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Organspende: Regelung ist "ein kleiner Schritt"

Die Gesetzesnovelle zur Organspende hält Jutta Riemer, Vorsitzende des Vereins für Lebertransplantierte, für ein sehr positives Signal. Nicht zuletzt werde die Entscheidungsfreudigkeit der Menschen verbessert. Organspende sei ein Thema, dem man sich zu gesunden Zeiten sonst nicht so gerne zuwende.

Jutta Riemer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.11.2012
    Friedbert Meurer: 12.000 Menschen in Deutschland, heißt es, warten zurzeit auf eine Organspende. Ihre Nieren funktionieren nicht mehr richtig, oder die Leber ist krank. Der Statistik zufolge sterben jeden Tag drei Menschen, die auf dieser Liste stehen, weil sie vergeblich auf ein Organ warten. Die Zahl der Spender zu erhöhen, das ist das Ziel der Reform. Ab heute verschicken die ersten Krankenkassen Infomaterial an alle Versicherten.
    Jutta Riemer ist Vorsitzende des Vereins Lebertransplantierte Deutschland. Guten Tag, Frau Riemer!

    Jutta Riemer: Guten Tag!

    Meurer: Vor 15 Jahren bekamen Sie eine neue Leber.

    Riemer: Ja, das ist korrekt.

    Meurer: Wie geht es Ihnen?

    Riemer: Danke, mir geht es gut!

    Meurer: Sie können alles machen, essen, tun, trinken?

    Riemer: Ja. Ich bin wieder voll im Leben, sage ich jetzt mal. Ich muss meine normale Nachsorge betreiben und aufmerksam mit mir umgehen, damit ich dieses Transplantat hüte und schütze, und das tue ich. Aber ansonsten kann ich ganz normal leben und viel bewegen, jeden Tag.

    Meurer: Wie lange, Frau Riemer, haben Sie damals warten müssen?

    Riemer: Es waren damals so fünf Monate. Damals ging es mir aber auch sehr, sehr schlecht, und wie auch heutzutage geht es ja nach einer hohen Dringlichkeit, und wer sehr dringlich dran ist, wer sehr krank ist, der bekommt auch zuerst das Organ, und bei mir ging es damals auch nur noch um Wochen, die ich nicht überleben würde. Ich war also schwerstkrank, bettlägerig und ich hätte das dann nicht mehr gepackt, das nächste Weihnachtsfest, wenn ich nicht im Juni 97 diese Leber erhalten hätte.

    Meurer: Was versprechen Sie sich von dem neuen Gesetz, das heute in Kraft tritt?

    Riemer: Ich bin der Meinung, dass das ein sehr positives Signal ist, dass dieses Gesetz novelliert wurde. Schon allein die Tatsache, dass als Ziel des Gesetzes genannt ist, dass die Bereitschaft zur Organspende gefördert werden soll, ist ein Fortschritt. Und dazu bedarf es natürlich zweier Dinge: zum einen die Verbesserung der Entscheidungsfreudigkeit der Menschen in der Bundesrepublik, sich zum Thema zu entscheiden, und zum anderen ...

    Meurer: Wieso entscheiden die sich nicht?

    Riemer: Bitte?

    Meurer: Wieso entscheiden die sich nicht?

    Riemer: Ich glaube, das ist einfach ein schwieriges Thema, dem man sich zu gesunden Zeiten freiwillig nicht so gerne zuwendet. Es hat mit potenziell schwerer Krankheit zu tun, dass ich selber vielleicht mal Organempfänger würde, oder mit dem Tode, dass ich vielleicht mal an einem Hirntod versterbe, einen Schlaganfall erleide, oder an einem Unfall versterbe, und das blendet man doch lieber aus. Und ich denke, dadurch ist man nicht so hinterher, sich einen Organspendeausweis zu suchen, und diese neue gesetzliche Regelung bringt dieses Thema in die Öffentlichkeit. Die Krankenkassen verschicken diese Ausweise und jeder bekommt ihn in Abständen zu sich nach Hause geschickt. Also da ist schon eine Hürde abgebaut und ich denke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

    Meurer: Also der wird immer wieder neu verschickt, dieser Ausweis, jedes Jahr einmal?

    Riemer: Zumindest jetzt initial wird er. Sie haben es vorhin in Ihrem Beitrag schon genannt. Im ersten Jahr, bis Ende nächsten Oktober müssen alle Krankenkassen das einmal getan haben. Dann werden die Abstände etwas größer. Und Ziel ist es ja, das vielleicht auch mal in die Gesundheitskarte eintragen zu lassen, die Entscheidung.

    Meurer: Von 100 Angeschriebenen, wie viele, glauben Sie, werden den Spenderausweis ausfüllen?

    Riemer: Das ist sehr schwer zu beurteilen. Da fragen Sie mich etwas, was sehr schwer ist. Aber ich denke, es ist ein deutliches Signal, dass man das immer wieder mal vor sich sieht und dass man einen Hinweis bekommt und eine Information bekommt. Und ich denke, das Thema ist einfach mit Ängsten, mit Unsicherheiten, mit Fragen behaftet, und wenn ich dann eine gute Information vor mir liegen habe, ist das schon ein Schritt, dass ich vielleicht wirklich mal diesen Organspendeausweis ausfülle. Ich denke, das ist ein guter Weg. Aber wir hoffen natürlich, dass es viele sind, weil natürlich bei Umfragen ist es einfach so: es würden über 90 Prozent im Krankheitsfalle ein Spenderorgan annehmen. Aber es haben eben je nach Umfrage zwischen 10 und 20 Prozent nur einen Organspendeausweis bei sich.

    Meurer: Es hätte ja auch die Möglichkeit gegeben, Frau Riemer, dass man sagt, jeder, der einen neuen Personalausweis beantragt, muss Ja oder Nein sagen. Wären Sie dafür gewesen für diese Lösung?

    Riemer: Na, das kann man sehr ambivalent sehen. Ich denke, wir müssen einfach betrachten, dass wir ein Gesetz nur dann griffig fassen können, wenn das einer gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz entspricht. Und wenn wir ein Gesetz fassen, mit dem die Bürger in der gesamten Gesellschaft nicht einverstanden sind, dann läuft das ins Leere. Und ich glaube, momentan ist es so, dass wir keine Übereinkommen haben, dass sich jeder mit seinem Lebensende auseinandersetzen muss. Und so ist diese Regelung entstanden, die vielleicht manchen Leuten nicht weit genug geht, aber auf der anderen Seite sicher ein kleiner Schritt ist, und ich denke, wir nähern uns lieber in kleinen Schritten, als dass wir all das ruhen lassen und die Hände in den Schoß legen.

    Meurer: Seit heute gilt ein neues Organspendegesetz - das war Jutta Riemer, die Vorsitzende des Vereins Lebertransplantierte Deutschland. Frau Riemer, danke schön, einen schönen Feiertag noch. Auf Wiederhören!

    Riemer: Gerne! - Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.