Ursula Welter: Donnerstag 12.45 Uhr, Abflug nach Rom. So unaufgeregt kommt das Ende einer Dienstfahrt daher, die seit gestern nicht nur den Freistaat Bayern in Aufregung und Freude versetzt: Papst Benedikt XVI. besucht seine Heimat, ist gestern Nachmittag in München begrüßt worden, hat an der Mariensäule gebetet und wird dort in München auf dem Freigelände der neuen Messe heute die Sonntagsmesse feiern. 250.000 Gläubige werden erwartet. Wir übertragen dies natürlich im Deutschlandfunk auf allen Frequenzen.
"Wir sind Papst" und nun ist Josef Ratzinger erneut zu Gast in Deutschland. Ich habe mit dem Historiker und Publizisten Paul Nolte über den Heimatbesuch der Papstes gesprochen und gefragt, ob das breite Interesse an dieser Visite ein Indiz dafür ist, dass uns eine der ältesten Institutionen der Menschheit, die Kirche, wieder näher gekommen ist.
Paul Nolte: Ja, wir sind auf jeden Fall auf der Suche nach Identifikationsfiguren, nach ein bisschen dem Außeralltäglichen. Die Herrscher, die Identifikationsfiguren, die Vorbilder, die uns umgeben, haben sich abgenutzt und insofern ist das Ungewöhnliche, der Mensch, der für etwas anderes steht, ein bisschen ja auch der Popstar, der da kommt und die Menschen anspricht, etwas das diese Begeisterung auslösen kann.
Welter: Die Kirchen und Kathedralen sind aber dennoch häufig genug leer. Wie passt das zusammen?
Nolte: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen einem Bedürfnis oder einer Bindung an Kirche und einem Gefühl einer Suche nach dem Religiösen, nach Religiosität unserer Welt. Es stimmt, dass der Papstbesuch nicht unbedingt die Kirchen voller macht, das macht die Kirchenbindung der Menschen, der Glaube, katholischer, christlicher Glaube in Deutschland durch so einen Papstbesuch vielleicht nicht nachhaltig gestärkt wird. Aber ich habe doch das starke Gefühl, dass eine neue Suche nach dem Religiösen unterwegs ist, über die ja auch viel in den letzten Jahren gesprochen worden ist und dass der Papst solche Gefühle - auf zugegeben noch sehr diffuse Weise - auch abholt. Da sind vielleicht Angebote, da schwirrt vielleicht etwas, da sind so Strömungen, da sind Radiowellen, die man versucht dann auch mit aufzufangen für sein ganz persönliches Bedürfnis, auch nach sinnlicher Orientierung in der Welt.
Welter: Sie sagen, auf diffuse Weise. Ist das also nicht so eindeutig?
Nolte: Nein, es ist gar nicht eindeutig. Auch der Papst ist ja eine Figur, die auch, man könnte jetzt fast zugespitzt sagen, auch an ihrer Uneindeutigkeit nicht zu übertreffen ist und gerade deshalb auch als dieser Medienpapst auch in so viele Richtungen anschlussfähig ist. Er ist, habe ich mir sagen lassen, inzwischen zum Bravo-Starschnitt geworden, also auch zu einer jugendkulturellen Popfigur für junge Menschen. Er ist aber auch ein älterer Herr mit dezidiert konservativen Überzeugungen. Das scheint aber zunächst einmal bei diesem Besuch auch nicht im Vordergrund zu stehen. Er wird verkitscht in Altöttingen und Marktl. Das sind ganz unterschiedliche Andockmöglichkeiten und jeder holt sich da so ein Stück den Papst ab, das Stück Papst, was ihm selber da zu Gute kommen kann.
Welter: Sie haben den Jugendkult angesprochen, ein alter Mann, eine alte Institution. Was ist daran so attraktiv in einer Zeit, in der alles vom Jugendkult spricht? Was ist da die innere Gleichung?
Nolte: Ja, wahrscheinlich gerade deshalb. Die Vorbilder der Jugendlichen, die selber Jugendliche sind, die sind auch alltäglich geworden und nutzen sich ab. Das gibt es ja auch. Wir sollten ja jetzt nicht so tun, als wäre das nicht mehr in Geltung und wenn Tokio Hotel einfliegt und auftritt, dann haben wir ja auch große Menschenmassen und Begeisterung und Schreie und Popstar und Kitsch und all diese Effekte, von denen ich gerade gesprochen habe, aber es gibt auch das Bedürfnis nach diesen Gegengewichten, nach so einem Ruhepol, nach Vorbildern, vielleicht auch in der älteren Generation und ja, das ist ja auch ein bisschen das Paradoxe auch die Suche nach bestimmten - und die Faszination durch bestimmte strenge Gebote des täglichen Handelns.
