Donnerstag, 25. April 2024

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Ost-West-Grenzradtour
Eine Reise durch die europäische Geschichte

Mahnmale, blühende Landschaften, aber auch verfallene Dörfer. Bei einer Europa-Radtour entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs wird deutlich, wie unterschiedlich sich die früheren Enden der Welt entwickelt haben.

Von Eva Firzlaff | 27.10.2019
Die Gedenkstätte für die Opfer des Eisernen Vorhangs in Mikulov in Tschechien
Die Gedenkstätte für die Opfer des Eisernen Vorhangs in Mikulov in Tschechien (dpa / CTK Photo / Vaclav Salek)
Österreich und Tschechien sind die Ausnahme, so gut wie hier ist die Radroute sonst nirgends ausgeschildert. Euro Velo Nr. 13. Am Rand des Dorfes Satov, drei Fahrrad-Tage nordwestlich von Bratislava, wurde ein Bunker zum Museum. Daneben ist alte Grenzbefestigung erhalten. Jaroslav Pokorny ist der Mann für alles, Marina Sedlakova übersetzt.
"Gleich nach dem 2. Weltkrieg gab es an der Grenze die Mienen. Dann haben wir diese Drahtwand gebaut, und wir haben sogenannte elektrische Wände verwendet. Kein starker Strom. Die wurden von den Tieren sozusagen abgeschaltet, waren also nicht sehr verlässlich. Erst später haben wir Signalwände verwendet. Der Besucher kann das draußen sehen."
Dieser und viele andere Bunker wurden in den 1930-er Jahren gebaut, als die junge Tschechoslowakei Angst hatte vor einem deutschen Angriff. Genutzt wurde er bis zum Beitritt Tschechiens zur NATO. Nicht nur an der innerdeutschen Grenze herrschte ein tödliches Regime, auch an der tschechoslowakischen zu Österreich. Zwischen Mikulov und Valtice berichten Infotafeln am Weg von geglückter Flucht - mit Ballon, durch Tunnel, getaucht durch die Taya. Aber auch von den vielen, viel mehr Opfern, die es nicht geschafft haben. Die beiden sehenswerten Städtchen Mikulov und Valtice profitieren von der offenen Grenze. Beide mit herrschaftlichen Schlössern in nur 15 Kilometer Abstand. Valtice gehört sogar zum Weltkulturerbe.
Beliebter Stopp der Donau-Kreuzfahrten
Zwischen der March/Morava-Mündung und Bratislava war die Donau die Grenze, durfte man nicht ans Flussufer, erzählt Iveta Simove.
"Weil es für uns illegal war über die Grenze zu kommen, gab es hier drei Reihen Stacheldraht. Und diejenigen, die aus der Tschechoslowakei weg wollten, wurden dann an der Grenze erschossen. Und der Soldat, der das gemacht hat, bekam zwei Wochen Sonderurlaub."
Meist sind wir im Grenzgebiet so ziemlich allein, nicht jedoch in Bratislava. Die slowakische Hauptstadt ist mit ihrer restaurierten Pracht der Österreich-ungarischen Monarchie beliebter Stopp der Donau-Kreuzfahrten. Als im 16. Jahrhundert die ungarische Hauptstadt Buda von den Osmanen erobert wurde, machte man die Provinzstadt Pressburg zur zeitweisen Hauptstadt. Für fast 300 Jahre war sie dann auch Krönungsstadt der ungarischen Könige und Königinnen. So trägt die Spitze des Doms kein Kreuz sondern eine Krone.
"Es ist die Kopie der Stephanskrone, die während der Krönung von Königen und Königinnen von Ungarn benutzt wurde. Die Krone dort oben scheint so klein zu sein, aber sie ist so groß wie ein VW Polo und mit acht Kilogramm Gold vergoldet."
