Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Organisierte Kriminalität
Clans in den Straßen von Berlin

Mit acht Schüssen wurde der 36-jährige Nidal R. in Berlin regelrecht hingerichtet. Für viele Ermittler und Politiker ist es ein neuer Höhepunkt der Clan-Kriminalität in Berlin. Denn das Opfer ist Mitglied einer einschlägig bekannten kriminellen Großfamilie. Wie mächtig sind diese Familien?

Von Manfred Götzke | 18.09.2018
    Einsatzkräfte der Polizei gehen am 12.04.2016 vor einem Wohnhaus in Berlin im Bezirk Neukölln. Am frühen Morgen gab es hier Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Mit einem Großeinsatz, an dem auch Kräfte des Spezialeinsatzkommandos beteiligt sind, geht die Polizei gegen eine mutmaßlich kriminelle arabische Großfamilie vor.
    Einsatzkräfte der Polizei im Berliner Bezirk Neukölln. (Gregor Fischer/dpa)
    Der Friedhof der Zwölf Apostel Gemeinde in Berlin Schöneberg – am vergangenen Donnerstag war er kein Ort der Ruhe und stillen Trauer. Am Eingangstor aus rotem Backstein stehen 150 bewaffnete Polizisten, während mehr und mehr Männer den kleinen Kirchhof verlassen. Etwa 2000 Trauergäste sind gekommen, um einem Berliner Intensivtäter die letzte Ehre zu erweisen. Darunter Männer, die die Polizei zu den gefährlichsten Berlins zählt.
    Nach der Zeremonie verlassen Mitglieder von Rockerclubs den Friedhof, Angehörige von tschetschenischen, albanischen Banden. Dann tritt das Oberhaupt eines arabischen Clans aus dem Portal. Ein Mann aus seiner Entourage steckt ihm eine Zigarette an. Eine halbe Stunde bleibt der Clan-Chef auf dem Vorplatz des Friedhofs stehen, hält Hof.
    Ich bin auf der Beerdigung des Intensivtäters Nidal R. Anfang September wurde er erschossen, mitten in Neukölln.
    "So jemand wie Nidal kommt nie mehr in dieser Welt. Er war ein vernünftiger Junge, sehr lieb, er ist vernünftig. Was für Nachrichten ich gehört habe, unglaublich, er ist nicht so, wie die Leute sagen."
    Er habe Nidal gut gekannt, sagt mir ein Mann Ende 40. Seinen Namen will er nicht nennen, er sei ein Verwandter und Freund, des Opfers.
    "Wir sind unsicher jetzt.
    Haben Sie Angst vor noch mehr Gewalt?
    Ja natürlich, kommt drauf an, wie die Leute jetzt drauf sind in Berlin. Wir wollen in Ruhe leben."
    Täter sind bisher unbekannt
    Am Rande des Tempelhofer Feldes in Neukölln haben Trauerende Kerzen angezündet, Lilien niedergelegt. Nidal, Allah möge dir all deine Sünden verzeihen, steht auf einem Plakat. Hier wurde der 36-jährige an einem Sonntagnachmittag erschossen, als er mit Frau und Kindern Eis kaufen wollte, sagt Sandro Mattioli. Er leitet den Verein "Mafia Nein Danke".
    "Wer die Täter sind, weiß man bisher nicht, es werden drei Personen gesucht, die hier losgerannt sind, in einen Golf gesprungen sind, den sie dann angezündet haben, wenige Kilometer von hier entfernt."
    Nidal R. war einer der bekanntesten Intensivtäter Berlins, in seinen 36 Jahren saß er 14 Jahre im Gefängnis,verurteilt wegen gefährlicher Körperverletzung, schweren Diebstählen, Drogendelikten, Nötigung und gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr. Zuletzt soll er mit den falschen Leuten Geschäfte gemacht haben, sagen Ermittler. Nun fürchtet die Polizei einen Gegenschlag, Racheakte. Die Gewalt krimineller Clans scheint derzeit zu eskalieren.
    "Wenn wir schauen, was an Schießereien passiert ist, in letzter Zeit und überhaupt an Aktivität im Bereich der Organisierten Kriminalität, dann ist da eine deutliche Steigerung. Inwiefern diese Tat dazu beiträgt, muss man abwarten, weil es nicht klar ist, ob es sich hier um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien handelt, oder ob man hier im großen Clan-Umfeld unterwegs ist."
