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Palliativ-Versorgung
"Gestorben wird nicht nur in Hospizen"

Die von der Bundesregierung beschlossene Ausweitung der Hospiz- und Palliativversorgung sei wichtig, reiche aber in bestimmten Bereichen noch nicht aus, sagte Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, im DLF. Vor allem in Krankenhäusern und Heimen gebe es noch erheblichen Verbesserungsbedarf.

Lukas Radbruch im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.04.2015
    Ein Stationsarzt und eine Krankenschwester während einer Visite auf einer Palliativstation.
    "Gestorben wird nicht nur auf Palliativstationen", sagte Radbruch (Imago / EPD)
    Bislang stehen in Deutschland 400 Millionen Euro pro Jahr für Palliativmedizin und Hospizarbeit zur Verfügung. Nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) würden die Verbesserungen zu Mehrkosten in Höhe von 150 bis 200 Millionen Euro führen.
    Auch wenn man damit einen guten Schritt weitergekomme, reiche das in einigen Bereichen noch nicht aus, erläuterte Radbruch. Mehr Augenmerk müsste auf die Qualitätssicherung, die Errichtung eines bundesweiten Registers mit entsprechenden Einrichtungen, die allgemeine Palliativbegleitung im Krankenhaus sowie die Ausbildung von Trauerbegleitern gelegt werden.
    "Gestorben wird nicht nur auf Palliativstationen und in Hospizen," sagte Radbruch. Massive "weiße Flecken" gebe es noch in Altenheimen und Krankenhäusern.
    Mit Blick auf die aktive Sterbehilfe betonte Radbruch, der Wunsch danach gehe deutlich zurück, wenn Menschen am Lebensende gut und sicher versorgt würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Eine bessere Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden, das ist das Ziel des Gesetzentwurfes von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, den das Kabinett gestern beschlossen hat. Noch vor der Sommerpause soll es in den Bundestag gehen und im Herbst dann verabschiedet werden. Konkret sollen die Krankenkassen künftig bei Hospizen 95 Prozent anstatt der bisherigen 90 Prozent der Kosten tragen. Ambulante Palliativmediziner sollen mehr Honorar bekommen, die Versorgung durch sie zu Hause soll ausgebaut werden. Nicht mehr 400 Millionen Euro pro Jahr sollen für die Palliativmedizin und die Hospizarbeit zur Verfügung stehen, sondern 600 Millionen. Am Telefon ist jetzt Lukas Radbruch. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, guten Morgen!
    Lukas Radbruch: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Radbruch, ich habe es gerade gesagt, 200 Millionen Euro mehr für die Palliativmedizin und für die Hospize. Wie schlägt sich das in der Praxis nieder?
    Radbruch: Zunächst mal muss man sagen, dass mit dem Gesetz da ja wirklich schon einige auch grundlegende Verbesserungen angeboten werden. Wenn das in dieser Form so dann verabschiedet wird vom Parlament, werden wir damit schon wieder einen guten Schritt weiterkommen in der Palliativversorgung in Deutschland. Und die zusätzlich zur Verfügung stehenden 200 Millionen Euro sind dann sicherlich auch ein wesentlicher Baustein. Ob das insgesamt ausreicht, ist natürlich eine andere Frage, weil wir schon sehen, dass erstens natürlich wir erst mal die Kollegen ausbilden müssen, damit die diese Leistungen auch dann tatsächlich bringen können, zweitens es auch im Bewusstsein angekommen sein muss, für welche Patienten das alles sinnvoll ist. Es ist jetzt immer noch so, dass viele Menschen eben diese Art der Versorgung gar nicht erreicht, weil keiner sieht und versteht, dass dieser Mensch tatsächlich Schmerzlinderung und Symptomlinderung braucht. Und es ist so, dass eben in einigen Bereichen auch im neuen Gesetz wir doch noch deutliche Lücken sehen.
    "Es ist immer noch ein bisschen Tabu in unserer Gesellschaft"
    Kaess: Auf der anderen Seite, Sie haben eben gerade auch schon von Verbesserungen gesprochen, haben gesagt, das bringt uns schon ein bisschen weiter. Wo konkret fließen diese 200 Millionen denn hin?
