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Option, kein Modell

Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hält nach der Koalitionsbildung in Hamburg Spekulationen über weitere schwarz-grüne Bündnisse für verfrüht. Die Farbkombination öffne Optionen, "aber es ist viel zu früh, davon zu sprechen, dass es ein Modellfall wäre", sagte der CDU-Politiker.

Moderation: Christoph Heinemann | 18.04.2008
    Christoph Heinemann: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich gestern in einem Gespräch mit dem "ZDF" für eine zweite Amtszeit des Bundespräsidenten Horst Köhler ausgesprochen.

    "Ich kann für mich sagen, und das sage ich auch für die CDU, und ich glaube, ich kann es auch für die CSU sagen, ohne dass wir natürlich den Aussagen des Bundespräsidenten vorgreifen können, wir würden uns freuen, wenn er sich entscheiden würde, noch eine zweite Amtszeit zu machen - ganz ausdrücklich. Er ist ein Bundespräsident, der die Zukunft im Blick hat. Er hat das immer wieder deutlich gemacht. Er schreibt uns manchmal auch was ins Stammbuch, auch das empfinde ich als hilfreich."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Bundespräsident hat der Koalition etwas ins Stammbuch geschrieben, bewegt möglicherweise durch das, was er über die Arbeit der Regierung so hört und liest. "Entflogen" titelt die Wochenzeitung "Die Zeit" unter einem Foto, das Angela Merkel zeigt. "Die Wellness-Kanzlerin" beschreibt der "Spiegel" und führt aus, bislang habe Angela Merkel vor allem Wohltaten verteilt - etwa mit der Rentenerhöhung. Auch in den eigenen Reihen ist das höchst umstritten. Kein gutes Haar an der Politik seiner Parteifreundin lässt etwa Josef Schlarmann, der Chef des Unionswirtschaftsflügels.

    Horst Köhler hat sich für eine Agenda 2020 mit dem Ziel der Vollbeschäftigung in Deutschland ausgesprochen. Drei Aufgaben benennt das Staatsoberhaupt: mehr Investitionen, mehr Geld für Bildung, Forschung und Innovation, und die Idee der betrieblichen Bündnisse für Arbeit müsse weiterentwickelt werden. Nachhilfeunterricht fürs Kanzleramt aus dem Präsidialamt? Das haben wir vor dieser Sendung Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gefragt.

    Thomas de Maizière: Das habe ich nicht so empfunden. Die Anregungen des Bundespräsidenten sind immer interessant, manchmal auch streitig. Das ist auch seine Rolle, die er auch wahrnimmt, und das zeichnet ihn gerade aus. Deswegen ist er auch so anerkannt und beliebt.

    Heinemann: Ist aber schon ungewöhnlich, dass der Präsident der Regierung Beine macht?

    Maizière: Ich habe das nicht so empfunden. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung. Die arbeiten wir ab und wir sind gut unterwegs. Was wir in der nächsten Legislaturperiode vor haben und, wenn ja, mit welcher Mehrheit, das wird dann später entschieden.

    Heinemann: Passt ein bisschen zur allgemeinen Kritik, was der Präsident da sagt. "Angela Merkel ist angetreten als Reformkanzlerin; jetzt ist sie die Chefin einer Regierungskoalition, in der sich so gut wie nichts bewegt", hat gesagt Josef Schlarmann, Vorsitzender der Unionsmittelstandsvereinigung, im "Spiegel". Nichts bewegt - besteht das Kabinett aus lauter Immobilien?

    Maizière: Nein. Ich kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Wir haben den Haushalt konsolidiert. Wir haben die Abgabenquote unter 40 Prozent gesenkt. Die Staatsquote sinkt. Wir haben die Arbeitslosenbeiträge auf 3,3 Prozent gebracht - fast eine Halbierung. Das hat es lange nicht gegeben. Wir haben einen neuen Weg in der Ausländerpolitik, Stichwort Integration, gemacht. Wir haben ein neues Familienbild entwickelt. Deutschlands Rolle in der Welt mit EU-Präsidentschaft, G8-Präsidentschaft, all das sind durchschlagende Themen, die diese Republik dauerhaft verändern werden, Stichwort Klima und Anderes. Also dass hier eine immobile Regierung nichts täte, davon kann überhaupt nicht die Rede sein.

