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Langzeitfolgen von COVID-19
Für immer krank nach Corona-Infektion?

Viele Menschen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 hinter sich haben, verzeichneten zunächst einen harmlosen Krankheitsverlauf. Erst in einer Art zweiten Welle nahm die Infektion neu an Fahrt auf und es folgten schwerwiegendere Symptome. Forscher rätseln über die Ursachen.

Von Christine Westerhaus | 20.08.2020
Zwei Krankenpfleger in Schutzkleidung auf dem Weg ins Karolinska Institut Stockholm mit einem Patienten
Wie lange die Symptome der betroffenen Patienten anhalten können, ist bislang unklar (picture alliance/TT NEWS AGENCY/Anders Wiklund)
Therese Lindstrom: "Ich habe mich bei meinem Sohn angesteckt, der das Virus im Kindergarten bekommen hat. Das war Anfang März. Ich habe mich zuhause um ihn gekümmert und eine Woche später bin ich morgens mit Halsschmerzen aufgewacht und bekam leichtes Fieber. Insgesamt hatte ich sehr milde Symptome."
Gut eine Woche später fühlt sich Therese Lindstrom sogar wieder fit genug für eine Joggingtour. Doch zwei Tage später wacht die Schwedin morgens auf und bekommt nur sehr schwer Luft. Dann kommen Schmerzen in der Brust und Herzattacken hinzu. Sie wird ins Krankenhaus eingeliefert.
"Dort wurde festgestellt, dass mein Blut zu Hyperkoagulation neigt, also zu vermehrter Gerinnung. Und ich habe eine Livedo reticularis entwickelt - eine Art Entzündung in den Blutgefäßen. Deshalb muss ich seit Monaten blutverdünnende Medikamente einnehmen."
Die meisten Langzeitkranken haben sehr spezielle Symptome
So wie Therese Lindstrom geht es vielen Patienten auf der ganzen Welt, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 hinter sich haben. Die meisten berichten von ausgeprägter Müdigkeit, die über viele Wochen anhält. Viele klagen über Schmerzen in der Brust oder Muskelbeschwerden. Einige haben neurologische Probleme wie Lähmungserscheinungen, Kopfschmerzen oder Geschmacks- und Geruchsverlust. Inzwischen haben sich viele Betroffene in Onlineforen zusammengetan und Selbsthilfeorganisationen gegründet. Doch die Ursachen für diese langwierigen Krankheitsverläufe sind noch weitgehend unklar, sagt Hans-Gustav Ljunggren, Immunologe am Karolinska Institut in Stockholm.
Ein Arzt nimmt in der Corona-Teststelle am Flughafen Schönefeld einen Abstrich für einen Coronavirus-Test.
Immungedächtnis bei COVID-19 - T-Zellen könnten dauerhaft vor Infektionen schützen
Die Zahl der Antikörper gegen das neuartige Coronavirus, die Infizierte im Blut haben, sinkt bei vielen Betroffenen rasch wieder. Für die Langzeit-Wirkung eines Impfstoffes ist das keine gute Nachricht. T-Zellen könnten helfen.
"Wir wissen noch sehr wenig darüber. Klar ist aber, dass man auch nach anderen Atemwegsinfektionen, die durch Viren oder Bakterien verursacht werden, chronisch krank werden kann. Das ist also nichts, was für COVID-19 spezifisch wäre. Allerdings ist auffällig, dass die meisten Langzeitkranken sehr spezielle Symptome haben und auch von vielen verschiedenen Beschwerden berichten."
Bei den meisten Betroffenen verläuft die Krankheit so wie bei Therese Lindstrom - zunächst harmlos. Erst in einer Art zweiten Welle nimmt die Infektion dann neu an Fahrt auf.
Hans-Gustav Ljunggren: "Viele Patienten berichten von Symptomen, die an einem Tag kommen und am nächsten wieder verschwinden. Manche beschreiben es als eine Art Achterbahnfahrt. Andere wie einen Adventskalender, bei dem sich jeden Tag eine Tür öffnet und ein neues Symptom zeigt."
Eine 44-Jährige muss blutverdünnende Medikamente nehmen
Und noch etwas sei auffällig, meint Hans-Gustav Ljunggren. "Die meisten der Betroffenen, die sich in den sozialen Medien zu Gruppen zusammenschließen, sind Frauen. Vielleicht liegt es daran, dass Frauen in den sozialen Medien einfach aktiver sind. Aber es ist auf jeden Fall interessant, denn wir wissen, dass Frauen auf Infektionskrankheiten mit einer sehr viel stärkeren Immunantwort reagieren, als Männer."
Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 das Herz-Kreislaufsystem in Mitleidenschaft ziehen kann, auch nachdem die Betroffenen wieder genesen sind. Belegt ist auch, dass COVID-19 zu einem Zytokinsturm im Körper führen kann. Diese überschießende Reaktion des Immunsystems kann Thrombosen, Atemnot und Entzündungen der Atemwege auslösen. Sie wird auch dafür verantwortlich gemacht, dass die Infektion bei manchen Patienten tödlich verläuft.
Möglicherweise befällt das Virus bei Menschen mit einem leichten Krankheitsverlauf zunächst nur die oberen Atemwege und erst später, in einer zweiten Welle, andere Zellen des Körpers. Und dann – so eine Hypothese - könnte der Organismus Schwierigkeiten bekommen, das Virus dauerhaft aus dem Körper zu verbannen.

Hans-Gustav Ljunggren: "Wir wissen, dass der Rezeptor ACE-2, an den das SARS-Coronavirus-2 bindet, auf verschiedenen Zelltypen im Körper sitzt. Das könnte ein Hinweis sein. Vielleicht haben die betroffenen Personen einfach Schwierigkeiten, die Abwehrreaktionen ihres Immunsystems wieder zu beenden."
Wie lange die Symptome anhalten können, ist bislang genauso so unklar wie vieles andere. Therese Lindstrom kann zwar inzwischen wieder ein halbwegs normales Leben führen – dank der blutverdünnenden Medikamente. Doch sie befürchtet, dass sie diese Arzneien nun dauerhaft einnehmen muss.
"Ich bin 44 und hatte nie Gesundheitsprobleme. Jetzt Medikamente nehmen zu müssen, die mein Blut verdünnen, damit ich keinen Herzinfarkt bekomme, fühlt sich einfach total absurd an."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2