Archiv


OSZE sieht keine Unregelmäßigkeiten bei Duma-Wahl

Durak: Die Parlamentswahlen in Russland haben, man kann schon sagen, das erwartete Ergebnis gebracht, soweit bis heute morgen die Trends auszumachen sind. Über 80 Prozent der Stimmen sind ausgezählt, danach liegt die Partei Geeintes Russland mit 36,7 Prozent vorn, die Kommunisten haben mit 12,8 Prozent verloren und die Schirinowski-Partei mit 12 Prozent dazu gewonnen. Jabloko und die Union Rechter Kräfte scheitern bisher an der Fünf-Prozent-Hürde und die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent. Rund 110 Millionen Russen waren gebeten und aufgefordert, sich an der Wahl zu beteiligen. Und zu der rund 500-köpfigen OSZE-Beobachtergruppe gehören auch circa 40 deutsche Vertreter, geleitet von Rita Süßmuth, der ehemaligen Bundestagspräsidentin. Sind Sie noch ein wenig müde vom gestrigen Tag und dieser Nacht und den Wochen, Frau Süßmuth?

    Süßmuth: Ja, das ist wahr, das waren ja nur zwei Stunden Schlaf zwischendrin.

    Durak: Das war sehr arbeitsintensiv für Sie und Ihre Gruppe, den Russen beim Wählen und der Vorbereitung der Parlamentswahlen über die Schulter oder eher auf die Finger zu schauen. Waren dies demokratische Wahlen?

    Süßmuth: Wenn Sie vom gestrigen Tag ausgehen, ist die Wahl geordnet und weitestgehend nach den Regeln verlaufen. Es gibt da ein paar Unregelmäßigkeiten, aber der Wahltag selbst ist nach Auskunft aller korrekt verlaufen, denn meine Leitung betraf ja nicht die 40, sondern die über 500 OSZE-Observer. Die letzten Daten kommen gleich noch herein, aber das, was wir gestern über die Hälfte hatten, macht dieses Urteil aus. Nicht in gleicher Weise positiv verlaufen ist der Wahlkampf. Das kann man ganz eindeutig sagen, die Partei Geeintes Russland, die Putin-Partei, hat ihr Ziel erreicht. Dort gab es eine doch vorherrschende Präsenz Putins und seiner Partei auf dem staatlichen Fernsehen, so dass dort andere Parteien einen weitaus geringeren Zugang hatten.

    Durak: Was haben Sie darüber hinaus zu beanstanden, um sagen zu können, Sie wollen doch einen Unterschied machen zwischen dem Wahltag und dem Wahlkampf, was demokratisches Gebaren angeht?

    Süßmuth: Zum einen betrifft es den Zugang der Parteien zu den staatlichen Medien, und das andere ist ein sehr starker Missbrauch der öffentlichen Einrichtung für den Wahlkampf. Also, wirklich ist der öffentliche Apparat in hohem Maße entgegen den Regeln für den Wahlkampf eingesetzt worden. Dann ist drittens zu beanstanden, und das ist irreführend, dass sehr viele Kandidaten auf den Wahllisten sind, die am Ende gar nicht in die Duma gehen, so dass es irreführend ist für die Wähler, wen sie eigentlich wählen. Das Schwierigste war eigentlich, dass gleichzeitig zum Teil sogar Bürgermeisterwahlen waren, wie in Moskau, Gouverneurswahlen und Duma-Wahlen, und da muss man schon sehen, dass ich viele auch in den Wahlstationen erlebt habe, die dies als sehr kompliziert empfunden haben.

    Durak: Würden Sie dies als ausreichend betrachten, die Wahl von russischer Seite her anzufechten?

    Süßmuth: Nein, die ist nicht anzufechten. Nach den Standards, nach den Kopenhagener Standards sind eine Reihe von nicht erfüllten Kriterien vorhanden, aber das ist kein Grund, die Wahl anzufechten.

    Durak: Wenn Sie sich noch einmal erinnern an die Tage zuvor, wenn Sie als OSZE-Wahlbeobachterin mit Ihren 500 Kollegen unterwegs waren, wen Sie getroffen, wen Sie gesehen haben, was haben die Bürger Ihnen gesagt, was haben Sie hören können an Erwartungen an diese Wahl und die neue Duma?