Blick über die Altstadt der slowakischen Hauptstadt Bratislava
Ein Blick über die Altstadt der slowakischen Hauptstadt Bratislava (imago / Volker Preußer)
"Wir hatten immer fünf Kulturen"
Da die Mieten und Grundstückspreise in Bratislava ordentlich gestiegen sind, baut man sein Häuschen mittlerweile gegenüber in Österreich. Im Grenzdorf Kittsee ist so in wenigen Jahren die Einwohnerzahl von 1.000 auf 4.000 gesprungen und manch Bauer hat seinen Acker vergoldet. Doch Gerhard Bachmann, Bürgermeister im benachbarten Deutsch-Jahrndorf, das auch wächst, nur deutlich langsamer, sagt, man dürfe seine alteingesessenen Leute nicht überfordern. Neben Deutsch-Jahrndorf gibt es auch Kroatisch-Jahrndorf.
"Da muss man in der Geschichte zurückgehen: Nach den Türken-Kriegen, 1683 glaube ich, war hier alles verwüstet und leer. Die sind ja über Ungarn bis Wien. Dann hat man ja die Schwaben und Sachsen in Rumänien, Siebenbürgen angesiedelt. Und Kroaten oder Leute aus den anderen Kronländern hat man hier her umgesiedelt. Wir haben hier Slowenen, Kroaten, Deutsche, Ungarn, auch Roma und Sinti. Das hat bei uns immer super funktioniert. Wir hatten immer fünf Kulturen und es hat nie Probleme gegeben. Aber jetzt mit den Slowaken, die sie nicht anpassen wollen, wird es sicher zu Spannungen kommen.
Wir treffen uns im Skulpturenpark am Dreiländereck. Die Kunstwerke erinnern an die einst undurchlässige Grenze.
"Wir waren der östlichste Punkt von der westlichen Welt."
Und von allem abgeschnitten. Nun ist sein Dorf mitten in Europa.
"Jetzt haben wir über die Europäische Union ein Förderprojekt mit 85 Prozent Förderung. Diese Straße ist jetzt neu gebaut worden und gleichzeitig machen das auch die Ungarn. Dann kommt sogar ein Autobahnanschluss, der verbindet Bratislava mit Györ und Moson. Und wir rücken jetzt praktisch ins Zentrum zwischen Wie, Pressburg und Moson, Györ, Budapest. Also sind jetzt die drei Hauptstädte von den früheren Kronländern wieder voll miteinander verbunden."
Ein Schuss für hungrige Vögel
Auch - und besonders in Slowenien und Kroatien - verweisen viele Tafeln auf EU-Förderung. Dorferneuerung, Straßen, Kanalisation, Haussanierung, kleine Pensionen, Hochwasserschutz. Die Einheimischen sind stolz auf das, was sie geschaffen haben. Und dankbar für die Hilfe. Halleluja EU.
Und wenn heute ein Schuss knallt, dann ist das keiner. Das Geräusch soll die hungrigen Vögel von den Weinbergen fernhalten. An anderer Stelle kommen Adler-Schreie vom Band oder man nutzt die Technik der Urgroßeltern, kleine klappernde Windräder.
Oft radeln wir durch Weinberge, die überall gepflegt sind. Bei Heiligenbrunn liegt oberhalb des Ortes das Kellerviertel. Hier wohnt keiner, nur Weinkeller dicht beieinander, kleine zwei-geschossige Häuschen, 100 bis 200 Jahre alt. Oben steht die Presse, durch ein Loch im Boden fließt der Traubensaft in Behälter im unteren Raum, in dem der Wein gelagert wird. Josef Muik fragt uns "wollt ihr einen Sturm trinken?". Er hat vor wenigen Tagen mit der Weinlese begonnen, und "Sturm" kommt von stürmischer Gärung. Josef – im Burgenland ganz im Osten Österreichs - erzählt von 1921.
"Nach Kriegsende, 1918 war der Erste Weltkrieg aus, und 1921 ist nach der Volksabstimmung das Burgenland zu Österreich gekommen."
Vorher war die Stadt Szombathely nahe und regionales Zentrum, dann lag sie plötzlich im Ausland, und die Dörfler hatten es richtig weit bis Graz. In Bildein erinnert das Burgenländische Geschichtenhaus auch an diesen Staats-Wechsel. Bürgermeister Walter Temmel begrüßt uns so wie einst der Ausrufer.
"Es wird kund gemacht: Wir begrüßen die Interessierten aus Deutschland recht herzlich bei uns im Burgenländischen Geschichtenhaus. Es freut uns, dass sich wer interessiert, den Eisernen Vorhang abzufahren. Herzlich Willkommen in Bildein, das Dorf ohne Grenzen".
