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Ostafrika
Eine neue Geschichte der Serengeti

Die Serengeti an der Grenze zwischen Tansania und Kenia gilt als eine Ikone der Savannenlandschaften Afrikas. Eine ursprüngliche Natur, deren Struktur kaum vom Menschen beeinflusst ist. So zumindest die gängige Vorstellung - doch daran rüttelt jetzt eine US-Forscherin.

Von Lucian Haas | 30.08.2018
    Eine Familie afrikanischer Elefanten zieht durch den Serengeti Nationalpark in Tansania.
    Eine Familie afrikanischer Elefanten zieht durch den Serengeti Nationalpark in Tansania. (picture alliance / dpa / Winfried Wisniewski)
    Fiona Marshall ist Archäologin an der Washington University in St. Louis, Missouri: "Wir haben entdeckt, dass einer der Ursprünge der fruchtbaren, grasbewachsenen Lichtungen ehemalige Siedlungen von früheren Hirtennomaden sind. Das reicht bis zu 3.000 Jahre zurück. Es gibt noch andere Einflüsse wie Feuer, Termiten oder Beweidungsmuster durch Wildtiere. Aber für die mittelgroßen Lichtungen stellt sich heraus - zumindest in der Mara-Region der Serengeti -, dass alte Hirtenkulturen zu ihrer Entstehung beigetragen haben."
    Die Mara-Serengeti ist der in Kenia liegende Teil der Serengeti. Dort sucht Fiona Marshall seit vielen Jahren nach Spuren früherer menschlicher Kulturen. Bei Ausgrabungen auf verschiedenen Lichtungen fand sie eindeutige Hinweise, dass dort einst Hirten lebten, die ihre Tiere, wie noch heute beim Volk der Massai üblich, nachts zum Schutz in runde Pferche sperrten. Dort sammelten sich dann die nährstoffreichen Exkremente der Tiere an.
    Einfluss von Hirten reicht weit zurück
    Marshall: "Wenn man gräbt, kann man unter der Grasnarbe ein Band mit dem uralten Dung erkennen. Wenn man diese Dungschicht untersucht, findet man immer noch einen hohen Anteil von Mineralien und Nährstoffen, die für das Wachstum wichtig sind - wie Phosphor, Stickstoff, Magnesium und Kalzium."
    Fiona Marshall und Kollegen datierten die organischen Anteile in den antiken Dungstreifen mit der C14-Methode. Dabei zeigte sich, dass diese Flecken in der Landschaft zwischen 1.500 und 3.000 Jahre alt sind. Der Einfluss von Hirten auf die Mara-Serengeti reicht also so weit zurück und ist bis heute in der Landschaft nachweisbar.
    "Das Besondere an unseren Ergebnissen ist: Ökologen haben schon länger erkannt, dass Hirtensiedlungen eine wichtige Rolle spielen für die Nährstoffanreicherung in den Savannen. Die Effekte könnten ihrer Einschätzung nach vielleicht 100 Jahre anhalten, was für Ökologen schon eine lange Zeit ist. Aber wir Archäologen denken in größeren Zeiträumen. Und wir können jetzt sicher sagen, dass es in unserem Fall schon 3.000 Jahre sind. Und wir gehen davon aus, dass die frühesten Hirtenvölker sogar schon vor 5.000 Jahren nach Ostafrika einwanderten."
    Der Mensch prägte Landschaften schon seit der Frühzeit
    Mit anderen Worten: Wenn Hirtennomaden die Savannen Afrikas über Tausende Jahre nutzten und der Dung ihrer Tiere dort den Boden, zumindest fleckenweise, mit Nährstoffen anreicherte, haben sie diese Landschaften auch mit geprägt. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine lange als ursprünglich betrachtete Landschaft in Teilen auch einen anthropogenen Ursprung hat. Die Dungschicht der alten Pferche sorgt für Inseln der Fruchtbarkeit. Das trägt zur Vielfalt der Natur bei.
    "Unsere Studie reiht sich ein in andere Forschungserkenntnisse aus dem Amazonas und einer ganzen Reihe anderer Orte rund um die Welt. Sie legen nahe, dass der Mensch schon seit der Frühzeit die Landschaften beeinflusst hat, in denen er lebt. Wichtig ist allerdings zu sehen, dass in der Serengeti, wie im Amazonas, dieser Einfluss nicht negativ ist, sondern positiv."
    Im Amazonas haben Forscher herausgefunden, dass Menschen dort vor Jahrhunderten die Böden fleckenweise mit Nährstoffen anreicherten, was bis heute fortwirkt. Fiona Marshall rechnet damit, dass auch in anderen Weltregionen wie Zentralasien oder den Anden alte Hirtenkulturen ihre prägenden Spuren hinterlassen haben - wie in der Mara-Serengeti.