    Radbruch: Die Gelder werden zum Teil dafür benutzt werden, dass für Patienten eine Beratung angeboten wird. Zum Beispiel ist eine der wesentlichen Neuerungen, Bewohner von Pflegeeinrichtungen, von Altenheimen, dass die ein Anrecht darauf haben, dass sie eine Beratung zur Vorsorge am Lebensende erhalten. Das umfasst nicht nur Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, sondern ist ein größerer Prozess, wo zum Beispiel auch der Hausarzt mit eingebunden sein soll, vielleicht auch die örtliche Hospizgruppe, und wo dann eben nicht nur einmal ein Formular ausgefüllt wird, sondern tatsächlich mit dem Patienten über seine Bedürfnisse und Prioritäten geredet werden kann.
    Kaess: Sind denn die Hausärzte zum Beispiel auf so etwas vorbereitet?
    Radbruch: Ein Teil der Hausärzte, muss man sagen, hat sich schon mittlerweile auch in diesem Bereich engagiert und ist da schon durchaus auch weitergebildet und auch kompetent. Bei vielen anderen sehen wir immer noch große Lücken. Das ist eben auch ein Thema, was man auch als Arzt jetzt nicht unbedingt gerne in den Vordergrund stellt. Es ist immer noch ein bisschen Tabu in unserer Gesellschaft, über so was zu reden. Und da gibt es auch immer noch reichlich Ärzte, die sagen, das ist irgendwas, was ich mit meinen Patienten nicht bespreche.
    Kaess: Jetzt muss das Gesetz noch durchs Parlament. Wo würden Sie denn nachbessern?
    Radbruch: Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir dringend als nachbesserungsfähig oder -würdig oder -notwendig ansehen. Das eine ist, dass in vielen Bereichen tatsächlich eine Ausweitung stattfindet, und wir sagen, jetzt kommt es darauf an, dass das dann auch mit der nötigen Qualität gemacht wird. Genau wie Sie eben fragten: Ist denn derjenige, der Arzt, der es machen soll, oder wer immer das dann tut, in der Pflegeeinrichtung dafür qualifiziert? Dafür muss eine Qualitätssicherung mit eingebaut werden. Wir haben zum Beispiel gerade angefangen, ein bundesweites Register aufzulegen, wo auch alle spezialisierten Einrichtungen Daten melden. Und so was, solche Qualitätssicherungsmaßnahmen müssten direkt mit eingebaut werden. Wir haben vorgeschlagen, dass man einen Palliativbeauftragten für jedes Krankenhaus und jede Pflegeeinrichtung benennt, der dann auch wirklich zuständig ist für die Umsetzung von solchen Qualitätsstandards. Und es gibt zwei große Bereiche, nämlich einmal die allgemeine Palliativversorgung in den normalen Krankenhausstationen, nicht auf Palliativstationen, und die Trauerbegleitung von ehrenamtlichen Hospizdiensten, die in dem Gesetz nicht vorgesehen sind, unserer Meinung nach aber dringend reingehören.
    "Es ist ganz klar, dass es in diesem Bereich Einsparmöglichkeiten gibt"
    Kaess: Also, es geht auch weiterhin um den Ausbau. Wie weit weg sind wir denn von der flächendeckenden Palliativmedizin und den flächendeckenden Hospizdiensten? Denn das ist ja eigentlich das Ziel.
    Radbruch: Wenn ich mich mit meinen Kollegen vergleiche im Ausland oder wenn ich etwas weiter weggucke, dann, muss man sagen, sind wir in Deutschland natürlich in den letzten zehn Jahren unglaublich weit gekommen und haben ganz viel erreicht, was wir uns vor zehn Jahren nicht mal hätten träumen lassen. Aber es gibt immer noch massive weiße Flecken im ländlichen Bereich, in manchen Bundesländern, und sicherlich auch Altenheimen zum Beispiel. Da ist dringend noch Bedarf. Und es geht nicht nur um die Gesetzesänderung, sondern auch um mehr Ausbildung, mehr Bewusstsein und auch der Idee, dass das wirklich etwas ist, wo wir uns drum kümmern müssen.