Obwohl, nehmen wir als Beispiel die Sexualmoral, obwohl die allermeisten Jugendlichen weit davon entfernt wären, sich daran selber in ihrem Leben zu halten, aber, ich glaube, die Faszination durch so etwas wie eine strickte, normierte Lebensführung durch eindeutige Gebote in einer Zeit, in der sonst eine große Beliebigkeit, ein großer Selbstbedienungsladen herrscht, die ist groß.
Welter: Die Süddeutsche Zeitung hat am Freitag die Auffassung vertreten, dass es ein tiefes Bedürfnis nach Festigkeit und Ordnung gäbe, das nur eine Person wie der Papst befriedigen könne und dass nicht Glaube, sondern der desolate Zustand unserer Demokratie den Enthusiasmus erkläre, der dem Papst entgegen gebracht werde. Vieles von dem, was Sie sagten, klingt ähnlich. Teilen Sie also diese Meinung?
Nolte: Ja, ein bisschen ist da schon dran, aber ich würde zunächst einmal widersprechen dieser deutlichen Verknüpfung mit der Demokratie. So elend ist unsere Demokratie gar nicht und wir sollten uns auch nicht von den einen oder anderen Holprigkeiten und Unzufriedenheiten mit der großen Koalition da verführen lassen, die Demokratie schlechter zu machen, als sie ist. Es gibt, glaube ich, auch nicht diese Sehnsucht nach einer nichtdemokratischen Gegenmacht im Papst und durch den Papst. Die meisten wollen sich ja einer Macht des Papstes, den Geboten des Papstes, ich sprach ja gerade schon davon, gerade nicht unterwerfen, sondern es ist etwas auch Außerpolitisches, nicht etwas völlig Unpolitisches, sondern etwas, das aber nicht als eine Kompensation der Menschen für Demokratie, für politische Herrschaft im engeren Sinne verstanden wird.
Welter: Andererseits hat man doch den Eindruck, dass es so etwas wie eine Sehnsucht nach Entschiedenheit gibt. Also von Angela Merkel wird gerne ein Machtwort verlangt und Gerhard Schröder wurde als Basta-Kanzler populär. Also ist das nicht vielleicht doch der Wunsch der Menschen zu wissen und zu erfahren, wo es lang geht? Nicht Vielstimmigkeit oder Widerspruch und Streit, sondern Autorität?
Nolte: Ja, schon ein gewisses Bedürfnis nach Eindeutigkeit, aber wie gesagt, ich würde das nicht so sehr auf den Wunsch nach einem, ja dann könnte man ja sagen, nach einem Ersatzmonarchen beziehen. Man könnte ja nun auch gerade den Bayern da, so wie das volkstümlich oft noch geschieht, eine alte Neigung zur Monarchie nachsagen, eine Ludwig-II.-Romantik, die jetzt vielleicht auf den Papst projiziert sind. Aber positiver gesagt könnte man auch sagen, die Bayern sind in der Hinsicht einfach begeisterungsfähiger als die Norddeutschen es bei so einem Besuch vielleicht wären.
Also da steckt etwas drin, einfach auch die Suche nach dem Außeralltäglichen, nach dem Angebot einer Bindung, nach dem Angebot von Verbindlichkeit, das man - und da wird es, glaube ich, auch sehr schwierig und irgendwo auch paradox - das man aber dennoch ja nicht annehmen muss. Man ist ja nicht verpflichtet, die Gebote der katholischen Kirche jedenfalls so, wie dieser Papst sie vertritt, dann auch für sein eigenes Leben zu übernehmen. Man kann einmal an dieser Faszination riechen, von dieser Faszination kosten und dann am nächsten Tag vielleicht auch wieder sein anderes Leben führen. Ich glaube gerade diese Unverbindlichkeit, wenn Sie so wollen, des Verbindlichen, des scheinbar Verbindlichen, die macht das auch attraktiv.
Welter: Also auf der einen Seite Verbindlichkeit, wie Sie sagen, scheinbare Verbindlichkeit und auf der anderen Seite dann doch religiöse Indifferenz?
