Samstag, 20. April 2024

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Organbefall durch SARS-CoV-2
"Nieren spielen bei der Erkrankung eine wichtige Rolle"

Die Nieren seien sehr häufig bei einer COVID-19-Erkrankung betroffen, sagte Tobias Huber von der Medizinischen Universitätsklinik Hamburg im Dlf. Wenn das Virus in der Nähe der Niere nachweisbar sei, steige die Wahrscheinlichkeit für akutes Nierenversagen – vor allem bei Menschen mit Vorerkrankungen.

Tobias Huber im Gespräch mit Lennart Pyritz | 27.08.2020
Die ambulante Dialyse-Station des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) - 02.09.2016 - Hamburg.
Wenn bei einem an COVID19 erkrankten Patienten Nierenversagen auftritt, steigt die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit auf 75 Prozent, sagt der Mediziner Tobias Huber. Im Bild: Die ambulante Dialyse-Station des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (imago stock&people)
Das neue Coronavirus befällt die Lunge und kann zu lebensbedrohlichen Atemwegsproblemen führen. Inzwischen ist auch klar, dass SARS-CoV-2 ein Multiorganvirus ist und kann viele unterschiedliche Organe befallen kann.
Was bei einer Corona-Infektion mit den Nieren passiert, hat jetzt ein Team vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf genauer untersucht und im medizinischen Fachjournal "The Lancet" beschrieben. Tobias Huber, einer der Autoren der Studie, erklärt im Deutschlandfunk, wie fatal sich der Befall von Coronaviren auf die Nieren auswirken kann.
picture alliance/TT NEWS AGENCY/Anders Wiklund
Langzeitfolgen von COVID-19: Für immer krank nach Corona-Infektion?
Viele Menschen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 hinter sich haben, verzeichneten zunächst einen harmlosen Krankheitsverlauf. Erst in einer Art zweiten Welle nahm die Infektion neu an Fahrt auf und es folgten schwerwiegendere Symptome.
Lennart Pyritz: Wie hängen SARS-CoV-2, die Nieren und das Risiko zu sterben zusammen?
Tobias Huber: Zunächst muss man einmal sagen, dass Nieren sehr häufig betroffen sind bei der COVID-19-Erkrankung. Auch bei milderen Verläufen sieht man sehr häufig Urinveränderungen. Das war bereits in den ersten Studien in China gezeigt worden. Darüber hinaus sieht man, dass bei schweren Verläufen häufig auch ein kompletter Ausfall der Nierenfunktion mit einhergeht mit der COVID-19-Erkrankung.
Die neuesten Daten der AOK-Studie der stationären Patienten in Deutschland zeigen, wenn es zu einem derartigen Nierenversagen kommt bei beatmetem Patienten, dann steigt die Sterblichkeit auf sage und schreibe 75 Prozent, sprich, die Nieren spielen bei der Erkrankung eine wichtige Rolle, und wir wollten deshalb genau gucken, ist das Virus in der Niere zu finden, und welche Korrelationen ergeben sich möglicherweise daraus.
"Höhere Wahrscheinlichkeit für akutes Nierenversagen"
Pyritz: Und was waren dann genau die Befunde Ihrer Studie?
Huber: In unserer Studie sehen wir jetzt zum einen, dass wir, wenn ein Virus in der Niere nachweisbar ist, die Wahrscheinlichkeit für ein akutes Nierenversagen deutlich signifikant höher ist, erstens, und zweitens sehen wir, wenn die Nieren befallen sind, dann ist auch der Zeitraum innerhalb deren die Patienten versterben, deutlich kürzer.
Pyritz: Unter welchen Umständen oder bei welcher Gruppe von Infizierten befällt das Coronavirus denn die Nieren besonders häufig?
