Donnerstag, 18. April 2024

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OSZE in der Ukraine
"Präsenz markieren und beobachten"

Der OSZE-Sondergesandte Tim Guldimann hat bei der diplomatischen Lösung des Ukraine-Konflikts Neutralität angemahnt. Die Lage im Osten des Landes sei zwar instabil, aber auch im Westen des Landes gebe es Berichte über Vorgehen gewisser radikaler, rechter Kräfte, sagte Guldimann im DLF.

Tim Guldimann im Gespräch mit Dirk Müller | 26.03.2014
    Dirk Müller: Aus dem Kreml kam immer wieder ein klares Nein in den vergangenen Wochen, und ein Nein von Wladimir Putin hat Wirkung auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beispielsweise, denn die OSZE wollte eine Beobachtermission in die Ukraine schicken, um zu sehen, um zu überprüfen, auch um zu spüren, wie die Entwicklung im Land ist, auch im Osten und im Süden, auch auf der Krim. Das geht aber nicht ohne die Zustimmung aus Moskau, denn Russland ist Mitglied der OSZE. Dann kam doch grünes Licht, jetzt sind die ersten Experten in der Ukraine, nicht aber auf der Krim. Das gehört jetzt zu Russland. Diese Lesart war die Bedingung aus Moskau.
    Die OSZE-Mission in der Ukraine – am Telefon in Berlin ist nun Tim Guldimann, Sondergesandter der OSZE für die Ukraine, sonst im Hauptberuf Schweizer Botschafter in der deutschen Hauptstadt. Guten Morgen!
    Tim Guldimann: Guten Morgen.
    Müller: Herr Guldimann, wir haben ganz kurz vorher telefoniert, gesprochen. Da haben Sie gesagt, stellen Sie mich bitte nicht falsch vor. Das ist jetzt in den vergangenen Tagen mehrfach passiert. Habe ich Sie richtig vorgestellt?
    Guldimann: Richtig.
    Müller: Sondergesandter der OSZE?
    Guldimann: Ja.
    Müller: Jetzt geht es darum, dass Sie vor Ort versuchen, die Dinge zu klären. Wissen Sie überhaupt, was Sie klären sollen?
    Guldimann: Es geht darum, dass die OSZE-Beobachtermission, die letzten Freitag beschlossen worden ist, abklärt, was vor Ort die Realität ist. Das heißt, das Ziel ist, überall im Land, wo das möglich ist, ausgehend von Kiew an neun weiteren Orten, Präsenz zu markieren, dort zu beobachten, was passiert, und dann auch vor allem zu beobachten, inwiefern das, was man sieht, übereinstimmt mit internationalen Normen oder auch lokaler Gesetzgebung.
    "Die OSZE ist eine Organisation des Konsenses"
    Müller: Ist Wladimir Putin schon jetzt ein Bösewicht?
    Guldimann: Die OSZE ist eine Organisation des Konsenses. Das heißt, alle 57 Mitgliedsstaaten müssen sich einigen, damit die OSZE etwas unternehmen kann. Der Entscheid des Einsatzes dieser Mission war ein Konsensentscheid, was bedeutet, dass alle – und da ging es nicht nur um Russland, sondern auch die anderen – zustimmen mussten. Vor dem Entscheid passierte ein intensive Seilziehen auf höchster Ebene, damit das möglich wurde, wobei es nicht nur darum ging, alle gegen Russland, sondern da waren auch andere Positionen.
    Müller: Sie haben das jetzt nicht klar beantwortet, konnte ich mir auch vorstellen, dass Sie das nicht klar beantworten. Ich frage deshalb, weil Sie sind jetzt in Berlin und fliegen heute nach Moskau. Wen treffen Sie dort?
    Guldimann: Ich werde hohe Personen des Außenministeriums treffen und generell über den Einsatz der OSZE in der Ukraine diskutieren.
