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Organisierte Kriminalität im TV

"Im Angesichts des Verbrechens" heißt eine neue Krimiserie, die sich mit der organisierten Kriminalität in Deutschland beschäftigt. Laut Michael Böhl vom Bund deutscher Kriminalbeamter werde in solchen TV-Serien leider oftmals die Ermittlungsarbeit der Polizei falsch dargestellt.

Michael Böhl im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.04.2010
    Tobias Armbrüster: Ein Ausschnitt aus der ersten Folge von "Im Angesicht des Verbrechens", die heute Abend auf ARTE ausgestrahlt wird. Zehn Teile hat diese Serie. Regie geführt hat Grimme- und Fernsehpreisträger Dominik Graf. Die Serie ist aufwendig produziert, wirkt stellenweise wie ein Kinofilm. Hauptthema ist die organisierte Kriminalität in Deutschland, speziell in Berlin. Deutsche Zeitungen haben in den vergangenen Tagen viel über die Serie berichtet, vor allem über die aufwendige Machart. Wir wollen einmal über die Thematik sprechen. Wie groß ist dieses Problem organisierte Kriminalität? – Am Telefon begrüße ich Michael Böhl, Berliner Sprecher beim Bund deutscher Kriminalbeamter und in der Hauptstadt zuständig für die Drogenkriminalität. Schönen guten Morgen, Herr Böhl.

    Michael Böhl: Einen schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Es geht hier in dieser Serie um Menschenschmuggel aus Osteuropa. Wie groß ist dieses Problem in Berlin?

    Böhl: Wir verzeichnen gerade in Berlin als Dreh- und Angelpunkt wie auch in anderen Großstädten eine Steigerung. Man muss allerdings dabei unterscheiden, ob wir eine Schleusung haben oder den Menschenhandel haben. Das ist ein Unterschied auch im Bereich der organisierten Kriminalität. Beim Menschenhandel wird der Mensch zur Ware, er wird ausgebeutet, und bei der Schleusung geht es gerade im Bereich, sage ich jetzt mal, Steigerungszahlen Vietnamesen, um das Verbringen von Menschen durch den deutschen Raum, durch Berlin.

    Armbrüster: Wie operieren diese Täter denn, die Leute, die so etwas machen?

    Böhl: Da muss man auch unterscheiden zwischen der klassischen Variante, wie im Gesetz vorgeschrieben, der organisierten Kriminalität. Da gibt es verschiedene Eckpunkte, die zu beachten sind. Diese Kriterien müssen erfüllt sein, wie durchstrukturiert, hierarchisch, durch Gewalt oder durch gewerbliche Strukturen. Wir verzeichnen aber in diesen Bereichen auch einzeln autarke Zellen. Das sind, sage ich mal, einzelne Gruppierungen, die nicht auf längere Zeit miteinander verbunden sind und sich sozusagen gegenseitig Serviceleistungen anbieten. Wenn sie jemand von A nach B verbringen wollen, dann tun sie das über diese Organisation, wenn sie in eine andere Richtung gehen, wird eine andere Organisation dafür zuständig sein, und das fällt dann nicht mehr in den Rahmen der organisierten Kriminalität. Deswegen ist die Erfassung da sehr bedenklich und das Dunkelfeld auch gerade im sexuellen Bereich und bei den Kindern, die dramatisch gestiegen sind, sehr, sehr groß.

    Armbrüster: Sie sprechen da jetzt von Zellen, die unabhängig voneinander autark operieren. Heißt das, hier handelt es sich um Familien?

    Böhl: Das können beispielsweise Familienclans sein. Wir stellen ja auch fest, dass diese Entwicklung bei den Tätern einen großen Teil der deutschen Personen betrifft, die allerdings Migrationshintergrund haben, und Berlin ist dafür ein Brennpunkt. Sie haben hier viele Leute, die hier wohnen, seit Längerem hier wohnen, und diese alten Verbindungen aus den familiären Bereichen, überwiegend aus dem osteuropäischen Raum, werden natürlich gerne genutzt, und das ist natürlich dann sozusagen, wie wir sie jetzt bezeichnen, so eine Zelle, die autark agiert und sich dann eben teils dort verdient.

    Armbrüster: Kann es dann zum Beispiel sein, dass so eine Familie nach außen hin ein völlig unscheinbares angepasstes Leben führt und dass sozusagen im Hinterzimmer der Menschenschmuggel organisiert wird?

    Böhl: Genau. Das ist das, was uns die meisten Probleme bei der organisierten Kriminalität bereitet, also auch bei der strukturierten, die mit Zellen arbeiten, dass wir die Fassade sehr, sehr schwer durchdringen können. Dazu ist es sehr wichtig, dass wir genügend und ausreichend Personal haben, die auch spezialisiert sind, um diese Mauer des Schweigens zu erklimmen, um dann feststellen zu können, haben wir jetzt hier eine ganz normale Großfamilie, oder läuft im Hintergrund halt eben die kriminelle Energie, und das ist sehr, sehr schwierig. Deswegen ist für uns dieser Bereich auch sehr schwer zu ermitteln.