Huber: Wir sehen das, was allgemein auch für andere Erkrankungen gezeigt worden ist, dass die Co-Morbidität, sprich die Erkrankung, die bereits vor Auftreten von Corona vorhanden sind, eine ganz wichtige Rolle spielen. Das trifft auch zu für die Infektion der Nieren. Patienten, die bereits Diabetes haben, die einen Bluthochdruck haben, die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems haben, all diese Patienten haben auch ein höheres Risiko, in den Nieren letztlich eine COVID-19-Erkrankung zu entwickeln.
"Organübergreifende Behandlungsprinzipien entwickeln"
Pyritz: Wenn die Nieren so eine wichtige Rolle beim Krankheitsverlauf spielen, ist es ja auch wünschenswert, dass man möglichst früh merkt, wenn die Niere befallen ist. Gibt es da Möglichkeiten, den Virusbefall bei einer COVID-19-Erkrankung der Nieren möglichst schnell zu entdecken?
Huber: Es ist so, wie eingangs gesagt, dass wir häufig schon relativ früh Urinveränderungen sehen bei Leuten mit einer COVID-19-Erkrankung, und deshalb versuchen wir, auch mit anderen universitären Zentren zusammen, aus Göttingen und aus Aachen, zu untersuchen, ob die frühen Urinuntersuchungen bereits bei stationärer Aufnahme einen Hinweis bereits darauf liefern, ob Patienten später intensivpflichtig werden oder einen schweren Verlauf bekommen oder auch Nierenversagen bekommen werden.
Pyritz: Das ist aber noch keine sichere Methode?
Huber: Wir haben das untersucht an einer größeren Patientenkohorte, und diese Daten sind im Moment zur Publikation eingereicht und werden dort jetzt kritisch von unterschiedlichen Experten begutachtet. Ich hoffe, dass wir dann bald mehr dazu sagen können. Wir denken, dass das wirklich ein Zugang zu einer prognostischen Vorhersage ist.
Wichtig ist aber vielleicht anzumerken, das ist dann nicht ein direkter Virusnachweis in der Niere. Wir zeigen einfach nur eine Mitreaktion der Niere bei einer frühen COVID-19-Erkrankung. Das kann direkt durch das Virus sein, aber auch indirekt durch den Virus begleitende Entzündungsumstände, die sich dann in geringen Nierenveränderungen und Urinveränderungen zeigen.
Auswirkungen auf große Teile des Organismus
Pyritz: Wenn sie eine Mitleidenschaft der Niere zeigt, lässt sich das speziell behandeln?
Huber: Ich denke, dass es im Wesentlichen darum gehen wird, organübergreifende Behandlungsprinzipien zu entwickeln. Am allerwichtigsten wird die Vakzine (Impfstoff, Anm. d. Red.) sein, ganz klar. Damit kann man das Auftreten und Ausbreiten des Virus verhindern. Im Zweiten wird es möglicherweise Ansätze für bereits infizierte Patienten geben, die an der Stelle, wo das Virus in die Zellen tritt, eingreift.
Wir kennen die Mechanismen, die das Eintreten des Virus in die Zelle vermitteln, das sind spezifische Rezeptoren, und die kommen in vielen Organen vor, und deshalb sehen wir das Virus auch in vielen Organen. Das könnte ein weiterer Ansatzpunkt sein, um möglicherweise die Aufnahme des Virus in die Zelle und dann auch die Verbreitung des Virus in der Zelle zu vermeiden. Das wäre dann aber nicht nierenspezifisch, sondern ein Ansatz, der letztlich für viele und alle Organe anwendbar wäre.
Pyritz: Sie sagen es jetzt gerade, das Virus kann auch viele andere Organe befallen, Herz, Leber oder Gehirn zum Beispiel. Da gab es eine Studie im "New England Journal of Medicine", an der Sie auch beteiligt waren. Gibt es inzwischen denn Hinweise darauf, was so ein Organbefall bei Überlebenden für Folgen oder sogar Langzeitfolgen mit sich bringt?
imago / Lichtgut
DIW-Studie zum Corona-Risikobewusstsein: "Gruppe der Unbesorgten groß genug, um Probleme zu verursachen"
Die meisten Deutschen überschätzen nach einer aktuellen DIW-Studie das Risiko einer COVID-19-Erkrankung. Dennoch gibt es wohl Gruppen, die glaubten, sie hätten kaum ein Risiko.
