Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Opulente Vielvölkermonarchie

Von Nostalgie durchdrungen ist die Oper "Rosenkavalier" von 1910 – und vom Bewusstsein der Vergänglichkeit menschlicher Jugend und Schönheit. Die aufwendige neue Produktion von Manfred Honeck und Stefan Herheim im reichen Stuttgart zeigt dies mit Bravour.

Von Frieder Reininghaus | 02.11.2009
    Es funkeln die güldnen Sternlein. Ein "Zauberflöten"-Himmel, angelehnt an den über dem Parkett des Littmann-Baus am Stuttgarter Schlossgarten, prangt im Halbrund und beschirmt die Erörterungen zu Sein und Zeit. Ein Modell der diskret herbeizitierten Schönbrunner Schlossparkarchitektur taucht aus den dichten Schwaden des Theaternebels auf. Venustempel und Taubenhaus zugleich.

    Das wird beiläufig mit Puppenfiguren bespielt, die die Akteure der Intrige darstellen, auch als Sättigungsbeilage beim Frühstück dienen. Marie-Therese, die nicht ganz glücklich mit dem bei den "crowatischen Bären" weilenden Feldmarschall von Werdenberg verheiratete 30-Jährige kommt aus den Wolken zum Vorschein. Ihr zerspringt der Schminkspiegel. Sex hat sie heute nicht zur dampfenden Musik aus dem Graben, die Manfred Honeck überwiegend hoch und keinesfalls ganz unfallfrei aussteuert.

    Ersatzweise entsteigen Faune mit Bockshörnern und einschlägig akzentuiertem Gemächt den Wandgemälden. Wir erkennen unsere Lerchenauer. Überhaupt haben die Bühnen- und Kostümbildnerinnen Rebecca Ringst und Gesine Völlm so manche Figur aus dem Kunst- und Naturhistorischen Museum geschickt promoviert: Die drei adeligen Waisen wurden mit Katzenschnäuzchen ausgestattet; der Notarius (er ist auch der Polizeikommissär) kommt als Pudel; Herr von Faninal als Gockel; der Küchenmeister als Schlachtschwein; das Intrigantenpaar als Motte und Küchenschabe; der Tenor als Deus ex machina der Barockoper. Und der Vogel Strauß aus einer Karikatur zum Komponisten Strauss ist auch dabei.

    Von Nostalgie durchdrungen ist die Oper "Rosenkavalier" von 1910 – und vom Bewusstsein der Vergänglichkeit menschlicher Jugend und Schönheit. Die aufwendige neue Produktion im reichen Stuttgart zeigt dies mit Bravour. Sie ist 'magnificent'. Stefan Herheims Inszenierung beschwört die vorletzte halbwegs glückliche Phase der habsburgisch-österreichischen Geschichte mit bravouröser Prachtentfaltung und Einsprengseln milder Ironie: "Tu felix Austria nube". Dazu schickt sich der altadelige Baron Lerchenau in Gestalt des distinguiert wienerisch singenden und keineswegs zur Übertreibung neigenden Lars Woldt auch an; scheitert aber am Zusammentreffen seiner rustikalen Triebstruktur und plumpen Begehrlichkeit mit dem gesellschaftlichen Gewebe um die Marschallin und der gesunden blonden Resistenz von Sophie. Es ist die der wunderbar jungmädchenhaft wirkenden und bezaubernd singenden Mojca Erdmann, die dann ohne viel Federlesens auf den schon etwas angeknabberten Octavian (in diesem Fall die Mezzosopranistin Marina Prudenskaja) 'abfährt'.

    Fast allweil hängt der Himmel voller Sterne. Nur während der Beisl-Szene nicht, die in ein stinkfeines Etablissement führt. Tafelspitz vom Feinsten und Halbwüchsige in der buntscheckigen Uniformenvielfalt der Vielvölkermonarchie. Von den Spuk- und Gespenstererscheinungen her, die Lerchenaus kläglichen Nieder- und Abgang einleiten (und die in allen modernistischen Inszenierungen selten plausibel geraten) – von diesem dramaturgischen Knackpunkt her scheint Herheim seine Produktion konzipiert zu haben – und dann zeigte er eben flächendeckend, "was einem nicht alles passieren kann in dieser Wiener Stadt". Das funktioniert recht kurzweilig.

    Auch am Ende, an dem Marie-Therese notgedrungen großmütig ihrem Herrn Bettschatz Quin-Quin entsagt und ihn der Rivalin Sophie formell zutreibt, wurde das süßliche Pathos der Musik kräftig kontrapunktiert: Die Marschallin Christiane Iven fährt wie eine Marienstatue vom Bühnenhimmel herab. Ihr Haupt ist umkränzt von leuchtenden Sternen wie beim Eurodenkmal auf dem Europlatz vor der Frankfurter Oper. Und nicht der kleine Mohr hebt ganz am Schluss das Taschentuch auf, sondern der flötenspielende bocksbeinige Pan, der sich mit den Splittern der gläsernen Rosenkavaliersrose Adern aufschnitt und nach wildem Taumel tot hinfällt.