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Paläontologie
Der Ursprung der Wirbeltierbeine

Der Eroberung des Landes ging die Eroberung der Weltmeere voraus. Seit Jahrzehnten versuchen sich Paläontologen an der anatomischen Rekonstruktion von Meereswirbeltieren, die sich an Land weiterentwickelten. Forscher aus den USA berichten nun im Fachblatt PNAS über ein Tier, das die Voraussetzungen für die Landbegehung erfüllen könnte.

Von Michael Stang |
    Er wäre kein Paläontologe, wenn er kein Optimist wäre, so Neil Shubin. Seit 1998 ist der US-Forscher auf der Suche nach einem Tier, das den Übergang zwischen Fischen und den ersten an Land lebenden Wirbeltieren belegt. 2004 wurde der Paläontologe von der Universität von Chicago auf Ellesmere Island in der kanadischen Arktis fündig. In 375 Millionen Jahre alten Gesteinsschichten entdeckte er die ersten drei Exemplare von Tiktaalik.
    "Bei diesen drei Skeletten waren zwar die Brustflossen und der Schädel erhalten. Aber der hintere Teil des Körpers - also Rückenflosse, Becken oder Schwanz – waren nicht mehr vorhanden."
    Tiktaalik war eine Gattung amphibienähnlicher Fleischflosser
    Tiktaalik war eine Gattung amphibienähnlicher Fleischflosser, die schon einige Merkmale von Amphibien zeigte, aber sonst noch viele Fischcharakteristika aufwies. Vertreter dieser Gattung besaßen schon einen beweglichen Hals und Vordergliedmaßen, an denen Ellenbogen- und Handgelenke ausgebildet waren. Diese Vorderextremitäten erinnern bereits eher an Arme als an Brustflossen, zeigen am Ende allerdings noch Flossenstrahlen. Die Finger sollten sich erst später entwickeln. Das Fundglück sollte Neil Shubin treu bleiben: 2008 kam ein weiteres Fossil von Tiktaalik zum Vorschein und dann 2013 der Fund, der alle bisherigen Erkenntnisse in den Schatten stellen sollte. Das Präparieren sei eine Party gewesen.
    "Boom. Wir dachten: Wow, hier haben wir die hintere Flosse und auch noch ein Becken und weitere Knochen der Flossen. Was mich geschockt hat beim Anblick des Beckens war, dass es überhaupt nicht klein und zierlich war, wie wir das vermutet hatten. Das passt nicht zusammen. Kein anderes Tier aus dieser Zeit besitzt große hintere Flossen, geschweige denn ein solches Becken."
    Ein Fleischflosser mit robustem Becken also. Damit dürfte Tiktaalik in der Fachliteratur endgültig zum Bindeglied schlechthin werden. Stellt sich nun die Frage: Wie passt das in die Evolution der Wirbeltiere?
    "Sehr interessant ist die Tatsache, dass beim Vergleich der Beckengürtel von Tiktaalik mit denen anderer Tiere er hinsichtlich Größe und Robustheit dem eines frühen Landwirbeltieres schon sehr nahe kommt, hinsichtlich der Architektur sieht er aber noch wie ein Fisch aus, also haben wir hier wirklich eine Zwischenform."
    Eine der großen Hypothesen der Paläontologie fällt endgültig zusammen
    Mit diesem Fund fällt eine der großen Hypothesen der Paläontologie endgültig in sich zusammen. Bislang galt die Lehrmeinung des Vorderantriebs. Fische, die über den Grund robben, brauchen keine Hinterbeine. Für den Hinterantrieb reicht die Schwanzflosse. Also haben sich, so die These, die Hinterbeine erst später an Land entwickelt. Vierbeiner gab es vor dem Verlassen des Wassers demnach noch nicht. Jetzt aber zeigt mit Tiktaalik ein primitives Tier ein Becken, das genauso robust ist wie der Schultergürtel. Beide Gürtel haben Gelenkpfannen, in denen kräftige Gliedmaßen rotieren können. Bleibt der logische Schluss, dass Schulter und Becken gleichermaßen beansprucht wurden.
    "Es liegt also nahe, dass die Verschiebung des Körperschwerpunkts nach hinten viel früher vonstattenging als bislang angenommen, also noch vor der Eroberung des Landes und vermutlich auch noch lange vor der Entwicklung der Landwirbeltiere."
    Also gab es, zumindest bei diesen Tieren, keinen Vorderradantrieb, wie Neil Shubin schreibt, sondern eher einen Allradantrieb. Tiktaalik war demnach ein früher Vierflosser, aus dem sich später Vierfüßer entwickeln sollten.