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Pakistan hatte "das Ausmaß dieser Flut einfach unterschätzt"

Vor einem Jahr hatte das Hochwasser in Pakistan seinen höchsten Stand erreicht. Vorwürfe an die pakistanischen Behörden, sie hätten zu spät gehandelt, weist Hans Steinmann von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zurück. Andere Regierungen wären auch überfordert gewesen "bei so einer Dimension".

Hans Steinmann im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Herr Steinmann, heute vor einem Jahr hat das Hochwasser seinen höchsten Stand erreicht. Welches Bild hat sich Ihnen damals vor Ort geboten?

    Hans Steinmann: Ich war in Peschawar und bin auf dem Rückweg in den Regen gekommen, das hat damals angefangen, und ich habe auf der Indusbrücke gestanden, da war das alles noch ein normaler Fluss. Und zehn Tage später bin ich wieder nach Peschawar gefahren und habe auf der Brücke gestanden, und ich habe das Gefühl gehabt, ich gucke aufs Meer. Man hat kein Ufer mehr gesehen. Und auf der Straße natürlich die Menschen, die auf dem Mittelstreifen unter Zeltplanen hausten; die Haustiere, die übergeblieben sind, liefen auf der Straße herum – das war schon alles sehr, sehr ergreifend und, ja, und hat dann eben auch zu der Überlegung geführt, dass wir da was tun müssen. Ich sage das deshalb, weil das Gesundheitsprogramm ursprünglich keine Soforthilfe- oder Nothilfekomponente hatte. Ich habe mit dem Bundesministerium dann, mit dem Bundesentwicklungsministerium Kontakt aufgenommen, und wir haben dann das Mandat auch bekommen, Soforthilfe zu leisten und Programmmittel des Gesundheitsprogrammes umzuwidmen.

    Barenberg: Was war das Erste, was dann zu tun war, Herr Steinmann?

    Steinmann: Ja, ich habe mit meinen Kollegen dann gesessen, und wir haben natürlich auch in den Meetings gehört, was passiert. Und Nahrungsmittel-, Medikamentenversorgung war zunächst mal in Ordnung, das hat ... da gab es keine Engpässe. Woran es gefehlt hat, war Trinkwasser, und das habe ich dann natürlich auch selber erlebt: Es gibt zwar riesige Wassermengen, aber natürlich alles kontaminiert, verseucht, und die Leute haben wirklich gelitten. Deshalb war dann ganz klar die Überlegung von unserer Seite aus: Wenn wir was tun können, dann lasst uns Wasserfilter einführen und lasst uns schauen, ob wir eventuell Wasseraufbereitungsanlagen einführen können.

    Barenberg: Zwölf Monate später: Was bestimmt heute Ihren Arbeitsalltag?

    Steinmann: Der Arbeitsalltag heute: Also neben dem normalen, sage ich jetzt mal in Anführungsstrichen, normalen Gesundheitsprogramm mit den verschiedenen Komponenten haben wir jetzt auch aufgenommen, die Einheit, die im Gesundheitsministerium in Peschawar für die Katastrophenvorsorge zuständig ist, die zu beraten, mit denen zu arbeiten und die also tatsächlich funktionsfähig zu machen. Das muss ich noch dazu sagen: Also neben dieser Soforthilfe, die wir geleistet haben, haben wir auch an den Meetings teilgenommen der verschiedenen Hilfsorganisationen, und es war schon so, dass zu Beginn also jeder natürlich helfen wollte, was man gutheißen muss, aber es war nicht sehr koordiniert, es war nicht sehr koordiniert. Und ich bin aus einem Meeting rausgegangen, und eine Kollegin aus dem Gesundheitsministerium hat mich angesprochen und hat mich gefragt, Hans, können wir nicht was tun, um das mehr strategisch auszurichten? Und dann haben wir uns zusammengesetzt und haben gesagt, okay, diese Einheit muss funktionsfähig werden. Das haben wir dann auch geschafft. Zunächst mal eben hat diese Einheit oder die Kollegen, die dann in dieser Einheit tätig waren, sich mit der Nothilfe, mit der Soforthilfe beschäftigt, aber nachdem sich die Situation verändert hat und die Situation entspannter wurde, haben wir gesagt: Das kann ja nicht alles gewesen sein. Es kann nicht sein, dass diese Einheit nur die Soforthilfe leistet, sondern die soll ja weiter existieren, und die muss jetzt auch die Vorsorge übernehmen. Also was es heißt, ist: Wir haben jetzt mal projiziert, was passieren würde oder könnte, wenn es tatsächlich wieder zu Überschwemmungen kommt. Das heißt, wir haben andere Institutionen identifiziert, die sicher sind – die werden ausgerüstet mit Medikamenten, mit zusätzlichen Medikamenten, mit Moskitonetzen und mit anderen Ausrüstungsgegenständen: Falls es tatsächlich zu einer Überschwemmung, zu einer neuen Flut kommt, sind wir verhältnismäßig gut gewappnet, wir, das heißt natürlich die gesamte Einheit mit allen Nichtregierungsorganisationen, die jetzt daran beteiligt sind.

    Barenberg: Herr Steinmann, in den Wochen der schlimmsten Überflutung waren es ja vor allem die internationalen Hilfsorganisationen, waren es zum Teil auch einheimische Hilfsorganisationen, die Hungersnot verhindert haben, die verhindert haben, dass sich Epidemien ausbreiten. Hat der Staat Pakistan mit seinen Einrichtungen damals und bis heute versagt?

    Steinmann: Würde ich nicht so sagen, also Versagen, das ist zu viel. Die Dimensionen waren nicht voraussehbar. Die ganzen Hilfsaktionen sind verhältnismäßig schleppend angelaufen. Auch die Internationale Gemeinschaft hat glaube ich das Ausmaß dieser Flut einfach unterschätzt. Und ich habe das jetzt schon auch mehrere Male gesagt: Ich glaube, auch andere Regierungen wären überfordert gewesen bei so einer Dimension. Wir haben hier eine verhältnismäßig schwache Verwaltung. Das hindert natürlich ein schnelles Eingreifen. Auf der anderen Seite muss man sagen: Das pakistanische Militär war ganz schnell dabei, und die haben also wirklich sehr, sehr intensiv und gut gearbeitet.

    Barenberg: Sie haben beschrieben, wie Sie dabei helfen, den Behörden dabei helfen, eine Gesundheitsverwaltung aufzubauen, Vorsorge zu treffen für mögliche Katastrophen in der Zukunft. Deutschland engagiert sich also. Zementiert das auf der anderen Seite die Schwäche des Staates und die schwache Verwaltung, über die wir auch gesprochen haben?

    Steinmann: Ziel unserer Arbeit ist es, die Kapazität, diese Managementkapazität dieser Strukturen zu stärken, das heißt also, wir haben da eine Reformeinheit mit aufgebaut, die jetzt eine eigenständige Abteilung im gesamten Ministerium wird – das heißt, es tut sich was. Ich denke schon, dass wir einen guten Beitrag leisten, dass diese Abteilungen effizienter und schlagkräftiger werden.

    Barenberg: Hans Steinmann heute Morgen hier im Deutschlandfunk über den Wiederaufbau ein Jahr nach der Flut in Pakistan. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Steinmann!

    Steinmann: Ja, vielen Dank, Herr Barenberg!

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