    Müller: Und was wollen Sie da von den Russen haben an Zugeständnissen, oder was wollen Sie erreichen?
    Guldimann: Es geht nicht um Zugeständnisse. Es geht um die Ausrichtung der OSZE generell.
    Müller: Verraten Sie uns ein bisschen darüber.
    Guldimann: Das werde ich jetzt nicht tun. Das könnte ich allenfalls nachträglich, aber nicht vorgänglich.
    Für OSZE auch wichtig, im Westen tätig sein zu können
    Müller: Und warum hat Moskau darauf Einfluss, was Sie in der Ukraine machen?
    Guldimann: Moskau hat wie jeder andere Teilnehmerstaat der OSZE einen Einfluss in dem Sinne, dass wie schon erwähnt alles im Konsens passieren muss. Ich glaube, es ist jetzt wichtig, dass man auch noch etwas sagt, was tut denn diese Mission, und für diese Mission ist wichtig, dass sie nicht nur in einem Bereich, nämlich dort, wo es kritisch ist, im Osten, sondern beispielsweise auch im Westen tätig sein kann. Auch im Westen gibt es Berichte über Vorgehen gewisser radikaler Elemente, die wir jetzt noch nicht überprüfen können, von rechten Seiten, währenddem es im Osten darum geht, dass eine insgesamt unstabile, sagen wir mal, kritische Situation vorherrscht, aber - und das konnte ich letzte Woche vor Ort auch feststellen - dass es nicht so ist, was man befürchtet, dass jetzt unmittelbar davon auszugehen ist, dass ein Szenario wie auf der Krim stattfinden wird. Was aber ist, ist, dass die Bevölkerung im Osten gegenüber Russland eine sehr offene Haltung hat, eine gute Nachbarschaft pflegen will und es eine Minderheit gibt in dieser Bevölkerung, die einen Anschluss an Russland nicht verweigern würde, das heißt allenfalls unterstützen würde.
    Müller: Herr Guldimann, Sie haben gerade Kräfte im Westen angesprochen. Das will sich Ihre Mission auch anschauen. Aus Moskau war jetzt in diesen Tagen zu hören, die OSZE-Mission soll beitragen zum Ende des ungezügelten ultranationalistischen Banditentums. Haben Sie das auch im Hinterkopf, gerade auch mit Blick auf Kiew?
    Guldimann: Es gibt Berichte von Tätigkeiten, die illegal sind, die gewalttätig sind auf verschiedenen Seiten, und es ist in dieser unparteiischen Haltung der OSZE die Aufgabe dieser Mission festzustellen, wie das, was man beobachten kann vor Ort, übereinstimmt mit internationalen Normen und auch lokaler Gesetzgebung, und da gibt es natürlich eine Haltung, die unparteiisch sein muss, damit man auch, sagen wir mal, neutral auf die Stabilisierung des Landes einwirken kann.
    "Wichtig ist, dass man unparteiisch an die Probleme herangeht"
    Müller: Reden wir noch einmal über diese Neutralität, Tim Guldimann. Sie sind seit vielen, vielen Jahren Diplomat. Sie haben viele Krisenherde der Welt auch gesehen und besucht und in schwierigen Situationen auch schon bestanden. Wie schwierig ist das für Sie persönlich, in diesem Feld jetzt beziehungsweise in dieser Aktion unterwegs zu sein und dann neutrale Haltung zu bewahren?
    Guldimann: Vielleicht muss man aufpassen mit dem Begriff der Neutralität. Es geht darum, dass im Rahmen der OSZE Grundsätze festgelegt worden sind. Das sind die OSZE-Charta, das ist auch das Völkerrecht, das sind auch die Grundsätze, die Nota bene im Europarat verabschiedet worden sind, und da geht es darum zu schauen, inwiefern diese eingehalten werden. Das heißt, wichtig ist, dass man unparteiisch an die Probleme herangeht und nicht sagt a priori, es geht hier um einen Konflikt zwischen A und B und A hat recht, sondern das, was Recht ist, ist festgelegt in diesen internationalen Prinzipien, die man durchsetzen muss.
