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Ostermärsche: Renaissance oder Relikt?

Sind Ostermärsche gegen Atomwaffen Relikte der 80er? Oder muss es angesichts der Katastrophe von Fukushima nicht heißen: Jetzt erst recht? Thomas Ebermann, 1990 aus Protest gegen den Realo-Kurs der Grünen ausgetretenes Gründungsmitglied, und der konservativ gesonnene "Spiegel"-Journalist Jan Fleischhauer beleuchten die Frage von links und rechts.

Thomas Ebermann und Jan Fleischhauer im Gespräch mit Dirk-Oliver-Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Osterfeiertage, für gläubige Christen sind sie der Höhepunkt des jährlichen Kalenders. Ähnliches galt und gilt für die Friedens- und Ökopax-Bewegung und ihren Ostermärschen, die in den 80ern Hunderttausende auf die Straße lockten. In den vergangenen Jahren allerdings hat das Interesse stark abgenommen. Ist es also nicht höchste Zeit, sich von einem Relikt längst vergangener Zeiten endlich zu verabschieden und die Ostermärsche den Historikern zu überlassen, oder gibt es angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima und des Kriegs in Libyen nicht allen Anlass, sich zu engagieren? - Darüber möchte ich jetzt diskutieren, und zwar zum einen mit Thomas Ebermann. Er ist Gründungsmitglied der Grünen, ehemals als Vertreter des ökosozialistischen linken Flügels Fraktionssprecher im Bundestag und 1990 aus Protest gegen den realpolitischen Kurs der Partei ausgetreten. Er ist uns aus Hamburg zugeschaltet. Schönen guten Morgen, Herr Ebermann!

    Thomas Ebermann: Guten Morgen.

    Heckmann: Und zum anderen Jan Fleischhauer, Redakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" und Autor des Bestsellers "Unter Linken: Von einem, der aus Versehen konservativ wurde". Er sitzt für uns in unserem Funkhaus in Berlin. Schönen guten Morgen auch Ihnen!

    Jan Fleischhauer: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Fleischhauer, vielleicht beginnen wir mit Ihnen. Wenn Sie sich die Gruppe derer anschauen, die unverdrossen zu Ostern marschieren, welche Gefühle kommen da in Ihnen hoch?

    Fleischhauer: Warme Gefühle natürlich. Als jemand, der eher konservativ gesonnen ist, bin ich ja für Traditionspflege, und so, wie eben auch Trachtenvereine sich zusammenfinden, finde ich es auch ganz schön, dass hier wieder Menschen sich unterhaken. Da werden wir sicherlich finden wieder die Ökobauern aus dem Trikont und die Ärzte gegen den Atomtod und verschiedene andere Dritte-Welt-Gruppen, die dann eben damit ihrem Kuschelbedürfnis Ausdruck verleihen und sich jetzt auf der Straße zusammenfinden.

    Heckmann: Das heißt, ernst nehmen können Sie diese ganzen Gruppierungen nicht?

    Fleischhauer: Na gut, ich meine, das ist ja das schöne sozusagen: die Forderungen sind nach 30 Jahren, glaube ich, die gleichen, irgendwie mehr Frieden in der Welt, und dann trifft man sich eben zu Ostern und marschiert. Wie gesagt, das hat für mich eher folkloristischen Charakter.

    Heckmann: Herr Ebermann, welche Gefühle kommen in Ihnen hoch, wenn Sie die Bilder sehen werden in den nächsten Tagen?