    Heinemann: Haushalt konsolidiert heißt Einnahmen erhöht. Das ist ja nun kein Kunststück, einfach die Mehrwertsteuer zu erhöhen.

    Maizière: Nein. Die Mehrwertsteuererhöhung war schmerzlich und bitter. Das ist wahr. Wir haben auch Steuersubventionen abgebaut. Wir haben die Nettoneuverschuldung von rund 31 Milliarden Euro, die wir vorgefunden haben in einer Planung - Hans Eichel hatte geplant, die Nettoneuverschuldung im Jahre 2008, in dem wir uns jetzt befinden, auf über 40 Milliarden anzuheben -, wir sind im Jahr 2008 bei 12 Milliarden. Wir wollen 2011 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Das ist noch zu erreichen angesichts der vielen Ressortforderungen, die wir haben. Aber das ist ein anstrengender Weg und richtig für unsere Kinder und Enkel, damit sie nicht so viele Schulden haben.

    Heinemann: Agenda-Reformen, das bedeutete bisher Zumutungen. Gerhard Schröder ist diesen steinigen Weg gegangen. Die Große Koalition verteilt im Moment Wohltaten. Was wird denn den Bürgern noch zugemutet?

    Maizière: Die Mehrwertsteuererhöhung war doch nicht bequem. Die Abschaffung der Pendlerpauschale war doch nicht bequem. Die Abschaffung der Eigenheimzulage war doch nicht bequem. Dass Rentner drei Jahre lang eine Nullrunde hatten und im letzten Jahr eine sparsame Rentenerhöhung von 0,54 Prozent, das war doch nicht einfach. Deswegen ist es richtig, wenn jetzt der Aufschwung kommt, dass wir uns bemühen, dass möglichst viele am Aufschwung teilhaben können, ohne dass der Aufschwung abgewürgt wird und ohne dass neue strukturelle Probleme für das Land entstehen.

    Heinemann: Aber zum Beispiel diese Riester-Formel war doch akzeptiert. Wieso kassieren sie das jetzt wieder? Also etwas was schon im Volk kommuniziert und angenommen wurde wieder zurückzufahren, das ist doch ein Schlingerkurs, den man kaum noch erklären kann.

    Maizière: Ich weiß nicht, ob in der Bevölkerung die Rentenformel wirklich verstanden wird. Wahrscheinlich verstehen sie nur 30 Leute im Land. Aber was wäre die Alternative gewesen? Die Alternative wäre eine Rentenerhöhung gewesen unter 0,5 Prozent. Die Rentenerhöhung wäre ungefähr so viel gewesen, wie das Porto kostet, was die Mitteilung dieser Rentenerhöhung gebracht hätte. Das fanden wir angesichts der Tatsache, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt wieder mehr Geld bekommen, nicht vertretbar. Deswegen ist dieser uns nicht leicht gefallene Eingriff, minimal invasive Eingriff, würden die Chirurgen sagen, in die Rentenformel das geringere Übel gegenüber dem, was gewesen wäre, hätten wir nichts gemacht.

    Heinemann: Wobei wir alle wissen, dass die Rentenerhöhung von heute die Steuer- oder Beitragserhöhungen von morgen sind.

    Maizière: Nein. Die Rentenversicherungsbeiträge bleiben stabil. Sie werden nur zwei Jahre später deutlich gesenkt, als das ohne diesen Eingriff möglich gewesen wäre. In den nächsten Jahren sind die Kostensteigerungen für den Bundeshaushalt vertretbar, und sie werden im Haushalt des Arbeitsministers selbst erwirtschaftet.

    Heinemann: Leben wir in einer Rentnerdemokratie?

    Maizière: Ich kann mit dem Ausdruck nicht so viel anfangen. und ich würde uns dringend raten, dass wir nicht Alt und Jung gegeneinander ausspielen. Wissen Sie, wenn ich das noch hinzufügen darf: Eigentlich sind die Neugierigsten auf Kinder oft die Großeltern, nicht die Eltern. Deswegen, finde ich, sollten wir bei den Älteren Neugier auf Zukunft bewahren und bei den Kindern Verständnis für die Älteren. Nur so kann man Zukunft bauen, nicht gegeneinander.

