Lange: Herr Pietczek, inwiefern wird denn aus Ihrer Sicht mit dieser Entscheidung das endgültige Votum für das Geschäft vorweggenommen?
Pietczek: Nun, zunächst es wirklich im wahrsten Sinne des Wortes ein falsches Signal. Wenn ich in die Türkei gehe - das nun bekanntermaßen mit Menschenrechtsverletzungen zu tun hat und sie praktiziert – und in dieser Situation Panzerlieferungen in Aussicht stelle – und ich liefere ja einen Probepanzer nicht, um dann hinterher zu sagen: ‚Das wird nichts‘, sondern der Sinn dieser Operation ist ja, später zu einem größeren Geschäft zu kommen –, dann ist das verkehrt und es konterkariert den Kurs der EU, die ja mit sehr starken finanziellen Maßnahmen versucht, die Türkei auf den Weg zur Demokratie und zu Menschenrechten zu bewegen.
Lange: Aber Ihr Parteikollege Gernot Erler, eigentlich ja auch ein Kritiker des Geschäftes, sieht das ganz anders: ‚Eine konstruktive Initiative des Kanzlers; es bleibe nun Zeit, die Entwicklung der Türkei zu beobachten‘.
Pietczek: Also, ich habe von ihm in der Zeitung gelesen das, was ich zitiert habe: ‚Das war ein falsches Signal‘. Gut, man macht da unterschiedlicher Ansicht sein. Ich sehe es – oder wir sehen es – jedenfalls so, dass das letztlich sozialdemokratischen Grundsätzen zur Rüstungsexportpolitik widerspricht. Und noch mal: Panzer in die Türkei – man muss sich vorstellen: In der Türkei herrscht in großen Teilen das Kriegsrecht. Es ist weiß Gott nicht so, dass man dort von einem demokratischen Staat reden kann, und die EU hat bewusst die Finanzprotokolle blockiert nach der Zollunion mit der Türkei, gerade um Menschenrechte dort einzuklagen. All das ist bisher nicht gelaufen. Und dann in dieser Situation das Signal zu geben und zu sagen: ‚Ja, wir halten das für in Ordnung, dass Ihr demnächst mit 1.000 Panzern rechnen könnt‘, ist die falsche Politik, und in vielerlei Hinsicht ist das nicht in Ordnung. Deswegen haben wir das kritisiert und gefordert, dass dieser Beschluss korrigiert werden soll.
Lange: Aber die Türkei ist nun mal als EU-Kandidat im Gespräch, sie ist NATO-Partner. Würden Sie so weit gehen, dass Sie auch das in Frage stellen würden – die EU-Kandidatur?
Pietczek: Nun, die EU-Kandidatur ist faktisch noch nicht vorhanden. Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Türkei Beitrittskandidat werden soll oder nicht. Also von daher ist das alles noch sehr sehr vage. Und wenn Sie die letzten Äußerungen des Europaparlamentes dazu wahrgenommen haben, dann werden Sie merken, dass das dort sehr kritisch gesehen wird.
Lange: Herr Pietczek, aber bei einem Kanzler Gerhard Schröder können Sie doch nicht im ernst damit rechnen, dass er der Wirtschaft ein Geschäft in Höhe von 16 Milliarden Mark vermasselt?!
Pietczek: Also, ich meine, dass Politik im Zweifelsfall auch einmal vor Geschäft gehen muss, gerade wenn ich überlege: Was bewirke ich eigentlich damit? Denn wenn ich das richtig sehe, werden Panzer auch in der Türkei nicht gerade zur Schülerbeförderung eingesetzt.
Lange: Was wollen Sie denn tun, wenn der Kanzler Ihrer Forderung nicht nachkommt?
Pietczek: Nun, zunächst einmal haben wir ja eine demokratische Ordnung in der Partei. Das war jetzt eine Entscheidung des Bundessicherheitsrates, die ja sehr wohl nicht einstimmig gefallen ist. Da haben fünf entschieden – zwei waren dafür, zwei dagegen. Also kann auch sehr wohl die Regierung noch mal darüber nachdenken, die Bundestagsfraktion kann darüber nachdenken, und ich denke, das wird auch den Bundesparteitag im Dezember beschäftigen.
Lange: Wie weit würden Sie denn – wie weit würde die Parteilinke – gehen, um dieses Geschäft zu verhindern? Wie weit würde sie gehen auf diesem Parteitag?
Pietczek: Also, zunächst einmal setzen wir auf Argumente, auf Argumentation, und es ist ja nicht so, dass die, die entschieden haben, aus meiner Sicht Argumenten unzugänglich sind.
Lange: Aber dennoch bleibt ja die Frage: Was machen Sie, wenn es bei dieser Entscheidung bleibt?
Pietczek: Also, wir haben jetzt erst einmal gesagt: Wir finden das nicht in Ordnung. Wir wollen alles daran setzen, dass diese Entscheidung korrigiert wird. Der Grundsatzbeschluss ist ja insofern gefallen, dass man sagt: Wir stellen in Aussicht. Die Lieferung soll ja – wenn überhaupt – dann erst später erfolgen. Von daher ist weiß Gott noch ein Stück Zeit, dies zu korrigieren.
Lange: Ist das denn nicht am Ende doch eine etwas überbewertete Entscheidung? Es ist ja noch längst nicht gesagt, wer am Ende bei diesem Geschäft den Zuschlag bekommt. Es könnte auch die USA sein.
Pietczek: Natürlich, es gibt mehrere Bewerber. Aber die Frage – das ist ja immer bei Rüstungsgeschäften der Fall – wenn es wir nicht machen, dann machen es andere. Ich denke: Bei Rüstungsexporten in Länder, wo Menschenrechtsverletzungen tagtäglich an der Tagesordnung sind, muss man wirklich sehr sehr sensibel gucken und im Zweifelsfall auch mal auf solche Geschäfte verzichten.
Lange: Rächt es sich jetzt, dass die Rüstungsexportgrundsätze auch unter Rot/Grün immer noch so viele Spielräume lassen?
Pietczek: Nun, die rot-grüne Koalition – denke ich – hat sich vorgenommen, das sehr restriktiv zu sehen, und da passt dieser Beschluss eigentlich nicht in die Landschaft.
Lange: Aber die Schlupflöcher sind immer noch da.
Pietczek: Es gibt immer Schlupflöcher. Deswegen sage ich, hier müsste man Krach schlagen, den Finger erheben und sagen: Das ist die falsche Orientierung, gerade wenn ich ein Land dazu bewegen will, auf den Pfad der Demokratie zu kommen.
Lange: Willi Pietczek war das, der SPD-Europaabgeordnete. Dank Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören.
Pietczek: O.K., schönen Dank und auf Wiederhören.