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Ostukraine
Leben im Bunker

Schon seit knapp drei Wochen fliegen keine Geschosse mehr auf und über Donezk im Osten der Ukraine. Trotzdem leben am Stadtrand weiterhin viele Menschen in Bunkern, berichten Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, die diese Familien mit Lebensmitteln versorgen. Viele von ihnen seien verwirrt und verängstigt.

Von Florian Kellermann | 30.12.2014
    Eine Frau steht mit mehreren großen Broten in den Händen in einem Luftschutzbunker, hinter sind eine Matratze und Kleidung zu sehen
    Weil ihre Häuser zerstört oder beschädigt sind, haben viele Bewohner aus Donezk und Umgebung in Bunkern Zuflucht gesucht. (picture alliance / dpa/ Valery Sharifulin)
    Vika ist verwirrt. Mit großen Augen schaut die Sechsjährige auf die Helfer, die Essenspakete hereintragen. Wie lang sie schon hier im Bunker ist? "Sehr lange", sagt sie, "weil draußen doch geschossen wird". Wo sie früher gewohnt hat? "Ich weiß nicht mehr", sagt das Mädchen und dreht sich weg.
    Schon seit knapp drei Wochen fliegen keine Geschosse mehr auf und über Donezk. Trotzdem lebten hier am Stadtrand weiterhin vielen Menschen in Bunkern, sagt Jewgenij Schybalow.
    "Die meisten sind aus der Gegend. Ihre Wohnungen sind vom Artilleriefeuer beschädigt oder zumindest die Fenster kaputt. Und dann gibt es die aus benachbarten Städten, deren Häuser nicht einmal mehr stehen. Die dritte Gruppe sind die Verängstigten, Verwirrten, die sich einfach nicht mehr nach Hause trauen. Sie fühlen sich nur noch hier sicher."
    Der Luftschutzbunker gehört zum Bergwerk Tscheljuskintsew im Osten von Donezk. Die Sowjetunion baute ihn in den Nachkriegsjahren.
    Die Helfer haben Atemmasken vor die Nasen gebunden - die Luft im Bunker ist feucht und stickig. Fenster gibt es nicht. Eine alte Frau sitzt an die Wand gelehnt auf ihrer Matratze und reibt sich die Augen.
    Jewgenij Schybalow und seine Freunde kommen regelmäßig hierher. Sie haben im Sommer die Organisation "Verantwortungsbewusste Bürger" gegründet, die Bedürftigen hilft. Unter ihnen sind Journalisten, Büroangestellte und Künstler. Diesmal haben sie Decken, Lebensmittel und Medizin dabei.
    "In jedem Bunker und in jedem Krankenhaus - überall, wo wir helfen, haben wir einen Freiwilligen. Er oder sie erstellt eine Liste mit den Namen der Bedürftigen. Bevor wir liefern, kommen wir selbst noch einmal und überprüfen das. Psychologisch Traumatisierte können selbst oft gar nicht sagen, was sie brauchen."
    Die Helfer fotografieren die Bunker-Bewohner
    Privatsphäre haben die Bunker-Bewohner also keine. Die Helfer kennen nicht nur ihre Namen. Sie fotografieren sie auch, um den Spendern Rechenschaft ablegen zu können. Das ist notwendig in Donezk, wo manche auch mit humanitärer Hilfe Schwindel treiben.
    20 Minuten später sind die "Verantwortungsbewussten Bürger" schon beim nächsten Bunker. In einem Hinterhof führt einfach ein Schacht in die Tiefe. Die Treppe ist dunkel, unten bellen Hunde. Aber nur kurz - auch sie ahnen, dass Nahrung kommt.
    Hinter einem dicken Vorhang liegt der Wohnraum, in dem von allen Seiten der Putz bröckelt. Hier ist die Luft noch stickiger. Die Kinder sehen fern, zwei Männer spielen Schach. Swjeta, eine junge Mutter, zeigt ihre drei Kinder. Sie freut sich, weil die Bombardements aufgehört haben:
    "Meine Größte ist vier Jahre alt. Sie weiß schon, was Raketen vom Typ Grad sind und vom Typ Uragan. Sie weiß, wenn es knallt, muss sie sich auf den Boden legen und die Ohren zuhalten. Wenn meine Kinder fernsehen, zeigen sie auf die Soldaten. Das da sind die Guten, die uns beschützen, sagen sie. Und das da die Bösen, die unsere Häuser zerstören. Sie verstehen mehr als so mancher Erwachsene."
    Die Bösen sind für Swjeta und ihre Kinder die ukrainischen Soldaten. Die Regierung in Kiew alleine sei Schuld an dem Krieg, so vermitteln es die Fernseh- und Radiosender, die in Donezk noch zu empfangen sind.
    Jewgenij, der Helfer, ist alles andere als ein Anhänger der Separatisten. Trotzdem kann er Swjeta verstehen.
    "Hier leben ukrainische Staatsbürger, an die sich die Ukraine nicht einmal zu erinnern scheint. Ich habe vor kurzem alle Dekrete des Präsidenten durchgelesen. Er hat kein einziges Mal Staatstrauer wegen getöteter Zivilisten verhängt."
    Am Eingang zum nächsten Bunker müssen die Helfer warten. Der Lieferwagen einer russischen Organisation ist vorgefahren. Sie hat zwar nicht viele Hilfsgüter dabei, dafür eine professionelle Kamera und einen orthodoxen Priester. Jewgenij nimmt es gelassen: Am Ende erinnerten sich die Menschen doch, wer ihnen wirklich geholfen hat, sagt er.