Kellerviertel in Heiligenbrunn im Burgenland in Österreich | Verwendung weltweit
Das Kellerviertel in Heiligenbrunn im Burgenland in Österreich (DPA / chromorange )
Dann kam das Burgenland zu Österreich
Diese burgenländische Tradition hat sich hier bis vor 10 Jahren gehalten: "Das war bei uns wirklich in jeder Ortschaft üblich, dass man in den früheren Zeiten meistens landwirtschaftliche Nachrichten so an die Bevölkerung gebracht hat. Ich habe das irrsinnig gerne gemacht, weil die Leute zusammengekommen sind und hinterher noch getratscht haben."
Um 1990 hatte der Ort den vermutlich jüngsten Gemeinderat von ganz Österreich. Alles junge Leute, Anfang 20. Das jährliche Rock-Festival Picture On gibt es immer noch.
"Es war eine Aufbruchsstimmung. Wir hatten ein gemeinsames Dorf-Ziel: Bildein, das Dorf ohne Grenzen. Das heißt, wir wollen keine Grenzen haben zwischen den ehemaligen Gemeinden Ober- und Unterbildein. Aber auch zwischen Touristen, die her kommen. Und, das war uns ganz wichtig: auch gute Verhältnisse zu den ungarischen Nachbarn. Von denen waren wir vorher immer abgeschnitten."
Auch die Menschen hier hatten sich über Jahrhunderte nach Szombathely orientiert. Dann eben kam das Burgenland zu Österreich und Bildein war am Ende der Welt.
"Deshalb ist es auch erklärbar, dass gerade hier aus der Region, diesem sogenannten Pinkaboden oder Unteres Pinkatal, prozentmäßig die meisten nach Amerika ausgewandert sind. Weil sie hier keine Hoffnung hatten oder wenig Zukunftsperspektiven."
Die meisten kommen nicht zurück
Schon 1987 fragte der ungarische Innenminister Istvan Horvat: Wozu brauchen wir noch den aufwändigen Grenzzaun? Der war marode und hätte erneuert werden müssen, erzählt Lazlo Nagy.
"Was wir nicht wussten bis zur Wende: dass es im ganzen Ostblock keine einzige metallurgische Firma gab, die so eine Qualität produzieren konnte. Denn der Zaun durfte nicht rosten. Wenn irgendwo wegen Rost der Zaun gebrochen wäre, dann fließt der Strom nicht. Die haben den Zaun von Frankreich gekauft. Das war ein Problem, dass Ungarn, das damals in einer schlechten wirtschaftlichen Lage war, mit harten Devisen den Eisernen Vorhang einkaufen musste, aus Frankreich."
Lazlo Nagy ist einer der Gründer des Ungarischen Demokratischen Forums, das im August 1989 das Paneuropäische Picknick organisiert hatte, an der Grenze nahe Sopron. Schon vorher hatte Ungarn Teile der Grenzbefestigung abgebaut.
"Bei dem Picknick wollten wir die Reste des Eisernen Vorhangs als Kulisse verwenden, um gegen die Berliner Mauer zu protestieren. Das haben wir gemacht, wir haben nicht gegen den ungarischen Eisernen Vorhang protestiert, denn der war schon weg. Wir haben kaum einen Platz gefunden, wo noch intakter Zaun war. Wir mussten so einen Platz haben, denn wir hatten in der Presse gesagt, jeder kann kommen und kann ein Stück Zaun abschneiden und mitnehmen als Souvenir. Deshalb sind 25.000 Leute gekommen."
Ungarn und Österreicher, die beiderseits der Grenze wohnten. Doch in die Geschichte ging das Picknick ein, weil mehrere Hundert DDR-Bürger die offene Grenze zur Flucht genutzt hatten. Daran erinnert ein Park direkt an der Grenze mit Info-Tafeln, Denkmal und Friedensglocke.
Weiter im Süden in Ungarn, Slowenien, Kroatien kommen wir durch abgehängte Orte mit verfallenden Häusern neben bewohnten, renovierten. Viele ziehen weg. Doch es gibt auch aufstrebende Dörfer, wie Molve in Kroatien, mit Sportanlagen, Schule, Kindergarten, guten Straßen, renovierten Häusern. Es gibt ein Erdgas-Feld, erzählt die 24-jährige Ivana Ivancan, und die Gemeinden werden am Ertrag beteiligt. Trotzdem sind viele ihrer Schulfreunde nicht mehr da. Sie gehen weg zur Ausbildung, die meisten kommen nicht zurück.
