Hilsberg: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: In Thüringen gerade mal noch zweistellig, in Sachsen bald einstellig mit Mühe über fünf Prozent - die SPD, ihr Baby, geht im Osten den Bach herunter.
Hilsberg: Naja, mein Baby, da bin ich vorsichtig. Aber immerhin, in der Anfangszeit habe ich mich sehr intensiv und an führender Stelle mitbemüht, da war das auch durchaus mit erfolgreich, obwohl wir auch damals schon die Grenzen zu spüren bekamen. Man hätte in der damaligen Zeit sehr intensiv weiterarbeiten müssen und einige weitere Themen verwenden. Aber das ist Thema von gestern, wir müssen da wieder dran anknüpfen. Das spezifische Problem im Osten, das man wahrnehmen muss, scheint mir zu sein (wobei es eben nicht nur eines gibt): wir haben im Osten keine feste Parteienbindung, sondern die Wähler entscheiden sich viel ungebundener als das in den alten Bundesländern der Fall ist. Daraus ergibt sich, dass sowohl im Positiven wie im Negativen die Ausschläge bei den Wählerentscheidungen viel stärker ausfallen, als in den alten Ländern. Das heißt, wenn wir gut dastehen, stehen wir ausgezeichnet da, das war 1998 und 2002 der Fall. Und wenn wir schlecht dastehen, dann sind wir eben fast im Keller. Und das auf einem zur Zeit niedrigen Niveau. Mein zweiter Eindruck ist eben, dass man im Grunde im Osten nicht unbedingt so etwas wie eine Grenze nach unten feststellen kann und daraus resultiert meine Sorge, dass angesichts des Niveaus, das wir zur Zeit in Sachsen haben, wir durchaus um den Wiedereinzug ins Parlament werden kämpfen müssen.
Breker: Der Niedergang der SPD hat eine für Sie sicherlich sehr schmerzliche Folge, denn die schwache SPD macht die PDS wieder stark.
Hilsberg: Natürlich, nicht nur die PDS, sondern auch die CDU, es hat auch zum Wahlerfolg der FDP in Sachsen-Anhalt beigetragen. All das sind Folgen einer Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und da kann ich mehrere Punkte nennen. Ich würde sagen, die Ost-SPD muss zwei, drei Sachen sehr viel intensiver machen, als bisher. Sie muss sich trauen, Führung zu zeigen, das betrifft unser gesamtes Führungspersonal, die müssen sich viel intensiver als bisher in die Diskussion einmischen und zwar sowohl, was die ostdeutschen Aspekte der innerdeutschen Politik in allen Belangen betrifft, aber auch, was die gesamtdeutsche Diskussion betrifft. Zum Zweiten: sie müssen sehr viel stärker als bisher auch programmatischen Freiraum intern öffnen. Da muss Raum für neue Leute und Ideen geschaffen werden. Manchmal habe ich so das Gefühl, hier in Ostdeutschland in der SPD verbindet sich die Tugend der Loyalität mit einer Ideenarmut und man erreicht die Menschen nicht, wenn man auf veränderte Problemlagen alte oder überhaupt keine Antworten mehr gibt und das, was in den letzten Monaten zu spüren war, war ja geradezu eine große Sprachlosigkeit, die da herrschte. Dann liegt die Macht auf der Straße und wird von anderen Parteien abgesammelt. Das hat dann noch nicht mal was mit Programmatik, wenn eine Partei als Partei nicht wahrgenommen wird, was vielerorts der Fall war, dann soll man sich nicht wundern, dass die Wähler ihr den Rücken kehren.
Breker: Keine Verankerung bei den Menschen, sagten Sie, teilweise gar nicht wahrgenommen. Für Parteien stehen ja auch immer Persönlichkeiten und die Ost-SPD hat einfach niemanden, mit dem sie glänzen kann.
Hilsberg: Niemanden, das will ich nicht sagen.
Breker: Dann nennen Sie doch, wer glänzt.
