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Paläogenetik
Der Neandertaler in uns

Wie hielten es die Neandertaler mit dem Inszest? Und was haben ihre Gene mit unserem Hüftspeck zu tun? Gleich drei neue Studien, die das Erbgut von Knochenfunden analysieren, gehen diesen Fragen nach - und liefern faszinierende Erkenntnisse über das urzeitliche Erbe in uns.

Von Michael Stang | 06.10.2017
    Die Schädel eines neuzeitlichen Menschen (r) und eines Neandertalers sind am 13.05.2011 im Vergleich im Bremer Landesmuseums für Kunst- und Kulturgeschichte "Focke Museum" in Bremen zu sehen.
    Unsere Vergangenheit schaut uns an: Paläogenetiker haben die Gene von Neandertalern miteinander verglichen - und mit denen des Homo sapiens (dpa / Ingo Wagner)
    Es sind Daten in einmaliger Quantität und Qualität. Die wichtigste der drei Studien ist sicherlich jene aus Science, in der Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig das vollständige Genom einer Neandertalerin vorstellen, die vor rund 52.000 Jahren lebte. Ihre Knochen wurden in der Vindija-Höhle in Kroatien ausgegraben.
    Das Erbgut ist von enormer Qualität, jede Stelle im drei Milliarden Basenpaare umfassenden Genom ist im Schnitt mehr als 30 Mal abgedeckt.
    Damit gibt es jetzt ein zweites, vollständiges Genom eines Neandertalers, das erste wurde 2010 präsentiert und stammte von einem Neandertaler aus Sibirien.
    Den "typischen" Neandertaler gibt es nicht
    Weshalb ist ein zweites Genom von großer Bedeutung? Was wissen die Genetiker aufgrund der neuen Daten, was sie zuvor nicht wussten?
    Das neue Genom deutet die Vielfalt der Neandertaler an - und es ist ja klar, dass es nicht den typischen Neandertaler gab, auch wenn ihn viele weitere stereotyp behandeln.
    Jetzt können Paläogenetiker die beiden Genome miteinander vergleichen, zudem mit dem aus Denisova, da ist eine weitere ausgestorbene Menschenart und das alles in Vergleich mit dem des Homo sapiens setzen, also dem anatomisch modernen Menschen.
    Erstaunlich ist, dass beide Neandertaler recht nah miteinander verwandt sind, obwohl sie tausende Jahre und tausende Kilometer entfernt voneinander gelebt haben, das spricht doch eher für geringe Populationsgrößen der Neandertaler, vermutlich gab es zeitgleich nur wenige tausend Neandertaler.
    Schon früh feste Regeln zur Heirat
    Moderation: Geringe Populationsgrößen deuten bei einer Spezies meist auf Schwierigkeiten hin, gut an die Umweltbedingungen angepasst zu sein. Können die Genetiker hierzu Angaben machen?
    Das erste Neandertalergenom aus Russland hatte gezeigt, dass die Eltern blutsverwandt waren, genauer gesagt Halbgeschwister und inzestuöse Verbindungen sind ja immer ein Risiko, weil Erbkrankheiten auftreten können.
    Wie früh und groß eine Inzestvermeidung in der Menschheit etabliert war, zeigt eine zweite Studie, ebenfalls in Science- da stellen Genetiker aus Dänemark vier männliches Skelette aus Russland vor, alle rund 34.000 Jahre alt und alle diese Männer waren weit entfernt verwandt und hier gehen die Forscher davon aus, dass es damals schon feste Regeln zum Ausheiraten gab, um eben eine Blutsverwandtschaft von Geschlechtspartnern auszuschließen
    Aber, zurück zu den Neandertalern - bei dem Fund aus Kroatien gab es keinen Nachweis von Inzest und allein für diese Erkenntnis ist ein weiteres Genom enorm wichtig.
    Neandertaler-Gene: Einfluss auf unser Immunsystem
    Moderation: Es war ja bekannt, dass unsere Vorfahren und Neandertaler gemeinsam Nachwuchs bekommen haben. Ergeben sich jetzt auch neue Erkenntnis über den Neandertaler in uns?
    Dieser Frage sind zwei Wissenschaftler, auch aus Leipzig, in der dritten Studie nachgegangen, die im The American Journal of Human Genetics erscheint.
    Demnach haben die Neandertaler viel mehr zu unserem Erbgut beigetragen als bislang bekannt und der durchschnittliche Neandertaleranteil bei heutigen Menschen außerhalb Afrikas liegt bei weit über zwei Prozent.
    Es war zwar schon bekannt, das Neandertalergene Einfluss auf unser Immunsystem haben und teilweise zu modernen Krankheiten beitragen, etwa die Vorliebe für das Ansammeln von Bauchfett (Hüftgold), das Risiko von Schizophrenie, die Neigung zu einem hohen Cholesterinspiegel.
    Nun wird aber deutlich, dass unser Neandertaler-Erbe sich auch auf andere Eigenschaften sehr deutlich auswirkt, darunter die Variabilität von Hautton, Haarfarbe, Schlafrhythmus und Stimmung und alles was mit dem Einfluss von UV-Strahlung einhergeht.
    Die Neandertaler müssen viel mehr Variationen in der Haut- und Haarfarbe gehabt haben als bislang angenommen - auch hier gab es also eine große Vielfalt und einen enormen Vorteil bezüglich der klimatischen Anpassung.
    Und das leuchtet ja auch ein. Als unsere Vorfahren aus Afrika nach Europa vor rund 80.000 Jahren kamen, hatten die keine helle Haut, das hat sich erst später entwickelt, und daran haben auch die Neandertaler - die ja bestens als das Klima in Europa angepasst waren - ihren Anteil.