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Päpstlicher Protest

1933 hatte der Vatikan das Reichskonkordat mit der Hitler-Regierung geschlossen und gehofft, dadurch der katholischen Kirche in Deutschland einen rechtlichen Freiraum zu sichern. Das ging daneben. Mehr und mehr missachteten die Nationalsozialisten die kirchlichen Rechte. Eine Enzyklika vom 14. März 1937 stärkte den Regimekritikern in den Reihen der Katholiken den Rücken.

Von Peter Hertel | 14.03.2007
    "Mit brennender Sorge [...] beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche."

    So beginnt das päpstliche Dokument, das Konrad Graf von Preysing, der katholische Bischof von Berlin, am Sonntag, dem 14. März 1937, erhält. Graf Preysing, der mit Bischof Graf von Galen aus Münster eine offensive Kirchenpolitik gegenüber den Nazis verficht, darf zufrieden sein: Diese Enzyklika ist noch schärfer und klarer als der Entwurf, den der Münchener Kardinal Faulhaber im Namen der deutschen Bischöfe vorgelegt hat - angesichts der Unterdrückung der katholischen Kirche durch den Nationalsozialismus. In seinem Lehrschreiben an alle katholischen Bischöfe der Welt wirft Papst Pius XI. den Nazis vor, sie wollten die Kirche vernichten:

    "Der Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre [...] enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf."

    Schonungslos verurteilt Pius XI. die Nazi-Forderung nach einem neuen, rassegemäßen Glauben:

    "Wer die Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform, die Träger der Staatsgewalt [...] zur höchsten Norm aller, auch der religiösen, Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene Ordnung der Dinge."

    Übermittelt wurde das Dokument durch Nuntius Cesare Orsenigo, den Vertreter des Papstes in Deutschland, der wie Preysing in Berlin residiert. Offenbar deshalb ist der Berliner Bischof der erste deutsche Oberhirte, der von der Enzyklika an diesem 14. März erfährt und sie im Wortlaut kennt. Widerständler Preysing wünscht sich, dass sie schnellstens in allen katholischen Kirchen Deutschlands verlesen wird. Nur so könne verhindert werden, dass die Gestapo, die Geheime Staatspolizei, ihre Verbreitung verhindere. Sofort schreitet er zur Tat. Der Ablauf gleicht einem Krimi: Auf abgeschirmten Wegen sucht der Berliner Bischof eine Verständigung zwischen den 27 deutschen Diözesen. Zunächst jedoch muss der wichtigste Kirchenführer überzeugt werden: Kardinal Adolf Bertram in Breslau, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der zu Nachgiebigkeit gegenüber der Nazi-Regierung neigt. Am Montag, dem 15. März, schickt Preysing einen engen Mitarbeiter nach Breslau, der in seinem Tagebuch notiert:

    "Um 14.15 Uhr stieg ich mit einer Heinkel-Blitzmaschine vom Flughafen Tempelhof bei Windstärke 10 auf und nach einem stürmisch bewegten Flug sah ich um 15.15 Uhr unter mir den Flugplatz in Gandau und mit großen Lettern: 'Breslau'."

    Kardinal Bertram will den Termin der Verlesung in der Tat hinausschieben, nur auf Druck des päpstlichen Nuntius hin lenkt er ein. Um die Post zu umgehen, wird die Enzyklika von Kurieren zu Fuß oder per Fahrrad an die Bestimmungsorte gebracht, oft durch Feld und Wald. Gelegentlich wird sie gar Pfarrern im Beichtstuhl überreicht. Einige Diözesen lassen Tausende von Exemplaren für die spätere Verteilung drucken. Kurzum: Die Geheimaktion gelingt. Erst am Samstagnachmittag bekommt die Gestapo Wind von der Sache, kann sie aber nicht mehr stoppen. Am nächsten Morgen, Palmsonntag, wird die Enzyklika in fast allen katholischen Gemeinden öffentlich verlesen, etwa 300.000 gedruckte Exemplare kommen in Umlauf.

    Reichskanzler und Parteichef Hitler ist ausgesprochen sauer, wie Bischof Preysing einige Tage später berichtet:

    "Der Reichskanzler hat einen Wutanfall über die Enzyklika bekommen und der Gestapo wegen ihrer mangelhaften Überwachung und Beobachtung einen Anpfiff gegeben."

    Hitlers Rache folgt auf dem Fuße. 13 der beteiligten katholischen Druckereien werden auf seine persönliche Anweisung hin geschlossen und enteignet, einzelne Personen werden verhaftet. Offenbar voll Angst vor weiteren Konsequenzen scheuen sich deutsche Bischöfe, das vom Papst gesetzte Signal der Unnachgiebigkeit in der deutschen Erde couragiert festzurammen. Am 27. April, gerade mal fünf Wochen nach Veröffentlichung der Enzyklika, korrigiert Kardinal Bertram, der deutsche Bischofsvorsitzende, den Papst. In einem Schreiben an die Reichsregierung nimmt er selbst Hitler in Schutz:

    "Wo das Wort 'Vernichtungskampf' gebraucht ist, handelt es sich keineswegs um die Beurteilung der persönlichen Absichten des Führers [...] Von einer feindlichen Einstellung des Klerus gegenüber dem nationalsozialistischen Staate ist dem Episkopate nichts bekannt."