    Müller: Die Frage war ja, wie schwierig ist das für Sie persönlich, diese Haltung, die persönliche, private Haltung auszuklammern?
    Guldimann: Ich glaube, es geht nicht darum, dass die private Haltung von der Haltung der internationalen Grundsätze differiert, sondern es geht darum, dass man versucht, im Gespräch mit den verschiedenen Seiten darauf hinzuweisen, was beachtet werden muss.
    Im Osten der Ukraine Interesse an einer internationalen Präsenz vor Ort
    Müller: Es geht ja darum, haben Sie eben gesagt, die Realität, die Wirklichkeit zu überprüfen in vielen Teilen des Landes in der Ukraine, im Westen, im Osten, was uns ja auch sehr vordringlich seit vielen, vielen Wochen interessiert, wie dort die Entwicklung ausgehen wird beziehungsweise wo sie hindriftet. Auch im Süden der Ukraine sind ja noch viele Fragezeichen angesetzt. Sie bekommen 500 Beobachter in den nächsten Wochen, wenn wir das hier richtig gelesen haben, und bald werden schon 100 Experten im Einsatz sein. Sind die alle darauf angewiesen, dass die Ansprechpartner vor Ort zusammenarbeiten, dass die kooperieren?
    Guldimann: Wir haben überall in unseren Gesprächen auch im Osten eine sehr große Offenheit, auch ein Interesse daran gespürt, dass eine internationale Präsenz vor Ort ist. Beispielsweise geht es darum, dass wir im Osten haben feststellen können bei allen Gesprächspartnern, dass die sagen, wir haben ein Problem, dass wir von Kiew, von der Hauptstadt zu wenig gehört werden. Das heißt, dass wir ein Interesse daran haben, dass das Verhältnis zwischen dem Osten, der vor allem russischsprachig ist und wie gesagt eine gute Nachbarschaft zu Russland haben möchte, und der Hauptstadt, dass in diesem Verhältnis ein, sagen wir mal, gegenseitiger Respekt und vor allem auch ein Respekt stärker zum tragen kommt gegenüber den östlichen Gebieten, und da ist die Frage der Dezentralisierung sehr hoch auf der Agenda, wurde von allen Gesprächspartnern erwähnt. Und jetzt ist die Frage, inwiefern auch von anderen Teilen in der Ukraine dieses Thema aufgenommen werden kann.
    Müller: Wir haben eben gemeinsam, Tim Guldimann, ja auch noch mal diesen Telefonausschnitt von Julia Timoschenko gehört mit diesen Diffamierungen, Beleidigungen, ja fast gewalttätigen Attitüden. Was geht da in Ihnen vor?
    Guldimann: Ich glaube, es ist entscheidend, dass in einer solchen Situation, wo die Konflikte eskalieren können, man versucht, gemeinsam den Dialog aufrecht zu erhalten. Das klingt jetzt etwas banal, aber ich glaube, ob das das Verhältnis gegenüber dem Osten oder zwischen dem Osten und dem Rest des Landes ist, oder auch von radikaleren Positionen, die man, wie wir gehört haben, jetzt vor allem auch im Westen des Landes, in Lemberg, in dieser Region vertritt, dass man versucht, hier wieder im nationalen Umfeld den politischen Dialog so voranzutreiben, dass das nicht eskaliert. Das ist möglich.
    Müller: Julia Timoschenko?
    Guldimann: Ich möchte nicht dazu Stellung nehmen, was hier offensichtlich aus einem privaten Gespräch gehört worden ist.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Tim Guldimann, Sondergesandter der OSZE für die Ukraine. Danke für das Gespräch, alles Gute.
    Guldimann: Danke vielmals!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.