Huber: Es ist in der Tat so, dass zahlreiche Organe mit befallen sind und das Virus in sehr vielen Organen nachweisbar ist. Auf der anderen Seite wissen wir durch die Aufarbeitung auch der Patienten aus China, Europa und in den USA, dass es ein breites Spektrum von Symptomen gibt, die mit der COVID-19-Erkrankung einhergehen, neurologische Symptome, Geschmacks-, Geruchsstörung, Konzentrationsstörung, Magen-Darm-Trakt-Probleme mit Durchfällen, Übelkeit, Appetitlosigkeit. Die Probleme der Niere haben wir besprochen, aber auch mögliche Folgen im Herzen mit Herzmuskelentzündung und viele weitere Organe bis hin zu Blutveränderungen und eine Verminderung von weißen Blutzellen, auch Veränderungen in der Haut und in Gefäßen.
Diese Erkrankung hinterlässt eine breite Straße von Veränderungen im ganz, ganz vielen Organen, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite sehen wir jetzt aus den Autopsiestudien, dass viele Organe direkt auch von dem Virus befallen sind und das Virus möglicherweise direkt Veränderungen in den Organen hinterlässt.
Pyritz: Sie haben es jetzt gerade schon angesprochen, das sind Autopsiestudien, auch die beiden, über die wir jetzt gerade gesprochen haben. Inwieweit lassen sich die Daten aus solchen Studien denn auf Überlebende übertragen?
Huber: Zunächst muss man mal sagen, dass es nur die Autopsiestudien waren, die es ermöglicht haben, so tief in die Organe hineinzuschauen, was bei Lebenden nicht möglich wäre, da wir Organstücke aus allen Organen entnehmen und dann analysieren konnten. Aber das schränkt natürlich auch ein Stück weit die Aussagekraft für breiter oder auch milder verlaufende Fälle ein, da wir natürlich nur Fälle von Patienten untersuchen, die leider an COVID-19 verstorben sind.
Die Frage, ob das Virus beispielsweise in so vielen Organen auch bei milderen Verläufen zu finden ist, kann damit nicht beantwortet werden, ebenso auch die Frage nach den Folgeschäden. Hier sind ja die Patientinnen und Patienten leider an den akuten schweren Folgen verstorben.
Arbeit am detaillierten Patientenregister
Pyritz: Welche Daten bräuchte es denn jetzt, um genau diese Aussagen zu machen?
Huber: Was wir zukünftig sicher brauchen – und das wird aktuell auch gesammelt – sind Register von den Patienten, die eine COVID-19-Erkrankung mit den unterschiedlichen Verläufen hatten, asymptomatisch, mild, mittelschwer oder schwer, und dann müssen diese Patienten im Verlauf verfolgt werden, weil manche Symptome oder Anfälligkeiten für weitere Organerkrankungen sich vielleicht auch erst nach Jahren zeigen, wenn COVID-19 beispielsweise kleine Narben in den Geweben hinterlässt und vielleicht auch funktionelle Reserven von einzelnen Organen damit einschränkt.
Hier fehlen uns heute noch die Daten, um eine sichere Aussage treffen zu können. Das sind Dinge, die jetzt im nächsten Schritt der wissenschaftlichen Aufarbeitung und vor allen Dingen prospektiv in die Zukunft hinein uns sicher beschäftigen werden, diese Patienten sehr gut und sehr präzise nachzuverfolgen, um zu gucken, welche Folgeerscheinungen und welche Spuren COVID-19 tatsächlich hinterlässt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)