Hilsberg: Ich glaube, Christoph Matschie beispielsweise hat durchaus Profil gewonnen. In dem Rahmen, in dem er politisch agierte, hat das allerdings nicht ausgereicht, um den Trend, der überall vorhanden war, umzudrehen. Aber richtig war das schon. Er hat noch etwas anderes gemacht, was sehr wichtig ist: Er hat gezeigt, dass man sich zu seiner Partei bekennen muss und dass man arbeiten will. Dass man bereit ist, die Herausforderung, die wir vor Ort haben, auch die proportionellen Machtkämpfe, von der die Partei und der Landesverband Thüringen geschüttelt wird, dass man bereit ist, das aufzunehmen, dass man nicht wegduckt, dass man kämpft, arbeitet, dass man diese Herausforderung annimmt. Das ist das erste und mit das Wichtigste und das muss in den anderen Regionen auch gemacht werden. Wenn die Partei keine Leute hat, die sich zu ihr bekennen und dann auch wirklich bereit sind, zu kämpfen, dann kommt sie aus dem Loch nicht heraus. Und dieses Problem kann sie den alten Bundesländern nicht in die Schuhe schieben. Es gibt auch Defizite bei der gesamtdeutschen SPD, was Ostdeutschland betrifft, keine Frage, aber zuerst mal braucht sie Akteure vor Ort. Meine Erfahrung ist, das ist das Spannende, in Ostdeutschland liegen die Themen auf der Straße, man muss sie nur aufheben. Was das Soziale betrifft, Hartz, die Gewerbesteuerfragen. Viele spezifische Sondersituationen, die wir dort haben, fordern zu eigenem Engagement heraus, aber Sie brauchen Leute, die den Mut haben, dafür den Kopf in den Sturm der Öffentlichkeit hineinzuragen und mitzudiskutieren auf dem breiten deutschen Feld. Sobald das passiert, werden Sie auch sofort andere Wahlergebnisse haben. Analysiert man die Ergebnisse, sowohl Kommunal- als auch Landtagswahlergebnisse, stellt man immer wieder fest: Persönlichkeit wird auch in Ostdeutschland honoriert. Wir haben hier also durchaus etwas, worauf man aufbauen kann.
Breker: Persönlichkeiten mit Ostbiographie, die in Ämtern sind, Wolfgang Thierse oder Manfred Stolpe, verstecken sich in ihrem Amt?
Hilsberg: Dieses Problem der Orientierungs- und Ratlosigkeit würde ich allgemein formulieren. Das ist bei vielen spürbar. Es gibt eine Reihe von Problemen, zu denen wird gar nichts oder zu wenig gesagt. Wir kriegen Ostdeutschland nicht groß, wenn wir nur soziale Themen artikulieren, eine SPD ist also schlecht beraten, nur die sozialen Aspekt der gegenwärtigen Agenda 2010 beispielsweise zu behandeln. Was Ostdeutschland braucht ist Sanierungskompetenz für die strukturschwachen Gebiete, da stehen wir vor Herausforderungen, die die alten Bundesländer überhaupt nicht kennen. Die sind irre groß, darauf muss geantwortet werden, da müssen die Analysen in der Öffentlichkeit behandelt werden. Da darf man sich nicht wegducken. Und wir brauchen Wirtschaftskompetenz. Letzteres stehen wir noch etwas besser da, aber da steht ein großes Handlungsfeld offen. Es gibt einen weiteren Punkt, den ich zunehmend feststelle: Wir haben es ja insgesamt in Ostdeutschland nicht geschafft, die Anzahl der weggebrochenen Industriearbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze auch in neuen Zukunftsbranchen zu ersetzen. Es gibt einige Regionen wie Dresden, oder in Thüringen, in der Nähe von Berlin, Potsdam und Teltow etwa, da sieht das sehr gut aus, aber insgesamt gibt es zu viele strukturschwache Regionen und dort hat im Grunde auch die gesamte bundesdeutsche Elite keine wirkliche Antwort. Hier ist ein neuer Ansatz von Politik fällig, die Politik alleine wird es nicht schaffen, aber sie muss ganz bewusst und zielgerichtet auf diese Probleme zugehen. Und wenn man dann schweigt in Zeiten wo Ratlosigkeit herrscht, wo die Wähler insgesamt ein wenig irre werden an dieser Partei, warum auch immer, es gibt viele Gründe, wenn man dann aber schweigt, sich weigert, eine Erklärung zu liefern, dann kommt man nicht weiter.