    Fluchtgeschichte der Familie spielt eine Rolle
    Mattioli sieht bei den arabischen Clans jedenfalls mehr und mehr Parallelen zur italienischen Mafia.
    "Es sind Männerbünde, die hier agieren, es gibt eine Omertá, das heißt, dass man nicht mit Sicherheitskräften zusammenarbeitet, es ist sehr schwer aus den Organisationen auszusteigen, die Kinder werden schon von früh auf kriminelle Art und Weise, und es gibt eine kriminelle Kultur, die mit der von Mafiaorgansiationen vergleichbar ist."
    Zehn bis zwölf solcher Familien sollen in Berlin aktiv sein, mindestens ein Fünftel der Organisierten Kriminalität geht auf deren Konto, sagt Dirk Jakob, der beim Berliner LKA das Dezernat Organisierte Kriminalität leitet.
    "Im Bereich der Organisierten Kriminalität haben wir definitiv ein überproportionales Tätigkeitsfeld durch arabische Gruppierungen".
    Dass überdurchschnittlich viele arabischstämmige Männer in kriminellen Strukturen landen, hat auch mit der Fluchtgeschichte der Familien zu tun. In den 80er Jahren flohen Zehntausende Kurden und Palästinenser während des Libanonkrieges nach Deutschland. Hier waren sie in der Regel nur geduldet.
    "Über Jahre hinweg war der Zugang zum Arbeitsmarkt gesperrt, waren die Kinder nicht schulpflichtig, so dass es weder über Sprache noch Schule Integration gab. Dieses alleine lassen, hat dazu geführt, dass diese damaligen Flüchtlinge sich nur auf sich selbst nur auf ihren Familienkreis konzentrieren konnten. Und dass führte zu einer Ablehnung sämtlicher staatlicher Strukturen – und dem was heute als Parallelgesellschaft festzustellen ist."
    Ihr Geld machten die Clans lange Zeit vor allem mit Schutzgelderpressungen und Drogenhandel erzählt Jakob. In den letzten Jahren sind spektakuläre Coups dazu gekommen. Mitglieder der Familie R. sollen 2017 eine überdimensionierte Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum geraubt haben. Allein der Goldwert liegt bei knapp 4 Millionen Euro.
    "Ein Bereich, der hoch lukrativ ist: Letztendendes die auf Schmuck abzielenden Raubtaten im KDW, dieser Schmuck lässt sich relativ leicht, aufgrund seines hohen Goldwertes zu Geld machen, oder die Einbrüche in Banken, in denen Schließfächer aufgebrochen wurden, wo sich Geld und Geldwerte Gegenstände befinden – in einer extrem hohen Schadenssumme."
    Image einer Community leidet
    Im Rathaus Neukölln empfängt Bürgermeister Martin Hikel zum Gespräch. Erst seit ein paar Monaten ist der 32-jährige SPD-Politiker im Amt und doch ist er schon zu einem Experten für Clan-Kriminalität geworden. Denn sein Heimatbezirk ist seit Jahren der Rückzugsort, die Basis vieler Krimineller aus arabischen Großfamilien. Einige wenige würden das Image einer ganzen Community und auch seines Bezirks in den Dreck ziehen, sagt Hikel.
    "Das Signal muss sein und ich glaube, das kommt auch langsam an, dass die vielen, die hier ein ordentliches Leben führen wollen, dafür belohnt werden und diejenigen, die kriminell sind, auch konsequent bestraft werden und die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen."
    Dass kürzlich Berliner Ermittler 77 Immobilen einer arabischen Familie beschlagnahmt haben, sei dabei extrem wichtig gewesen, sagt Hikel. Denn zurzeit sind viele Clans dabei, ihre Geschäfte in die Legalität zu verlagern.
    "Wenn sich jetzt das Geld, das diese Menschen in den letzten 20 Jahren illegal verdient haben, legalisiert, in Form von Immobilien, regulären Geschäften, dann sorgen wir dafür, dass diese Menschen in Zukunft hier ne ganze Menge zu sagen haben, weil wir es heute nicht geschafft haben, diesen Prozess aufzuhalten. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dieses illegale Geld nicht reingewaschen werden kann."