Donnerstag, 25. April 2024

Zum Tod von Papst Benedikt XVI.
Joseph Ratzinger - der Bewahrer, der die Tradition brach

Er stand wie kein anderer für die Bewahrung der kirchlichen Tradition. Und doch trat Papst Benedikt XVI. nach nur acht Jahren im Amt zurück - fast einmalig in 2000 Jahren katholischer Geschichte. Jetzt ist Joseph Ratzinger mit 95 Jahren gestorben.

Von Sandra Stalinski | 31.12.2022
Papst Benedikt trägt eine weiße, oben spitz zulaufende Kopfbedeckung mit goldenen Ornamenten und schaut nach oben.
Mit seinem Rücktritt nach acht Jahren brach Papst Benedikt XVI. mit den Traditionen. Jetzt ist Joseph Ratzinger im Alter von 95 Jahren verstorben. (Getty Images / Alessandra Benedetti )
„Benedetto“, „Theologenpapst“, „intellektueller Feingeist“ aber auch „Panzerkardinal“ oder „Großinquisitor“ – es gab viele Etiketten, die man Joseph Ratzinger im Laufe seines langen Lebens anheftete.
Mehr als 20 Jahre war er Chef der Glaubenskongregation in Rom, später wurde er Papst Benedikt XVI. Doch sein Pontifikat wäre wohl schnell vergessen worden, wenn er nicht völlig überraschend im Jahr 2013 seinen Rücktritt verkündet hätte. Und: Wenn er nicht auch als „Papst emeritus“ noch für Negativ-Schlagzeilen gesorgt hätte.

Der Papst-Rücktritt: Ein Moment für die Geschichtsbücher

Es ist der 11. Februar 2013. Papst Benedikt der Sechzehnte verliest vor einigen Kardinälen eine Erklärung auf Latein, die in die Geschichtsbücher eingehen wird: "Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten.“
Der Rücktritt Benedikts vom Papstamt ist eine Sensation, fast einmalig in der 2000-jährigen Kirchengeschichte. Vollzogen ausgerechnet von einem, dem die Kontinuität der kirchlichen Tradition zeitlebens über alles ging.

Ich war total überrascht, alle wir waren total überrascht. Aber es hat ja keinen Sinn, dass da ein alter, schwacher Papst im Vatikan ist und jemand hinter ihm regiert eigentlich die Kirche. Das war doch wie in einer Fußballmeisterschaft, wo der letzte Torschuss zeigt, dass doch der Spieler ein Champion ist.

Vatikanexperte Marco Politi

Kampf gegen den Zeitgeist

Joseph Ratzinger war eine Jahrhundertpersönlichkeit, dessen Karriere vielversprechend begann. Geboren am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn, spielte er schon als Kind mit seinen beiden Geschwistern die lateinische Messe nach.
Früh wurde er Priester, schnell auch ein angesehener Professor der Theologie. Als offizieller Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960er-Jahren schrieb er ein Stück Kirchengeschichte mit.
Aber aus dem damals noch reformoffenen Theologen wurde bald ein katholischer Hardliner, der gegen den Zeitgeist ankämpfte.

1968 war einschneidend für ihn

Einschneidend waren für ihn dabei die Studentenproteste an der Universität Tübingen 1968. „Ich kann mich an eine Versammlung erinnern in der großen Aula, wo an sich Barrieren für die Zuschauer errichtet waren, die zunächst auch blieben, bis sie plötzlich drüber sprangen, Schneeballen auf uns warfen, was ja noch ganz lustig ist, und dann aber Tomaten und Säfte und auch in der Luft geschossen wurde“, sagt Benedikt.
Schwarzweißfoto vom damaligen Erzbischof Joseph Ratzinger, der während einer Fronleichnamsprozession betend mit geschlossenen Augen in ein Mikrofon spricht.
1977 wurde Joseph Ratzinger Erzbischof von München. Seit 1968 hatte er sich vom Reformer zum katholischen Hardliner gewandelt. (imago images / Heinz Gebhardt)
Der schüchterne Intellektuelle war mehr bei den Kirchenvätern zu Hause als bei den Menschen der Gegenwart. Eigentlich wollte er lesen, lehren und Bücher schreiben, aber seine Kirche hatte anderes mit ihm vor: 1977 wurde er Erzbischof von München, nur vier Jahre später Chef der Glaubenskongregation in Rom.
Bald war er als Großinquisitor verschrien und lenkte die Kirche eher zurück als nach vorn. Er bekämpfte die linke Befreiungstheologie, betrieb den Ausstieg der Deutschen Bischöfe aus der Schwangerschaftskonfliktberatung, vertrat eine rigide Sexualmoral und stemmte sich gegen Reformen.

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Ratzingers Pontifikat

Nach dem Tod von Johannes Paul dem Zweiten wird ein Übergangspapst gesucht. Die Wahl fällt am 19. April 2005 auf ihn. Der Jubel währte nicht lange. Kritiker beklagen einen Stillstand der katholischen Kirche während seines Pontifikats.
Die Titelseiten mehrerer Tageszeitungen vom 20. April 2005 machen mit ganzseitigen Porträts von Papst Benedikt XVI. auf. Auf einer Seite prangt die Schlagzeile "Wir sind Papst".
"Wir sind Papst!", titelte eine deutsche Tageszeitung nach der Wahl Benedikts XVI. Doch der Jubel währte nicht überall lange. (picture-alliance / dpa / dpaweb / Kay Nietfeld)
Hinzu kamen Affronts: Gegenüber den Muslimen mit seiner Regensburger Rede, gegenüber Juden und auch Protestanten. Im Dialog mit anderen Religionen und Konfessionen sieht der „Theologenpapst“, wie man ihn nennt, eher das Trennende als das Verbindende.
Das Papstamt war für ihn wohl von Beginn an eine Last: „Als langsam der Gang der Abstimmungen erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte nämlich geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und jetzt auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Deswegen habe ich mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: tu mir das nicht an“, schildert Benedikt seine Gefühle bei der Wahl.

Papst Benedikt XVI. und der Missbrauchsskandal

Die letzten Jahre seines Pontifikats sind vor allem von der Vatileaks-Affäre und dem weltweiten Missbrauchsskandal der katholischen Kirche geprägt. Zwar ist Benedikt XVI. anzurechnen, dass er sich als erster Papst mit Opfern sexualisierter Gewalt traf.
Dennoch mangelte es ihm an Aufklärungswillen, wie die Vorgänge um das Münchener Missbrauchsgutachten noch einmal bewiesen haben. Bis zum Schluss leugnet er - inzwischen „Papst emeritus“ -  als Münchner Erzbischof von Missbrauchstaten etwas gewusst zu haben.  Selbst dann noch, wenn die Last der Indizien schier erdrückend ist.
Eine Falschaussage, der er überführt wurde, korrigierte er zwar noch und sprach von einem „Versehen“ ohne „böse Absicht“. Doch das Wörtchen „ich“, das Eingeständnis persönlicher Schuld, fehlte auch in diesem letzten öffentlichen Brief.