Breker: Der Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg, einer der Mitbegründer der SPD in der damaligen DDR. Ich danke für
Breker: In Thüringen gerade mal noch zweistellig, in Sachsen bald einstellig mit Mühe über fünf Prozent - die SPD, ihr Baby, geht im Osten den Bach herunter.
Hilsberg: Naja, mein Baby, da bin ich vorsichtig. Aber immerhin, in der Anfangszeit habe ich mich sehr intensiv und an führender Stelle mitbemüht, da war das auch durchaus mit erfolgreich, obwohl wir auch damals schon die Grenzen zu spüren bekamen. Man hätte in der damaligen Zeit sehr intensiv weiterarbeiten müssen und einige weitere Themen verwenden. Aber das ist Thema von gestern, wir müssen da wieder dran anknüpfen. Das spezifische Problem im Osten, das man wahrnehmen muss, scheint mir zu sein (wobei es eben nicht nur eines gibt): wir haben im Osten keine feste Parteienbindung, sondern die Wähler entscheiden sich viel ungebundener als das in den alten Bundesländern der Fall ist. Daraus ergibt sich, dass sowohl im Positiven wie im Negativen die Ausschläge bei den Wählerentscheidungen viel stärker ausfallen, als in den alten Ländern. Das heißt, wenn wir gut dastehen, stehen wir ausgezeichnet da, das war 1998 und 2002 der Fall. Und wenn wir schlecht dastehen, dann sind wir eben fast im Keller. Und das auf einem zur Zeit niedrigen Niveau. Mein zweiter Eindruck ist eben, dass man im Grunde im Osten nicht unbedingt so etwas wie eine Grenze nach unten feststellen kann und daraus resultiert meine Sorge, dass angesichts des Niveaus, das wir zur Zeit in Sachsen haben, wir durchaus um den Wiedereinzug ins Parlament werden kämpfen müssen.
Breker: Der Niedergang der SPD hat eine für Sie sicherlich sehr schmerzliche Folge, denn die schwache SPD macht die PDS wieder stark.
Hilsberg: Natürlich, nicht nur die PDS, sondern auch die CDU, es hat auch zum Wahlerfolg der FDP in Sachsen-Anhalt beigetragen. All das sind Folgen einer Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und da kann ich mehrere Punkte nennen. Ich würde sagen, die Ost-SPD muss zwei, drei Sachen sehr viel intensiver machen, als bisher. Sie muss sich trauen, Führung zu zeigen, das betrifft unser gesamtes Führungspersonal, die müssen sich viel intensiver als bisher in die Diskussion einmischen und zwar sowohl, was die ostdeutschen Aspekte der innerdeutschen Politik in allen Belangen betrifft, aber auch, was die gesamtdeutsche Diskussion betrifft. Zum Zweiten: sie müssen sehr viel stärker als bisher auch programmatischen Freiraum intern öffnen. Da muss Raum für neue Leute und Ideen geschaffen werden. Manchmal habe ich so das Gefühl, hier in Ostdeutschland in der SPD verbindet sich die Tugend der Loyalität mit einer Ideenarmut und man erreicht die Menschen nicht, wenn man auf veränderte Problemlagen alte oder überhaupt keine Antworten mehr gibt und das, was in den letzten Monaten zu spüren war, war ja geradezu eine große Sprachlosigkeit, die da herrschte. Dann liegt die Macht auf der Straße und wird von anderen Parteien abgesammelt. Das hat dann noch nicht mal was mit Programmatik, wenn eine Partei als Partei nicht wahrgenommen wird, was vielerorts der Fall war, dann soll man sich nicht wundern, dass die Wähler ihr den Rücken kehren.
Breker: Keine Verankerung bei den Menschen, sagten Sie, teilweise gar nicht wahrgenommen. Für Parteien stehen ja auch immer Persönlichkeiten und die Ost-SPD hat einfach niemanden, mit dem sie glänzen kann.
Hilsberg: Niemanden, das will ich nicht sagen.
Breker: Dann nennen Sie doch, wer glänzt.