    Heinemann: Wobei rund 400.000 Rentner von sehr knappen Zuwendungen leben, das ist richtig. Auf der anderen Seite: 1,9 Millionen Kinder sind arm. Wann sind die denn dran?

    Maizière: Zunächst muss man bei den Rentnern in der Tat sagen, dass es viele gibt, die von ihrer kleinen Rente leben müssen. Wir haben aber auch kleine Renten, die nichts aussagen über die Einkommenssituation des Haushaltes. Da kommen Betriebsrenten dazu, abbezahlte Häuser und Ähnliches. Das täuscht immer ein bisschen. Die Rentenhöhe sagt noch nichts aus über das Wohlstandsniveau alter Leute. Aber wahr ist: Es gibt dort kleine Renten.

    Was die Kinderarmut angeht, so haben wir in der Tat zu verzeichnen, dass, wenn viele Kinder in einer Familie sind, dass das dann zu einem Wohlstandsverlust bei den Eltern führt. Das kompensieren wir durch Kindergeld. Wir haben jetzt auch eine Reform des Kinderzuschlages gemacht. Wir wollen, dass niemand alleine deswegen in Hartz IV fällt, weil er Kinder hat, wenn er Arbeit hat. Aber wenn wir aufrechnen würden, Kinder kriegen muss vom Staat ausgeglichen werden finanziell, dann werden wir kaum noch Kinder haben. Kinder sind vor allem ein immaterielles Glück und nicht nur ein Kostenfaktor.

    Heinemann: Herr de Maizière, Josef Schlarmann deutet Angela Merkels Abkehr vom Reformkurs, Abkehr von Leipzig zumal, als Spätfolge des schlechten Wahlergebnisses von 2005. Was ist da passiert?

    Maizière: Sie reden ja jetzt hier mit dem Chef des Bundeskanzleramts, nicht mit einem Parteivertreter. Ich möchte weder führende Parteivertreter der Union, noch der SPD kommentieren. Wahr ist, dass die Union keine absolute Mehrheit bekommen hat, sondern mit einem knappen Vorsprung vor der SPD gelandet ist und wir eine Große Koalition haben. Am Anfang hieß es, das ist gefährlich für die Demokratie, es gäbe einen Kuschelkurs, alle würden das gleiche vertreten. Jetzt zeigt sich eben, dass eine Große Koalition ein mühsamer Weg ist, dass man Kompromisse braucht und niemand seine Vorstellungen ganz verwirklichen kann. Aber ich habe ja eingangs des Interviews darauf hingewiesen, dass wir trotzdem große Dinge gemacht haben, und darauf kann man stolz sein.

    Heinemann: Sie bleiben Kanzleramtsminister an der Spree. Sie werden nicht König Thomas an der Elbe. Warum nicht?

    Maizière: Der Rücktritt des Ministerpräsidenten Georg Milbradt verdient Respekt. Er hat ihn selber eingeleitet, auch zum richtigen Zeitpunkt. Ich fand es richtig, dass nach ihm ein echter Sachse, nicht ein importierter Sachse Ministerpräsident und Landesvorsitzender wird. Meine persönliche und meine politische Heimat ist Sachsen und bleibt Sachsen. Die Familie wohnt dort. Ich möchte dort auch weiter politisch meine Heimat haben. Ich sehe meine Zukunft in der Bundespolitik, und das haben wir einvernehmlich besprochen. Ich werde alles tun, Stanislaw Tillich als Landesvorsitzenden und Ministerpräsident und Steffen Flath als Fraktionsvorsitzenden zu unterstützen.

    Heinemann: Grün ist die Farbe Sachsens. Was halten Sie von Schwarz-Grün?

    Maizière: Die Farbkombination ist wahrscheinlich nicht so besonders attraktiv. Die politische Kombination ist eine neue Option. Ich bin gespannt, was in Hamburg daraus wird. Es öffnet Optionen, aber es ist viel zu früh, davon zu sprechen, dass es ein Modellfall wäre.

    Heinemann: Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk.