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Papierproduktion
Die dunkle Seite der Zellulose

Kaffeebecher, Pakete, Papiertüten: Trotz Recyclings wird in Deutschland viel Papier verbraucht. Doch die Produktion des Papier-Grundstoffes hat gravierende Folgen für Umwelt und Menschen. Auf Spurensuche in Chile.

Von Sophia Boddenberg |
Aufnahme von oben von einer Zellulose-Fabrik von Celulosa Arauco y Constitución, dem zweitgrößte Zellulose-Produzent der Welt.
Eine Zellulose-Fabrik von Celulosa Arauco y Constitución, dem zweitgrößten Zellulose-Produzenten der Welt. (imago stock&people / William Henry)
Zehn Kilometer lang ist der Strand in der Comuna de Arauco in der Region Bíobío im Süden Chiles. Aber statt nach frischer Luft, riecht es hier nach faulen Eiern. Eine Dunstwolke hängt über der Gemeinde mit etwa 38.000 Einwohnern. Der Grund dafür: Die "Planta Horcones" – die größte Zellulose-Fabrik des Landes. "Wir haben hier sauren Regen. Die Verschmutzung durch die Zellulosefabrik hat direkte Auswirkungen auf die Bewohner, auf die kleinen Farmen der Bauern. Die Bienen und die Vögel verschwinden. Früher gab es hier Füchse und Waschbären. Jetzt sieht man mit viel Glück vielleicht noch ein Kaninchen hier und da. Die Sichtweise des Unternehmens ist rein wirtschaftlich, es will mehr Zellulose produzieren. Alles, was hier produziert wird, wird exportiert. Wir sehen es dann später als fertiges Papier wieder."
Virginia Pérez ist 57 Jahre alt, Umweltaktivistin und Mitglied des Stadtrats. Sie setzt sich seit Jahren gegen die Zellulose-Fabrik ein. Das chilenische Unternehmen Celulosa Arauco y Constitución - viele nennen es nur Arauco - ist der zweitgrößte Zellulose-Produzent der Welt.
Massive Anpflanzung von Kiefern und Eukalyptus
Mit einem neuen Projekt namens MAPA will das Unternehmen die "Planta Horcones" vergrößern - 2.100.000 Tonnen Zellulose sollen jährlich hier produziert werden – die Hälfte der Gesamtproduktion des Unternehmens. Nach den USA ist Deutschland der zweitgrößte Zellstoffimporteur der Welt. Mehr als die Hälfte des weltweit produzierten Papiers dient Verpackungszwecken.
Da der Papierkonsum weltweit stetig steigt, boomt die Zellulose-Industrie in Chile. Das Dekret 701, das 1974 während der Pinochet-Diktatur verabschiedet wurde, ermöglichte durch Subventionen die massive Anpflanzung von Kiefern und Eukalyptus - beide keine einheimischen Pflanzen, aber lukrativ für die Holz- und Zellulose-Industrie, weil sie besonders schnell wachsen. In den 80er- und 90er-Jahren wurde ein Drittel der Naturwälder in Plantagen umgewandelt. Fast drei Millionen Hektar sind heute mit Kiefern und Eukalyptus bepflanzt.
Jahrzehntelanger Widerstand
Das hat nicht nur Folgen für die Natur, sondern auch für die hier lebenden Menschen. Besonders stark betroffen von der Expansion der Forstplantagen sind die Mapuche, das größte indigene Volk Chiles. Der Staat hat sie von ihren Ländern vertrieben und diese anschließend zu niedrigen Preisen an die Forstunternehmen verkauft. Viele Mapuche fordern die Rückgabe ihrer Gebiete. Jaime Huenchullán, 40 Jahre, langes schwarzes Haar, ist Mitglied der Gemeinde Temucuicui:
"Der Staat hat eine Politik des Genozids in unserem Territorium verfolgt. Sie haben die gesamte Flora und Fauna zerstört, um Kiefern und Eukalyptus anzupflanzen. Unser Volk fordert sein Land zurück. Die Erinnerung ist noch lebendig, dass diese Erde einst unseren Großeltern und Urgroßeltern gehörte. Deshalb kämpfen wir dafür, zum Land unserer Vorfahren zurückzukehren."
Mitglieder des indigenen Volkes der Mapuche tragen auf einem indigenen Friedhof den Sarg des 24-jährigen Camilo Catrillanca vor dessen Beerdigung.
Beerdigung eines jungen Mapuche im Süden Chiles in der Gemeinde Temucuicui nachdem er von einem Polizisten erschossen worden war (picture alliance / dpa / Ana Karina Delgado )
Im Jahr 2003 gelang es der Gemeinde Temucuicui nach jahrzehntelangem Widerstand gegen das Forstunternehmen CMPC, 1.900 Hektar Land zurückzubekommen. Das Unternehmen verkaufte das Land an die staatliche Behörde für indigene Entwicklung, die es anschließend an die Mapuche übergab.
Starke Schäden des Bodens
Aber nicht ohne Folgen: Viele Mapuche-Gemeinden werden von der Polizei bewacht. Huenchullán und weitere Mitglieder der Gemeinde waren schon mehrfach wegen Landbesetzungen und Sachbeschädigung im Gefängnis, verhaftet unter dem Vorwand des Anti-Terror-Gesetzes. Im November 2018 erschoss ein Polizist den 24-jährigen Mapuche Camilo Catrillanca in der Gemeinde Temucuicui.
Die Forstplantagen haben auch den Boden stark geschädigt, was der Gemeinde das Überleben erschwert.
"Es gibt keine Biodiversität auf einer Forstplantage. Es sind Monokulturen. Keine andere Spezies kann dort leben. Weder Tiere, noch Vögel, noch Pflanzen. Kiefer und Eukalyptus wachsen sehr schnell und sehr hoch und ziehen viele Nährstoffe und Wasser aus dem Boden. Sie richten großen Schaden an."
Eine gerodete Fläche, auf der Platz für Eurkalyptus-Bepflanzung geschaffen wurde. 
Rodung für Monokulturen - eine Plantage mit Eukalyptus in Chile (imago stock&people / Bert Willaert)
Die Forstunternehmen Arauco und CMPC werben auf ihren Internetseiten mit "nachhaltiger Forstwirtschaft". Beide sind mit dem Forest Stewardship Council ausgezeichnet, ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Mauricio Leiva ist zuständig für Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen Arauco:
"Wir wollten uns mit dem FSC-Zertifikat auszeichnen lassen, weil die Prinzipien mit der Nachhaltigkeits-Linie unseres Unternehmens übereinstimmen. Während des Zertifizierungsprozesses von 2010 bis 2013 haben wir verschiedene Foren veranstaltet und Arbeiter, Nachbarn und Mapuche-Gemeinden eingeladen, um Ideen auszutauschen."
FSC - Ein Label ohne Wirkung?
Zurück am Strand in der Comuna de Arauco bei Umwelt-Aktivistin Virgina Pérez. Sie hält nichts von den Zertifikaten wie FSC: "Ich vertraue FSC nicht. Dahinter stehen leider viele wirtschaftliche Interessen. Wir haben zum Beispiel gefordert, dass die Plantagen nicht weniger als 30 Meter von den Gewässern entfernt gepflanzt werden dürfen. Nichts ist passiert. FSC zertifiziert, das die Lebensqualität und die Biodiversität beschützt wird. Aber unsere Gewässer sind verschmutzt. Hier sehen wir einen Kanal, der Abwasser ins Meer leitet."
Sie zeigt auf einen Kanal, der von der Zellulose-Fabrik den Strand hinunter läuft bis ins Meer. Dem Unternehmen Arauco zufolge wird das Wasser zuerst gereinigt und dann ins Meer abgeleitet. Perez glaubt das nicht. Arauco hat schon häufiger Schlagzeilen gemacht, weil es giftige Abwässer ins Meer oder in Flüsse geleitet hat. In Valdivia starben im Jahr 2004 deshalb Tausende Schwäne im Río Cruces.
Pérez macht Fotos von dem Kanal, um Beweismaterial gegen das Unternehmen zu sammeln. Weder der FSC noch der Staat würden wirklich kontrollieren, was hier passiert. Auch wenn das chilenische Umweltministerium die Vergrößerung der Zellulose-Fabrik bereits abgesegnet hat, will Pérez nicht aufgeben. Sie arbeitet als Kindergärtnerin und will eine bessere Zukunft für die Kinder, die sie betreut.
"Die Zahl von Kindern mit Lerndefiziten und Verhaltensstörungen hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Warum? Wir leben zwischen Meer und Wald in einer Umgebung, die äußerlich sauber wirkt, aber tatsächlich ist alles verseucht. Das führt zu Verzweiflung bei den Bewohnern. Sie haben schon lange die Hoffnung auf eine bessere Lebensqualität verloren. Die einzige Perspektive, die Jugendlichen hier haben, ist, in der Zellulose-Fabrik zu arbeiten."

Anmerkung der Redaktion
Im Vorspann dieses Beitrags wurde irrtümlich behauptet, Chile sei das größte Produktionsland von Zellulose. Das ist nicht richtig. Wir haben den Fehler korrigiert.