    Ebermann: Na ja, hier in Hamburg ist ja überschaubar, welches Milieu die Ostermärsche macht. Das ist die Partei Die Linke und ihr Umfeld, auch die DKP und die SDAJ mit dem linken Gewerkschaftsflügel, und der DGB-Vorsitzende ruft auf und auch der ver.di-Vorsitzende, und einige Gruppen, die mir sehr nahe stehen, machen ebenfalls mit, antirassistische Gruppen oder das Auschwitz-Komitee, repräsentiert durch die letzten Überlebenden, noch lebenden Überlebenden der KZs, also ein Milieu, dem ich nicht als Ganzes sehr nahe stehen kann. Ich kann solche Aufrufe nicht unterzeichnen, dafür sind inhaltliche Dissense zu stark, aber unbedingt gibt es Gründe, gegen die Militarisierung der Außenpolitik zu demonstrieren oder im diesjährigen Aufruf auch zu fordern, dass es keine Abschiebung von Flüchtlingen geben sollte.

    Es ist natürlich ein kleinerer Haufen geworden, weil gesellschaftlich etwas durchgesetzt wurde, nicht zuletzt durch die Grünen, durch diese geradezu irrsinnige Idee, dass Deutschland wieder Kriege führen muss wegen Auschwitz. Das ist eine Formel von Joschka Fischer, und der damalige Verteidigungsminister Scharping hat sich dem angeschlossen, in den Spiegel der Vergangenheit gucken bedeutet gegen Jugoslawien Krieg führen. All das trifft auf meine Ablehnung, und trotzdem ist ja unübersehbar, dass die Friedensbewegung insgesamt schwächer geworden ist. Das finde ich, das sollte man nicht kritisieren, eher was im Aufruf steht: Deutschland muss Druck auf Israel ausüben. Das ist für mich unerträglich, deswegen wissen alle Beteiligten, Thomas Ebermann kann so was nicht unterzeichnen. Aber er kann natürlich Respekt haben vor Leuten, die sich gegen die Militarisierung der Außenpolitik wenden.

    Heckmann: Ein Thema in den letzten Jahren und auch dieses Jahr wird natürlich auch das Thema Atomwaffen sein, Atomkraft. Nach Fukushima allerdings sind sogar Union und FDP auf strammem Atomausstiegskurs, zumindest rhetorisch. Hat sich die Friedens- und Anti-AKW-Bewegung also überflüssig gemacht, wenn selbst bürgerliche Parteien ihre Ziele teilen? - Herr Fleischhauer.

    Fleischhauer: Na ja. Offenbar ist es ein ganz dunkler Plan natürlich der Kanzlerin, den Grünen sozusagen ihr großes Thema zu nehmen. Ich glaube, dass wir diese Umfrageergebnisse, die wir im Augenblick sehen, mit 25 Prozent - - Also wenn das Thema Atom erledigt ist - und so sieht es ja aus, dass sozusagen die führenden Atomausstiegsparteien Deutschlands mittlerweile die FDP und die Union sind -, dann, glaube ich in der Tat, wird sich auch dieses Umfragehoch wieder etwas kleiner gestalten über die nächsten Jahre. Denn was bleibt dann noch. Also gut, ich meine, die Pazifizierung, die Herr Ebermann anspricht, aber auch da gehen wir ja mit großen Schritten voran. Wenn ich mich richtig entsonnen habe, sind wir die Nation, die im UNO-Sicherheitsrat mit Enthaltung gestimmt hat beim Libyeneinsatz. Also welches Thema bleibt überhaupt noch der Linken?

    Heckmann: Die Frage reiche ich gleich weiter, Herr Ebermann. Wird es der Kanzlerin gelingen, den Grünen und der Bewegung dieses Thema Anti-Atomkraft - zum Friedensthema kommen wir gleich noch mal - wegzunehmen?

    Ebermann: Also das muss man ja erst mal abwarten, was da diese Experten und Ethik-Kommissare rauskriegen, die übrigens, gemessen an jedem Spott auf Ostermarsch und Ähnliches, hundertmal anachronistischer sind, diese verkleideten Gestalten da in den Ethik-Kommissionen. Nein, ich glaube, es wird einen dann etwas schwächeren Rest geben, der sich ja seit langer Zeit und auch verhältnismäßig einsamer zeitweise für die Abschaltung aller Atomanlagen einsetzt, der auch versucht nachzuweisen, dass die sogenannte zivile und militärische Nutzung von Atomkraft ein Phantom ist, eine Unwahrheit ist, eine Ideologie, eine Lüge. Da bin ich ganz ruhig. Dann wird ein gewisser, jetzt bestehender Hype, dass alle möglichen Leute noch mal den Anti-AKW-Aufkleber sich ans Revers heften, wahrscheinlich ein bisschen erlahmen, so ist es bei Bewegungen, aber die Differenzen in der Substanz werden bleiben. Das ist ein Kalauer zu sagen, dass jetzt FDP und CDU die Parteien der Atomkraftgegnerschaft würden. Sie werden die Parteien sein, die so viel retten wie möglich von der Atomkraft, vielleicht mit Übertragung von Laufzeiten oder Ähnlichem, und sie werden diejenigen sein, die natürlich auch eine exportorientierte Modernisierung der Energiewirtschaft nach rationalem ökonomischem Kalkül, wie man so sagt, nach Standortpolitik- oder nach Weltmarktkonkurrenz-Kriterien organisieren. Da bleiben Differenzen, Hypes gehen rauf und runter.

    Heckmann: Herr Fleischhauer, Sie haben gerade eben schon es angesprochen: Libyen wird ein Thema sein auch der Ostermärsche in diesem Jahr. Sind aber nicht die Pazifisten die wahren Zyniker, weil die tatenlos zuschauen, wie Gaddafis Truppen die Zivilbevölkerung erschießen?

    Fleischhauer: Na ja, also da muss ich mal sagen, ich bin ja dafür, wie übrigens so läuft die Diskussion in Amerika interessanterweise auch. Scharfe Kritik am Engagement Amerikas wird in diesem Fall ja aus dem konservativen Lager geübt, und zwar, weil dort ja auch viele Realisten anzutreffen sind, und bevor man in einen Krieg zieht, sollte man, glaube ich, die Ziele definieren. Also ich bin jetzt überhaupt nicht gegen Engagement, wie Sie sich vorstellen können, aus, sagen wir mal, rein pazifistischen Gründen, sondern ich finde es schon notwendig, dass man vorher klarmacht, was ist das Ziel, und wir sehen, dass dieses ja offenbar ganz schwierig ist. Zunächst haben wir gesagt, auf keinen Fall Bodentruppen, jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir mitkriegen nach einer längeren Bombenkampagne, dass es aber nicht ausreicht, nur mit Bomben aus der Luft zu kommen, weil Herr Gaddafi seine Truppen und Abwehrstellungen jetzt in der Zivilbevölkerung angesiedelt hat, übrigens kein besonders neuer Trick. Das hat Hussein auch schon gemacht, dass man sich Krankenhäuser nimmt oder Kindergärten und dann dahinter seine Truppen versteckt. Milosevic war ein anderer Fall. - Nun sind wir in der Diskussion Bodentruppen. Zunächst robben wir uns da jetzt heran mit Militärberatern. Jetzt werden wir mal sehen, wie weit das geht. Ich glaube, das ist jedenfalls kein besonders schlaues Vorgehen.

    Heckmann: Herr Ebermann, sind die Pazifisten möglicherweise die wahren Zyniker, weil sie eben tatenlos zuschauen?