    Armbrüster: Wie kommen Sie denn in solche Kreise hinein?

    Böhl: Es gibt einmal die Hinweise von, sage ich mal, Konkurrenten. Wir haben natürlich auch Hinweise aus dem internen Bereich, die vielleicht seltener sind. Überwiegend ist aber dann ganz entscheidend, auch bei der Sexualstraftat in diesem Zusammenhang, die Aussage des Opfers, und nur durch die Aussage des Opfers kann beim Menschenhandel eigentlich nachgewiesen werden, dass hier eine Tat stattgefunden hat. Das Problem ist, dass diese Opfer massiv unter Druck gesetzt werden, entweder durch Gewalt, oder Drohungen gegen ihre Familien, oder wenn sie in eine finanzielle Abhängigkeit gekommen sind, dann droht man ihnen sozusagen mit Entfernung.

    Armbrüster: Ist dieses Ganze ein Kriminalitätsfeld, sage ich mal, mit großen Zuwachsraten?

    Böhl: Wenn ich die letzten beiden Jahre auch in der bundesweiten Entwicklung betrachte, dann haben wir Steigerungszahlen gerade hier in Berlin im Bereich von sechs Prozent. Ich denke mal, gerade jetzt im Hinblick auf die Prozentzahlen aus Rumänien, Bulgarien, die ja in die EU mit hineingekommen sind, ist das eine steigende Tendenz in diesem Tätigkeitsfeld, und das betrachten wir vom BDK mit Sorge, weil wir leider personell in dem Bereich auch nicht so ausgestattet sind, um dort vorgehen zu können.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt sagen, dass Berlin für diese Art der Kriminalität, für Menschenschmuggel und Menschenhandel, so eine Art Dreh- und Angeltür ist in Deutschland und in Europa, merkt man das im Berliner Alltag in irgendeiner Form?

    Böhl: Derjenige, der in dem Bereich der Szene nicht so viel zu tun hat, wird es weniger merken. Wir haben ja – das ist in Berlin, glaube ich, auch einmalig – einen, sage ich mal, speziellen Bereich für diesen Rotlichtbereich geschaffen, woran Spezialisten arbeiten, und sie werden in dem Bereich der Sexualität halt dann doch feststellen, dass immer mehr junge und jüngere, teilweise ja auch Kinder herangezogen werden für den sexuellen Bereich. Dort merkt man die Veränderung, dass der Bedarf gestiegen ist und dass auch die Menschen herangeschafft werden, wenn man es so sagen will. Der normale Bürger wird es eher weniger merken. Das spielt sich ja überwiegend im Hintergrund ab.

    Armbrüster: Wenn wir jetzt mal auf die Serie, die heute Abend Premiere hat, kurz zu sprechen kommen, würden Sie sagen, eignet sich dieser Stoff, organisierte Kriminalität in Berlin, eignet sich das als Spielfilmformat?

    Böhl: Ich kenne den Inhalt des Films nicht, aber ich sage mal, es ist wichtig, auch die Bevölkerung, wenn es denn vernünftig gemacht ist, darüber zu informieren, wie so etwas aussehen kann, wie so etwas funktionieren kann, und wenn das realitätskonform ist, dann befürworten wir das durchaus, weil viele Leute wissen gar nicht, was im Hinterzimmer beziehungsweise im Hinterhaus passiert. Solche Serien können dazu beitragen, sie dürfen halt nur nicht falsche Vorstellungen erwecken, was machbar ist. Verschiedene Serien, die möchte ich jetzt hier nicht ansprechen, gehen weit über das normale Maß hinaus. Das ist Zukunftsmusik, das wird so nie passieren.

    Armbrüster: Was wird denn bei einem Krimi oder Thriller im Fernsehen am häufigsten falsch dargestellt?

    Böhl: Die Ermittlungsarbeit der Polizei. Was ich so kenne aus den Bereichen – ich sehe nicht allzu viel davon, aber was ich immer so höre und die Leute sprechen mich halt an, können sie das nicht auch bei der Kriminalpolizei. Rein theoretisch, wenn wir das Material einkaufen könnten und das Personal dafür hätten, könnten wir es rein theoretisch. Wir sind aber weit, weit davon entfernt, das können wir uns nicht leisten.

    Armbrüster: Die Fernsehsender ARTE und ARD haben gemeinsam die Serie "Im Angesichts des Verbrechens" produziert. Heute um 22 Uhr laufen die ersten beiden Folgen bei ARTE. Über die Thematik haben wir mit Michael Böhl vom Bund deutscher Kriminalbeamter gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Böhl.

    Böhl: Ich danke Ihnen! Auf Wiederhören.