    Süßmuth: Was dominierenden Merkmale waren, ich nenne als erstes geringes Interesse an einem Wahlkampf, der nicht programmatisch, also sprich inhaltlich geführt wurde, sondern der ein Personenwahlkampf war. Dann waren, soweit es um Inhalte ging, ging es um ein starkes Russland, um einen starken Staat, und es ging zum dritten um die Bekämpfung von Korruption, gegen die Oligarchen und für mehr soziale Gerechtigkeit, das waren die drei Schwerpunkte. Und wo wir unterwegs waren, wurde immer wieder gesagt, dass die Wertschätzung von Parteien äußerst gering ist und zum anderen, dass die Wertschätzung des Parlaments ebenfalls gering ist. Und das ergibt sich auch aus der gesamten Diskussion des Wahlkampfes. Das heißt also, was unser Anliegen ist - auch als OSZE, auch nach diesem Wahlausgang -, ist doch, erheblich die Demokratie zu stärken. Ich nenne Ihnen ein weiteres Merkmal: Die Wahlkommission hat eine sehr professionelle Arbeit geleistet, aber wenn Sie sich einmal anschauen, wie sieht es um die Zivilgesellschaft, auch Vertretung von Nichtparteimitgliedern in Wahlkommissionen aus, dann sind das noch immer Keimlinge und Anfänge. Insofern ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, auch bei der starken Stellung Putins jetzt, alles zu tun, auch mit den Institutionen in Russland, die Demokratisierung voran zu bringen.

    Durak: Nun ist es ja, Frau Süßmuth, eine russische Entscheidung, auch wenn nur etwa 50 Prozent der Wahlberechtigten gewählt haben und offensichtlich will die Mehrheit dieser 50 Prozent einen starken Präsidenten, sonst hätte man ihm eine starke Opposition an die Seite gegeben. Welche Möglichkeiten hat die OSZE nun, sagen wir mal, positiv Einfluss zu nehmen?

    Süßmuth: Ich denke, diesen Einfluss, und das ist unser Verständnis, kann man nur über Gespräche, über Auseinandersetzung nehmen, über das, was im Wahlprozess verbessert werden muss und kann. Wir haben durchaus sowohl in der Rückkopplung mit der Wahlkommission wie mit den Parteien durchaus auch offene Ohren gefunden. Und ich muss Ihnen sagen, in den Wahlstationen wurde die Wahlbeobachtung der OSZE auch gerade von Bürgerinnen und Bürgern sehr begrüßt. Auch die Vertreter der Wahlkommission, die dort waren, auch die Beobachter von Parteien und Nichtparteien haben das sehr begrüßt. Ja, ich habe keine einzige Stelle gefunden, wo das nicht der Fall gewesen wäre und auch die Mitteilungen, die Rückmeldungen über das Land, denn wir haben ja immerhin in 2.500 Wahlstationen Beobachter gehabt, haben dies bezeugt. Ich sage Ihnen noch einmal: Ja, die Bevölkerung ist in hohem Maße für diesen Präsidenten und daran ist auch gar nichts zu deuteln, weil er das Land, wie sie sagen, aus der Demütigung und Schwäche wieder herausgeführt hat und das haben sie ihm ja auch in den Wahlstimmen bestätigt.

    Durak: War das Ihre erste intensive Begegnung mit Russland der nach-sowjetischen Zeit?

    Süßmuth: Nein. Da ich ja seit zehn Jahren in der OSZE bin und in der parlamentarischen Versammlung war, bin ich eigentlich seit der nach-sowjetischen Zeit fast jährlich ein- bis zweimal im Land gewesen. Wir haben auch in diesen Zwischenjahren gerade mit dem bisherigen Sprecher der Staats-Duma und der parlamentarischen Delegation immer wieder lange Gespräche geführt. Was ich positiv sagen muss, es ist ein Wandel in der Bürgerschaft festzustellen, sie sind auf dem Weg zur Demokratisierung.

    Durak: Was nehmen Sie außerdem noch mit als Erkenntnis, als Erfahrung aus diesen Wahlen mit nach Deutschland?

    Süßmuth: Aus diesen Wahlen nehme ich als Erkenntnis mit für die OSZE: Es ist sehr wichtig, nicht nur am Wahltag da zu sein, sondern wie jetzt ab Oktober Wahlbeobachtung, Wahlkampfbeobachtung zu machen und die Umsetzung des Wahlgesetzes zu beobachten. Ich denke, hinzukommt neben Langzeit- und Kurzzeitbeobachter mehr in kritischen Regionen, auch mit Follow-Up nach den Wahlen in dieser Mission weiter zu arbeiten.

    Durak: Das war Rita Süßmuth, die Leiterin der 500-köpfigen OSZE-Beobachterdelegation zu den Parlamentswahlen in Russland, vielen Dank für das Gespräch.