    Ebermann: Ich glaube, das hat Heiner Geißler mal verkündet - da hatte ich noch kein einziges graues Haar und war ein junger Mann -, dass die Pazifisten Schuld am Nationalsozialismus seien. Nein, das ist natürlich Irrsinn. Pazifismus ist eine ganz verdienstvolle, historisch wertvolle Auffassung, die in der Gesellschaft gegen alle Militär-Köppe und alle Bewunderer von zackigem Gleichschritt verfochten werden muss, die beobachtet, was aus Menschen wird, wenn sie soldatisch dressiert werden und so weiter und so weiter. Ansonsten ist es ja richtig inzwischen, da etwas anderes anachronistisch geworden ist. Ich erinnere daran, dass so ein deutscher Verteidigungsminister Rühe noch Mitte der 90er-Jahre gesagt hat, wo der Nationalsozialismus mal seine Militärstiefel hingesetzt hat, darf nie wieder ein deutscher Soldat auftauchen. Diese Position, dass es etwas gibt, Deutschland darf nicht, weil es das menschheitsgeschichtlich größte Verbrechen begangen hat, die ist in die Defensive oder fast in die Vergessenheit geraten. Umgekehrt heißt es jetzt, wir haben unsere Vergangenheit so brillant aufgearbeitet, dass wir jeden Krieg, den wir für opportun halten, führen dürfen. Ansonsten ist es immer eine Einzelfallprüfung. Deutschland war sehr avantgardistisch, eine sehr treibende Kraft im Jugoslawienkrieg, und Deutschland hatte mal aus eigenem Interesse keine gute Meinung vom Irakkrieg und nimmt jetzt eine Position zu Libyen ein, die jedenfalls die Repräsentanten für die Artikulation des nationalen Interesses halten. Das alles hat mit Friedenspolitik oder Pazifismus, der dann auch noch zynisch sein sollte, überhaupt nichts zu tun, sondern ist in einer Welt, in der es wieder als normal gilt, weil es in den Doktrinen der Bundeswehr und in den verteidigungspolitischen Richtlinien steht, dass man seine geopolitischen Interessen, dass man sein Interesse am freien Handel, dass man sein Interesse an Rohstoffen auch militärisch durchsetzt, dann eine taktische Frage, welchen Krieg man für richtig und welchen für falsch hält, und gegen diese Entwicklung versuche ich mich zu stemmen und nicht, Bestandteil einer Einzelfallprüfung zu werden, welcher Krieg für Deutschland gut ist, sinnvoll ist und seinen ökonomischen und geostrategischen Interessen dient.

    Heckmann: In Baden-Württemberg wird mit Winfried Kretschmann der erste Ministerpräsident der Grünen Ministerpräsident eben. Die Grünen haben traumhafte Umfragewerte, sogar über einen grünen Kanzlerkandidaten wird spekuliert. Herr Fleischhauer, letzte Frage: Ist das ein Trend, der sich verfestigen wird, oder ist das eine Blase, die bald platzen wird?

    Fleischhauer: Das hängt ein bisschen erst mal davon ab, wie Herr Kretschmann da jetzt regiert. Ich habe da schon familiär einige Beziehungen zu, meine Frau kommt aus Baden-Württemberg. Es gibt ja viele, die auch aus dem, sagen wir, eher bürgerlichen Lager diesmal die Grünen gewählt haben, ohne vorher ins Kleingedruckte zu gucken, und nun sind sie ganz erschrocken, als sie die ersten Nachrichten darüber lasen, dass sich nun die Schulen ändern sollen, und nun sagen sie, das haben wir doch alles, alles gar nicht gewollt mit der Einheitsschule. Also ich glaube, da ist noch einiges offen, wie das Experiment in Baden-Württemberg ausgeht. Ein bisschen das Problematische für uns alle in Deutschland ist da, dass wir da mit dranhängen, wenn sagen wir mal sich ein rot-grünes Bildungsexperiment auch in Brandenburg oder in Berlin vollzieht. Na gut, wir haben uns eh angewöhnt, vom Rest der Republik zu leben, während der Wohlstand eben dieses Landes doch ganz im Wesentlichen im Süden hergestellt wird. Insofern muss man sagen, alles, was da schiefgeht, da hängen wir leider mit dran.

    Heckmann: Über die Ostermärsche, die jetzt in diesen Tagen wieder anstehen, und das Hoch der Grünen haben wir gesprochen mit Thomas Ebermann, Gründungsmitglied der Grünen, und Jan Fleischhauer vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Die Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.