Hilsberg: Ich glaube, Christoph Matschie beispielsweise hat durchaus Profil gewonnen. In dem Rahmen, in dem er politisch agierte, hat das allerdings nicht ausgereicht, um den Trend, der überall vorhanden war, umzudrehen. Aber richtig war das schon. Er hat noch etwas anderes gemacht, was sehr wichtig ist: Er hat gezeigt, dass man sich zu seiner Partei bekennen muss und dass man arbeiten will. Dass man bereit ist, die Herausforderung, die wir vor Ort haben, auch die proportionellen Machtkämpfe, von der die Partei und der Landesverband Thüringen geschüttelt wird, dass man bereit ist, das aufzunehmen, dass man nicht wegduckt, dass man kämpft, arbeitet, dass man diese Herausforderung annimmt. Das ist das erste und mit das Wichtigste und das muss in den anderen Regionen auch gemacht werden. Wenn die Partei keine Leute hat, die sich zu ihr bekennen und dann auch wirklich bereit sind, zu kämpfen, dann kommt sie aus dem Loch nicht heraus. Und dieses Problem kann sie den alten Bundesländern nicht in die Schuhe schieben. Es gibt auch Defizite bei der gesamtdeutschen SPD, was Ostdeutschland betrifft, keine Frage, aber zuerst mal braucht sie Akteure vor Ort. Meine Erfahrung ist, das ist das Spannende, in Ostdeutschland liegen die Themen auf der Straße, man muss sie nur aufheben. Was das Soziale betrifft, Hartz, die Gewerbesteuerfragen. Viele spezifische Sondersituationen, die wir dort haben, fordern zu eigenem Engagement heraus, aber Sie brauchen Leute, die den Mut haben, dafür den Kopf in den Sturm der Öffentlichkeit hineinzuragen und mitzudiskutieren auf dem breiten deutschen Feld. Sobald das passiert, werden Sie auch sofort andere Wahlergebnisse haben. Analysiert man die Ergebnisse, sowohl Kommunal- als auch Landtagswahlergebnisse, stellt man immer wieder fest: Persönlichkeit wird auch in Ostdeutschland honoriert. Wir haben hier also durchaus etwas, worauf man aufbauen kann.
Breker: Persönlichkeiten mit Ostbiographie, die in Ämtern sind, Wolfgang Thierse oder Manfred Stolpe, verstecken sich in ihrem Amt?
Hilsberg: Dieses Problem der Orientierungs- und Ratlosigkeit würde ich allgemein formulieren. Das ist bei vielen spürbar. Es gibt eine Reihe von Problemen, zu denen wird gar nichts oder zu wenig gesagt. Wir kriegen Ostdeutschland nicht groß, wenn wir nur soziale Themen artikulieren, eine SPD ist also schlecht beraten, nur die sozialen Aspekt der gegenwärtigen Agenda 2010 beispielsweise zu behandeln. Was Ostdeutschland braucht ist Sanierungskompetenz für die strukturschwachen Gebiete, da stehen wir vor Herausforderungen, die die alten Bundesländer überhaupt nicht kennen. Die sind irre groß, darauf muss geantwortet werden, da müssen die Analysen in der Öffentlichkeit behandelt werden. Da darf man sich nicht wegducken. Und wir brauchen Wirtschaftskompetenz. Letzteres stehen wir noch etwas besser da, aber da steht ein großes Handlungsfeld offen. Es gibt einen weiteren Punkt, den ich zunehmend feststelle: Wir haben es ja insgesamt in Ostdeutschland nicht geschafft, die Anzahl der weggebrochenen Industriearbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze auch in neuen Zukunftsbranchen zu ersetzen. Es gibt einige Regionen wie Dresden, oder in Thüringen, in der Nähe von Berlin, Potsdam und Teltow etwa, da sieht das sehr gut aus, aber insgesamt gibt es zu viele strukturschwache Regionen und dort hat im Grunde auch die gesamte bundesdeutsche Elite keine wirkliche Antwort. Hier ist ein neuer Ansatz von Politik fällig, die Politik alleine wird es nicht schaffen, aber sie muss ganz bewusst und zielgerichtet auf diese Probleme zugehen. Und wenn man dann schweigt in Zeiten wo Ratlosigkeit herrscht, wo die Wähler insgesamt ein wenig irre werden an dieser Partei, warum auch immer, es gibt viele Gründe, wenn man dann aber schweigt, sich weigert, eine Erklärung zu liefern, dann kommt man nicht weiter.
Breker: Der Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg, einer der Mitbegründer der SPD in der damaligen DDR. Ich danke für