der SPD in diesen beiden Feldern etwas verändert. Wo sich nichts bewegt ist bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wir haben aber auch andere Entwicklungen gehabt. Beim Staatsangehörigkeitsrecht musste rot/grün ihr gescheitertes Gesetz einstampfen und sie konnten später dann nur auf der Linie der FDP noch ein Gesetz durchbringen.
Nutz: Herr Brüderle, wenn man das alles zusammennimmt, macht die FDP sich sozusagen regierungsfein, gibt es schon mal ein paar Signale, hört, wir sind auch zu einer Koalition mit euch bereit?
Brüderle: Nein, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Dass wir konstruktiv unsere Oppositionsrolle wahrnehmen und Lösungen möglich machen im Interesse der Bürger, damit es voran geht im Land, ist die Verantwortung, die wir haben. Was sich aber 2002 ergibt, das weiß heute kein Mensch und ich sehe auch keine Veränderung der inhaltlichen Position der FDP. Das ist alles spekulativ. Grün/rot wird bis zum Ende dieser Legislaturperiode weiterwursteln. Dann entscheidet der Wähler und dann muss man sehen, was der Wähler als Entscheidung möglich gemacht hat. Heute darüber nachzudenken, was sich in gut zwei Jahren ergibt, ist wirklich Kaffeesatz.
Nutz: Nun muss man ja nicht unbedingt gleich an die Bundesebene denken. Es gibt ja nicht die Spekulationen erst seit heute. Spätestens seit den Wahlen in Nordrhein-Westfalen hat man darüber spekuliert, ob Wolfgang Clement nicht vielleicht doch die Liberalen den Grünen vorzieht. Das könnte sich ja im Laufe einer langen Legislaturperiode auf Landesebene ändern, ebenso in Schleswig-Holstein?
Brüderle: Es wäre für Nordrhein-Westfalen sicherlich besser gewesen, wenn nicht die beiden Wahlverlierer eine Koalition gebildet hätten, so wie die Hasen in der Furcht die Ohren anlegen, sondern mit dem Wahlsieger, der FDP, eine andere Formation gebildet hätten. Das haben sie nicht getan. Aber die beiden angesprochenen Wahlen zeigen eben auch, dass die FDP mit einem Kurs der Eigenständigkeit, des selbstbewussten Vertretens liberaler freiheitlicher Positionen sehr wohl sehr gute Ergebnisse erreichen kann und auf diesem Weg werden wir weiterschreiten.
Nutz: Auf der anderen Seite hat Gerhard Schröder ja klug taktiert, zum Beispiel in der Steuerreform und auf anderen Gebieten. Kann es der FDP denn genügen, aus strategischen Gründen vom Kanzler immer mit ins Boot genommen zu werden, nur quasi um die Grünen zu knechten?
Brüderle: Das war ja nicht unser Punkt. Wir haben deshalb am Schluss zugestimmt, weil wir für die Bürger zusätzliche steuerliche Entlastungen von rund acht Milliarden Mark erreicht haben. Darum ging es. Durch die Absenkung der Tarifkurve hat praktisch jeder noch ein Stück zusätzliche Steuerentlastung. Durch den halben Steuersatz bei Betriebsaufgaben und -veräußerungen bekommt der Mittelstand einen Teil seiner Diskriminierungen, die rot/grün vorgesehen hat, wieder weggenommen und damit wird er verbessert. Das war unser Ziel. Dafür haben wir die Hand gehoben und für nichts anderes. Alles andere ist auch noch mal spekulativ. Es ist natürlich immer schön, wenn man Überlegungen um Personen oder Konstellationen herumrankt. Die Mehrheitsverhältnisse in Berlin im Bundestag haben sich durch die Bundesratsentscheidung der letzten Woche nicht verändert.
Nutz: Man hat aber den Eindruck, dass zumindest in der FDP-Spitze die Linie nicht so ganz eindeutig ist. Wolfgang Gerhardt war bislang strikt gegen jede Annäherung an die SPD, ist nun geradezu begeistert. Guido Westerwelle vernimmt man dort auch sehr positiv und Sie zeigen sich mehr etwas zurückhaltend. Gibt es dort einen Dissens in der Spitze?
Brüderle: Nein, da gibt es überhaupt keinen Dissens. Die Tatsache, dass sich andere auf uns zugbewegen können, wollen wir ja nicht beklagen. Das Recht zur Besserung und zu besserer Einsicht zu kommen muss man jedem zubilligen, auch den Sozialdemokraten. Wir haben unseren Standpunkt nicht verändert, sondern wir haben mit dem klaren Kurs, mit einem selbstbewussten und vernünftigen Mittekurs Dinge verändern können im Land. Darum geht es und dafür stehen wir gemeinsam in der Führungsmannschaft. All diese Interpretationen, der Brüderle ist fünf Millimeter weniger und der Gerhardt fünf Millimeter mehr, 14 Tage vorher war es umgekehrt, ist keine Substanz. In der Substanz sind wir klar auf eigenständigem Kurs und wollen in der Sache etwas bewegen. Das tun wir weiterhin. Was im Jahr 2002 ist, das werden wir rechtzeitig zu bedenken haben, kund zu tun haben, ob wir eine Koalitionsaussage machen, wenn wir eine machen welche wir machen, aber das wäre heute in unserer schnelllebigen Zeit, gut zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl, absolut zu früh.
Nutz: Die FDP hält sich die Option offen?
Brüderle: Die FDP bleibt an der Sache orientiert und will wieder stärker werden, mehr Eigengewicht erreichen, damit in Deutschland eine modernere liberale Politik umgesetzt wird. Das ist unser Hauptziel.
Nutz: Ein zweistelliges Ergebnis?
Brüderle: Das halte ich durchaus für möglich. Ich lege mich auf eine Prozentzahl nicht fest. Aber dass wir uns jetzt hier in die Ecke stellen und quasi politisch prostituieren, das kommt für uns überhaupt nicht in Betracht. Um das salopp zu formulieren: wir heben da nicht das Röckchen, bis Onkel Gerhard kommt!
Nutz: Rainer Brüderle, der stellvertretende Vorsitzende der Bundes-FDP, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Auf Wiederhören und danke für dieses Gespräch!
Link: Interview als RealAudio