    Kaess: Jetzt kennen wir die immensen Herausforderungen in der Pflege und im Krankenhausbereich ganz im Allgemeinen. Haben Sie denn auf der anderen Seite auch Verständnis dafür, dass in den Palliativ- und in den Hospizbereich eben nicht mehr Geld fließen kann im Moment?
    Radbruch: Ja und nein. Zum Einen ist es tatsächlich so, dass wir natürlich nicht der einzige Bereich der Medizin sind, der wichtig ist, das ist ganz klar. Und es ist ein Ausschnitt. Aber eben ein wichtiger. Wir sind aber auch der Meinung, dass mit einer guten Palliativversorgung ja nicht unbedingt nur Geld hier mehr ausgegeben wird, sondern an anderer Stelle vielleicht auch wieder dann Geld gespart werden kann.
    Kaess: Wo denn?
    Radbruch: Wenn man zum Beispiel weiß, dass die meisten Menschen eben nicht ihr Lebensende im Krankenhaus verbringen wollen, sondern lieber zu Hause oder - wenn sie in einem Pflegeheim sind - dann auch lieber im Pflegeheim, dann kann man eben durch eine gute Palliativversorgung auch Einweisungen ins Krankenhaus am Lebensende vermeiden, die oft mehr aus einer Hilflosigkeit der Behandler herauskommen als daraus, dass man sich da wirklich noch etwas Sinnvolles von verspricht.
    Kaess: Würden Sie so weit gehen zu sagen, da gibt es in dem Bereich sogar Einsparungsmöglichkeiten oder da kann man eigentlich sogar noch effizienter arbeiten?
    Radbruch: Das ist ganz klar, dass es in diesem Bereich Einsparmöglichkeiten gibt.
    "Bei guter Palliativversorgung kein Wunsch mehr nach Sterbehilfe"
    Kaess: Es gibt ja die Kritik, dass die Palliativmedizin immer noch zu wenig in den Krankenhäusern selbst eingebunden ist. Würden Sie das so sehen?
    Radbruch: Ja, also, ein Punkt, den ich eben gerade nannte, ist, dass diese allgemeine Versorgung in den Krankenhäusern oft nicht funktioniert. Das heißt, wir haben dann vielleicht eine Palliativstation, wo ausgezeichnete Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden geleistet wird, aber wie weit sich das tatsächlich auswirkt auf die anderen Patienten im Krankenhaus, ist eben eine Frage. Und da muss man mal ganz klar sagen: Gestorben wird auch in anderen Abteilungen im Krankenhaus, eben nicht nur in der guten Versorgung einer Palliativstation.
    Kaess: Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe, der wird in den Hintergrund treten, wenn eine gute, professionelle Versorgung Sterbender selbstverständlich ist - das glauben zumindest die Kritiker einer aktiven Sterbehilfe. Deckt das Ihre Erfahrung aus der Praxis?
    Radbruch: Absolut. Natürlich gibt es auch bei einer hervorragenden Palliativversorgung einzelne Menschen, die sagen, sie wollen so nicht weiterleben, weil sie zum Beispiel die Hilfsbedürftigkeit nicht aushalten, den Verlust an Kontrolle, den eine schwere Erkrankung manchmal mit sich bringt. Und da gibt es sicherlich auch einzelne Menschen, wo man nicht nur die Palliativversorgung, sondern auch andere Dinge überlegen muss. Zum Beispiel, wie weit man so was gemeinsam aushält, wie weit man Alternativen wie zum Beispiel Therapieverzicht oder Nahrungsverzicht auch noch anbieten kann oder mit dem Patienten besprechen kann. Aber die überwiegende Mehrzahl von Menschen, die zum Beispiel Angst haben, dass sie mit einer schweren Erkrankung vielleicht ersticken werden oder so, bei denen ist es so, dass, wenn wir sie über Alternativen informieren, wenn wir ihnen erklären, was man in der Symptomkontrolle alles machen kann, und zwar bis zum Tod hin - dann sind die sehr froh, dass sie das wissen, und dann reicht das auch völlig aus und die haben diesen Wunsch nach Sterbehilfe nicht mehr.
    Kaess: Sagt Lukas Radbruch. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Danke für dieses Gespräch heute Morgen!
    Radbruch: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.