Die Koroöki Br_cke _ber die Drau in Maribor, Marburg, Slowenien. Im Hintergrund eine Kirche |
Die Koroöki Brücke führt über die Drau in Maribor, Slowenien (DPA/ picturedesk)
Der Lauf der Drau
Ich habe Ivana gefragt, was ihre Großeltern oder Eltern vom Eisernen Vorhang erzählt haben. Nein, nichts, denn vor fast 30 Jahren war der Krieg zwischen Kroatien und Serbien, darüber wird gesprochen.
Seit unserem Start im tschechischen Znojmo konnten wir beliebig die Länder wechseln. Mal sind noch die Reste einer Grenzstation zu erkennen, mehr nicht. Bis wir von Ungarn nach Kroatien kommen. Grenzübergang, Ausweiskontrolle, ein hoher langer Zaun, mit Stacheldraht gesichert. Ungarns Antwort auf die kroatische Flüchtlingspolitik der jüngsten Zeit. Die Kroaten wollten die Flüchtlinge schnell loswerden und haben sie sozusagen durchgereicht bis zu ungarischen Grenze. Dann hat Ungarn dicht gemacht.
Zwei Fahrrad-Tage begleiten wir mehr oder weniger dicht den Lauf der Drau. Mal ist der Fluss die Grenze, mal sehen wir auf der Landkarte die wild geschlungene Grenzlinie neben den Schlingen des Flusses liegen. Die Drau kommt aus den Alpen, ein schneller wasserreicher Fluss, der Geröll mitbringt, damit sein eigenes Flussbett verschüttet und sich in dem flachen Land ein neues schafft. Immer wieder verändert der wilde Fluss seinen Lauf und hinterlässt abgeschnittene Altarme. Hier sind die Ufer nicht befestigt wie in den Bergen.
An der Drau folgen wir dem ausgeschilderten Drau/Drava-Radweg. In Österreich, Tschechien und der Slowakei ist der Euro Velo 13 ausgeschildert, nicht immer. Und in Süd-Ungarn gibt es ab und zu Wegweiser Cross Border Bike Tour. Ohne Radtourenbuch oder elektronische Helfer kommt man nicht weit. Das Radtourenbuch klebt oft am Grenzverlauf, die Wegweiser an der Straße kürzen gelegentlich etwas ab. Doch manchmal sind die Wege an der Grenze die einzigen halbwegs befestigten. Wir freuen uns über nagelneuen glatten Asphalt, fluchen aber auch über uralten löcherigen, besonders, wenn es bergauf und –ab geht.
Dobry den, Dobar dan, Jo napot oder Grüss Gott?
Bei Batina überqueren wir die Donau. Von Kroatien rüber nach Serbien. Auf einem Felsen am Westufer erinnert ein Denkmal an die Schlacht von Batina 1944, auf dem Ostufer informiert eine Ausstellung. Die Schlacht von Batina war die größte während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien, erzählt der Historiker Nikola Gucunja.
Das Museum steht an der Stelle, wo die Partisanen die Donau überquerten. Gebaut 1981. Damals, in Jugoslawien, gehörten Museum und Denkmal zusammen. Jetzt liegt das Monument in Kroatien und das Museum in Serbien.
Wir haben unsere Radtour begonnen im tschechischen Znojmo, drei Fahrrad-Tage vor Bratislava, und erreichen nach 1.100 Kilometer das sehenswerte Szeged in Südungarn. Es ist nicht nur eine Reise durch ganz unterschiedliche Landschaften: Weinberge, das Weltnaturerbe Neusiedler See, Ostausläufer der Alpen, Pannonische Tiefebene und Puszta. Es ist auch eine Reise durch die europäische Geschichte. Wir waren in sieben Ländern: Tschechien, Slowakei, Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Ungarn. Da kann man schon durcheinander kommen. Wie grüße ich gerade? Dobry den, Dobar dan, Jo napot oder Grüss Gott?