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"Organisierte Verantwortungslosigkeit" bei Planung des Hauptstadtflughafens

An der Spitze hätten alle versagt, sagt Grünen-Politiker Michael Cramer über den Aufsichtsrat des Hauptstadtflughafens BER. Dieser soll nach mehreren Verschiebungen am 27.10.2013 eröffnet werden. Für diese Fehler dürfe nicht der Steuerzahler aufkommen, so das Mitglied im Verkehrsausschuss des Europaparlaments.

Michael Cramer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 08.09.2012
    Mario Dobovisek: Verkündet, vertagt, verkündet, vertagt, noch einmal verkündet und wieder vertagt, und weiter steigen am Berliner Großflughafen bloß die Kosten in den Himmel. Auch den neuen Eröffnungstermin hat der Aufsichtsrat auf seiner Sitzung gestern abermals verschoben. Die Finanzierung, so heißt es, sei jetzt jedoch gesichert.

    Und am Telefon begrüße ich den Grünen-Verkehrspolitiker Michael Cramer, bis 2004 saß er im Berliner Abgeordneten-Haus, seitdem ist er Mitglied des europäischen Parlaments. Guten Morgen, Herr Cramer!

    Michael Cramer: Schönen guten Morgen!

    Dobovisek: Die Eröffnung des Großflughafens in Berlin wird also ein weiteres Mal verschoben, so hat es der Plan ausgespuckt, wir haben es gehört. Am 27. Oktober 2013 soll es soweit sein, sollte nichts Weiteres mehr dazwischen kommen. Lacht Europa inzwischen über Berlin, Herr Kramer?

    Cramer: Man lacht nicht, aber man wundert sich schon über dieses Desaster, was da angerichtet wurde. Auch dieser Termin ist zunächst ein Termin, und nach allem, was wir erlebt haben, bin ich sehr skeptisch. Ich glaube erst an die Eröffnung des Flughafens, wenn er denn eröffnet ist.

    Dobovisek: Was könnte noch dazwischen kommen?

    Cramer: Natürlich die Finanzierung, klar, dass Deutschland da optimistisch ist, dass die EU die Finanzierung genehmigt, ist klar. Aber entscheidend sind die Auflagen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Kommission praktisch diesen Flughafen, dass er nicht gebaut wird. Aber entscheidend sind die Auflagen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt alles wie in der Vergangenheit nur der Steuerzahler zu zahlen hat – und dann der Boom in der Luftfahrtindustrie, das ist eine künstliche Blase, die genau so platzen kann wie die Immobilienblase in Spanien.

    Dobovisek: Gehen Sie, Herr Cramer, also davon aus, dass die Europäische Kommission in diesem Notifizierungs-Verfahren, wie es ja heißt, möglicherweise die Fluggesellschaft mit einbeziehen könnte?

    Cramer: Da gehe ich von aus, denn natürlich sind andere Flughäfen da, die Wettbewerbsnachteile befürchten durch eine überhöhte Finanzierung der öffentlichen Hand hier in Berlin. Und deshalb muss die Kommission genau aufpassen, einerseits den Fortschritt zu sichern, andererseits aber auch keine Vorteile für Berlin aufkommen zu lassen. Denn wir müssen ja mal festhalten, der europäische Steuerzahler zahlt jedes Jahr an die Airlines – im Gegensatz zur Bahn, die das alles bezahlen muss – 30 Milliarden Euro, weil der Luftverkehr von der Kerosinsteuer und auf internationalen Flügen von der Mehrwertsteuer befreit ist, davon zahlen die deutschen Steuerzahler 12 Milliarden.

    Für dieses Desaster jetzt auch wiederum alle Steuerzahler heranzuziehen, das ist unfair. Und ich kann mich noch erinnern, als damals der Flughafen privat gebaut wurde, da war eine Finanzierungsmöglichkeit, die wurde festgeschrieben, dass eine Flughafengebühr von 20 D-Mark eingerichtet wurde. Damals war in Europa die höchste Flughafengebühr 40 D-Mark in Athen. In dem Moment, als – ich kann mich auch noch erinnern, als Herr Böger im Abgeordnetenhaus als Fraktionsvorsitzender sagte: Es kann nicht sein, dass die Steuerzahler das bezahlen müssen, nein, das müssen die Kunden, die die Airlines benutzen, die müssen das bezahlen.

    Und als es dann staatlich wurde, das Erste, was gestrichen wurde, war diese Flughafengebühr, und dieses Geld wurde auf alle umgelegt. Das ist unfair im Wettbewerb der einzelnen Verkehrsmodi – die Bahn wird benachteiligt –, und es ist natürlich dann unfair, wenn man heute sagt, das soll alles der Staat zahlen, wenn in anderen Flughäfen mehr Gebühren aufkommen müssen.