Nolte: Religiöse Indifferenz, ja, also religiöse Unentschiedenheit würde ich eher sagen. Eine Situation haben wir ja, die immer noch gekennzeichnet ist von einem Rückgang der Kirchenbindung bei vielen Menschen und das ist teilweise gegenläufig von einer zunehmenden Suche nach Religion gleichzeitig, also ein Stück von der religiösen Indifferenz löst sich auch auf. Da ist Suche auch da bei vielen jüngeren Menschen glaube ich auch. Vor zehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren hat sich diese Suche ja eher auf Esoterik oder fernöstliche Religionen projiziert. Das scheint mir heute bei den Jüngeren weniger der Fall zu sein. Das heißt nicht, dass sie bei der katholischen Kirche so andocken wie ihre Großeltern oder Urgroßeltern das getan haben, aber diese Suche nach Lebenssinn, nach Transzendenz, nach religiösen Gefühlen, die wird tatsächlich wieder stärker auf christliche Kirche auch projiziert und zumal auf den Katholizismus, auf die Person des Papstes.
Welter: Und dieses Andocken, wie Sie es nennen, das ist ja vermutlich auch nicht ganz einfach für Jugendliche, denn sie sind auf der anderen Seite konfrontiert mit durchaus scharfer Kritik an der Weltabgewandtheit des Vatikan.
Nolte: Ja, das ist genau dieses Spannungsverhältnis, das wahrscheinlich auch der Vatikan, wahrscheinlich auch die katholische Kirche in nächster Zeit für sich selber klären muss. Im Grunde warten viele auch noch seit der Übernahme des Pontifikates durch Josef Ratzinger ja auf die Signale, die da kommen. Man kann noch viel auch theologisch und kirchenpolitisch in ihn hineinlesen und das macht es auch relativ leicht, wenn Sie so wollen, ihn jetzt hier willkommen zu heißen. Ist er der alte getreue Chef der katholischen Glaubenskongregation oder entpuppt er sich vielleicht doch als der heimliche Reformer, der sich über die eigene Vergangenheit auch hinwegsetzt? Das hat er ja selber noch sehr weit offen gelassen und ich glaube, das macht es auch möglich, dass aus vielen verschiedenen Richtungen jetzt diesem Besuch auch mit Erwartungen entgegen gesehen wird.
Welter: Der Historiker Paul Nolte über die Suche nach Verbindlichkeit und Orientierung aus Anlass des Heimatbesuches von Papst Benedikt XVI.
"Wir sind Papst" und nun ist Josef Ratzinger erneut zu Gast in Deutschland. Ich habe mit dem Historiker und Publizisten Paul Nolte über den Heimatbesuch der Papstes gesprochen und gefragt, ob das breite Interesse an dieser Visite ein Indiz dafür ist, dass uns eine der ältesten Institutionen der Menschheit, die Kirche, wieder näher gekommen ist.
Paul Nolte: Ja, wir sind auf jeden Fall auf der Suche nach Identifikationsfiguren, nach ein bisschen dem Außeralltäglichen. Die Herrscher, die Identifikationsfiguren, die Vorbilder, die uns umgeben, haben sich abgenutzt und insofern ist das Ungewöhnliche, der Mensch, der für etwas anderes steht, ein bisschen ja auch der Popstar, der da kommt und die Menschen anspricht, etwas das diese Begeisterung auslösen kann.
Welter: Die Kirchen und Kathedralen sind aber dennoch häufig genug leer. Wie passt das zusammen?
Nolte: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen einem Bedürfnis oder einer Bindung an Kirche und einem Gefühl einer Suche nach dem Religiösen, nach Religiosität unserer Welt. Es stimmt, dass der Papstbesuch nicht unbedingt die Kirchen voller macht, das macht die Kirchenbindung der Menschen, der Glaube, katholischer, christlicher Glaube in Deutschland durch so einen Papstbesuch vielleicht nicht nachhaltig gestärkt wird. Aber ich habe doch das starke Gefühl, dass eine neue Suche nach dem Religiösen unterwegs ist, über die ja auch viel in den letzten Jahren gesprochen worden ist und dass der Papst solche Gefühle - auf zugegeben noch sehr diffuse Weise - auch abholt. Da sind vielleicht Angebote, da schwirrt vielleicht etwas, da sind so Strömungen, da sind Radiowellen, die man versucht dann auch mit aufzufangen für sein ganz persönliches Bedürfnis, auch nach sinnlicher Orientierung in der Welt.
Welter: Sie sagen, auf diffuse Weise. Ist das also nicht so eindeutig?
Nolte: Nein, es ist gar nicht eindeutig. Auch der Papst ist ja eine Figur, die auch, man könnte jetzt fast zugespitzt sagen, auch an ihrer Uneindeutigkeit nicht zu übertreffen ist und gerade deshalb auch als dieser Medienpapst auch in so viele Richtungen anschlussfähig ist. Er ist, habe ich mir sagen lassen, inzwischen zum Bravo-Starschnitt geworden, also auch zu einer jugendkulturellen Popfigur für junge Menschen. Er ist aber auch ein älterer Herr mit dezidiert konservativen Überzeugungen. Das scheint aber zunächst einmal bei diesem Besuch auch nicht im Vordergrund zu stehen. Er wird verkitscht in Altöttingen und Marktl. Das sind ganz unterschiedliche Andockmöglichkeiten und jeder holt sich da so ein Stück den Papst ab, das Stück Papst, was ihm selber da zu Gute kommen kann.
Welter: Sie haben den Jugendkult angesprochen, ein alter Mann, eine alte Institution. Was ist daran so attraktiv in einer Zeit, in der alles vom Jugendkult spricht? Was ist da die innere Gleichung?
Nolte: Ja, wahrscheinlich gerade deshalb. Die Vorbilder der Jugendlichen, die selber Jugendliche sind, die sind auch alltäglich geworden und nutzen sich ab. Das gibt es ja auch. Wir sollten ja jetzt nicht so tun, als wäre das nicht mehr in Geltung und wenn Tokio Hotel einfliegt und auftritt, dann haben wir ja auch große Menschenmassen und Begeisterung und Schreie und Popstar und Kitsch und all diese Effekte, von denen ich gerade gesprochen habe, aber es gibt auch das Bedürfnis nach diesen Gegengewichten, nach so einem Ruhepol, nach Vorbildern, vielleicht auch in der älteren Generation und ja, das ist ja auch ein bisschen das Paradoxe auch die Suche nach bestimmten - und die Faszination durch bestimmte strenge Gebote des täglichen Handelns.
Obwohl, nehmen wir als Beispiel die Sexualmoral, obwohl die allermeisten Jugendlichen weit davon entfernt wären, sich daran selber in ihrem Leben zu halten, aber, ich glaube, die Faszination durch so etwas wie eine strickte, normierte Lebensführung durch eindeutige Gebote in einer Zeit, in der sonst eine große Beliebigkeit, ein großer Selbstbedienungsladen herrscht, die ist groß.
Welter: Die Süddeutsche Zeitung hat am Freitag die Auffassung vertreten, dass es ein tiefes Bedürfnis nach Festigkeit und Ordnung gäbe, das nur eine Person wie der Papst befriedigen könne und dass nicht Glaube, sondern der desolate Zustand unserer Demokratie den Enthusiasmus erkläre, der dem Papst entgegen gebracht werde. Vieles von dem, was Sie sagten, klingt ähnlich. Teilen Sie also diese Meinung?
Nolte: Ja, ein bisschen ist da schon dran, aber ich würde zunächst einmal widersprechen dieser deutlichen Verknüpfung mit der Demokratie. So elend ist unsere Demokratie gar nicht und wir sollten uns auch nicht von den einen oder anderen Holprigkeiten und Unzufriedenheiten mit der großen Koalition da verführen lassen, die Demokratie schlechter zu machen, als sie ist. Es gibt, glaube ich, auch nicht diese Sehnsucht nach einer nichtdemokratischen Gegenmacht im Papst und durch den Papst. Die meisten wollen sich ja einer Macht des Papstes, den Geboten des Papstes, ich sprach ja gerade schon davon, gerade nicht unterwerfen, sondern es ist etwas auch Außerpolitisches, nicht etwas völlig Unpolitisches, sondern etwas, das aber nicht als eine Kompensation der Menschen für Demokratie, für politische Herrschaft im engeren Sinne verstanden wird.
Welter: Andererseits hat man doch den Eindruck, dass es so etwas wie eine Sehnsucht nach Entschiedenheit gibt. Also von Angela Merkel wird gerne ein Machtwort verlangt und Gerhard Schröder wurde als Basta-Kanzler populär. Also ist das nicht vielleicht doch der Wunsch der Menschen zu wissen und zu erfahren, wo es lang geht? Nicht Vielstimmigkeit oder Widerspruch und Streit, sondern Autorität?
Nolte: Ja, schon ein gewisses Bedürfnis nach Eindeutigkeit, aber wie gesagt, ich würde das nicht so sehr auf den Wunsch nach einem, ja dann könnte man ja sagen, nach einem Ersatzmonarchen beziehen. Man könnte ja nun auch gerade den Bayern da, so wie das volkstümlich oft noch geschieht, eine alte Neigung zur Monarchie nachsagen, eine Ludwig-II.-Romantik, die jetzt vielleicht auf den Papst projiziert sind. Aber positiver gesagt könnte man auch sagen, die Bayern sind in der Hinsicht einfach begeisterungsfähiger als die Norddeutschen es bei so einem Besuch vielleicht wären.
Also da steckt etwas drin, einfach auch die Suche nach dem Außeralltäglichen, nach dem Angebot einer Bindung, nach dem Angebot von Verbindlichkeit, das man - und da wird es, glaube ich, auch sehr schwierig und irgendwo auch paradox - das man aber dennoch ja nicht annehmen muss. Man ist ja nicht verpflichtet, die Gebote der katholischen Kirche jedenfalls so, wie dieser Papst sie vertritt, dann auch für sein eigenes Leben zu übernehmen. Man kann einmal an dieser Faszination riechen, von dieser Faszination kosten und dann am nächsten Tag vielleicht auch wieder sein anderes Leben führen. Ich glaube gerade diese Unverbindlichkeit, wenn Sie so wollen, des Verbindlichen, des scheinbar Verbindlichen, die macht das auch attraktiv.
Welter: Also auf der einen Seite Verbindlichkeit, wie Sie sagen, scheinbare Verbindlichkeit und auf der anderen Seite dann doch religiöse Indifferenz?
Nolte: Religiöse Indifferenz, ja, also religiöse Unentschiedenheit würde ich eher sagen. Eine Situation haben wir ja, die immer noch gekennzeichnet ist von einem Rückgang der Kirchenbindung bei vielen Menschen und das ist teilweise gegenläufig von einer zunehmenden Suche nach Religion gleichzeitig, also ein Stück von der religiösen Indifferenz löst sich auch auf. Da ist Suche auch da bei vielen jüngeren Menschen glaube ich auch. Vor zehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren hat sich diese Suche ja eher auf Esoterik oder fernöstliche Religionen projiziert. Das scheint mir heute bei den Jüngeren weniger der Fall zu sein. Das heißt nicht, dass sie bei der katholischen Kirche so andocken wie ihre Großeltern oder Urgroßeltern das getan haben, aber diese Suche nach Lebenssinn, nach Transzendenz, nach religiösen Gefühlen, die wird tatsächlich wieder stärker auf christliche Kirche auch projiziert und zumal auf den Katholizismus, auf die Person des Papstes.
Welter: Und dieses Andocken, wie Sie es nennen, das ist ja vermutlich auch nicht ganz einfach für Jugendliche, denn sie sind auf der anderen Seite konfrontiert mit durchaus scharfer Kritik an der Weltabgewandtheit des Vatikan.
Nolte: Ja, das ist genau dieses Spannungsverhältnis, das wahrscheinlich auch der Vatikan, wahrscheinlich auch die katholische Kirche in nächster Zeit für sich selber klären muss. Im Grunde warten viele auch noch seit der Übernahme des Pontifikates durch Josef Ratzinger ja auf die Signale, die da kommen. Man kann noch viel auch theologisch und kirchenpolitisch in ihn hineinlesen und das macht es auch relativ leicht, wenn Sie so wollen, ihn jetzt hier willkommen zu heißen. Ist er der alte getreue Chef der katholischen Glaubenskongregation oder entpuppt er sich vielleicht doch als der heimliche Reformer, der sich über die eigene Vergangenheit auch hinwegsetzt? Das hat er ja selber noch sehr weit offen gelassen und ich glaube, das macht es auch möglich, dass aus vielen verschiedenen Richtungen jetzt diesem Besuch auch mit Erwartungen entgegen gesehen wird.
Welter: Der Historiker Paul Nolte über die Suche nach Verbindlichkeit und Orientierung aus Anlass des Heimatbesuches von Papst Benedikt XVI.