    Dobovisek: Auf der anderen Seite haben wir jetzt aber Airlines wie zum Beispiel Air Berlin oder auch die Lufthansa, die aus Berlin aus dem Großflughafen eine Art Drehkreuz machen wollten, dort entsprechend investiert haben und auf die Zusagen der Bauherren – also Berlin, Brandenburg und dem Bund – gebaut haben. Ist das trotzdem ein unternehmerisches Risiko?

    Cramer: Das ist immer ein unternehmerisches Risiko, das ist die Marktwirtschaft. Aber in der Verkehrspolitik ist die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt.

    Dobovisek: Aber dennoch muss der Bauherr dafür aufkommen, wenn er seine Zusagen nicht einhält?

    Cramer: Ja, klar, aber die Auflagen sind eben auch da, und man kann nicht sagen, ja klar, die Airlines, die haben zwar Risiken, aber die schieben wir alle auf die öffentliche Hand ab, dann ist es wunderbar, in der Marktwirtschaft tätig zu sein – hier ist, sind Fehler gemacht worden, die müssen aufgearbeitet werden, aber es kann nicht sein, dass für alles, was geschehen ist, in der Marktwirtschaft der Steuerzahler aufkommt.

    Dobovisek: Da schauen wir doch mal auf diejenigen, die tatsächlich politisch verantwortlich sind: Wowereit, Platzeck, Ramsauer – an den politisch Verantwortlichen scheint ja jede Kritik abzuperlen. Wer trägt denn die Verantwortung für das Flughafendesaster?

    Cramer: Ja, das ist ja das Schlimme: Diejenigen, die an der Spitze stehen, im Aufsichtsrat, der die Aufgabe hat, das ganze Verfahren zu überprüfen, die kritischen Fragen zu stellen, Antworten einzufordern, die haben alle versagt. Aber von denen sagt keiner, ich habe bisher einen Fehler gemacht, sondern, nein, es muss weitergehen wie bisher. Es wurde keine externe Gruppe einberufen, die das alles prüft, sondern diejenigen, die für das Desaster verantwortlich waren, haben nachher die Prüfung übernommen und sagen natürlich, ja, da konnte man nichts machen. So arbeitet man nicht.

    Dobovisek: Warum ist es da so ruhig? Warum, Herr Cramer, ist es dann so ruhig und bleibt es dann so ruhig, über alle Parteien hinweg? Keine Kritik, keine Rücktrittsforderung, zumindest nur sehr leise?

    Cramer: Rücktrittforderungen gibt es, zum Beispiel an Wowereit, den Aufsichtsratsvorsitz niederzulegen – keiner ist davon begeistert. Also es gibt einen Untersuchungsausschuss in Berlin, es gibt Debatten in den Parlamenten, in der Öffentlichkeit, in den Medien, also ich sehe schon hier eine lebendige Diskussion. Aber die Verantwortlichkeiten werden nicht benannt, wir haben hier die organisierte Verantwortungslosigkeit von denen, die dafür verantwortlich sind.

    Dobovisek: Aber liegt es, Herr Cramer, vielleicht auch ein bisschen daran, dass im Grunde über die Historie hinweg alle Parteien an dem Bau beteiligt waren? Schauen wir uns mal den Aufsichtsrat an, da sitzen SPD, Linke, CDU und sogar die CSU drin, und in der Bundesregierung wiederum ist momentan die FDP beteiligt, und damals in der Planungsphase auch die Grünen – das sind alle Bundestagsparteien.

    Cramer: Aber wir sind doch nicht in dem Aufsichtsrat gewesen. Und in den letzten zehn Jahren, wo die Hauptarbeit gemacht wurde, war von den Oppositionsparteien niemand im Aufsichtsrat, das kann schon sein, dass man stillhält. Auch die FDP hat ja anfangs groß angekündigt, nein, nein, wir zahlen nicht. Das ist nicht der Hauptpunkt, sondern die Lösung, die ist nicht einfach, man kann nicht sagen, wir zahlen gar nichts mehr, das geht alles pleite.

    Natürlich will man diesen Flughafen, diesen Single-Airport in Berlin, den will man natürlich auch, um andere Anwohner zu entlasten. Aber es ist auch unmöglich, dass man einen Planfeststellungsbeschluss für den Lärmschutz nicht befolgt hat und glaubt, man könnte einfach die Sachen eigenhändig runter schrauben, um ein bisschen Geld zu sparen – wohlgemerkt, bei 30 Milliarden Euro, die die Airlines jedes Jahr bekommen, das ist natürlich unverantwortlich, dass man überhaupt in dieser Kategorie denkt in einem Rechtsstaat.

    Dobovisek: Der Verkehrspolitiker Michael Cramer, für die Grünen im Europaparlament. Ich danke Ihnen!

    Cramer: Danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.