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Papst-Entschuldigung

Heinlein: Ketzerprozesse, Hexenverbrennungen und Kreuzzüge sowie das dunkle Kapitel des Judenhasses. 2000 Jahre Kirchengeschichte sind auch geprägt von den blutigen Verfehlungen der Kirchenoberen und ihrer Anhänger. Als erster Papst der Kirchenhistorie entschuldigte sich gestern Johannes Paul II. für die Irrtümer und Verbrechen, die im Namen des katholischen Glaubens begangen worden sind. Das Mea Culpa des Papstes wird von vielen Theologen als eine historische Geste eingestuft. Kritiker dagegen bemängeln, das Kirchenoberhaupt habe es versäumt, sich konkret für die Verbrechen der Vergangenheit zu entschuldigen. Historische Versöhnungsgeste oder vages Schuldbekenntnis? Darüber wollen wir heute Morgen reden mit dem Tübinger Reformtheologen Professor Hans Küng. Guten Morgen!

13.03.2000
    Prof. Küng: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Professor Küng, welchen Eindruck hatten Sie denn von dem Schuldbekenntnis des Papstes?

    Prof. Küng: Ja nun, dass er sich mal aufgerafft hat und das durchgestanden hat, gegen die Opposition innerhalb der Kurie auch mal die großen Verfehlungen und Verirrungen der Kirche in ihrer Geschichte zuzugeben und dafür um Verzeihung zu bitten, das ist ja positiv zu werten. Aber leider muss man sagen, das ganze Bekenntnis war absolut schwammig und nebulös. Es war doppelbödig und es war halbherzig und folgenlos.

    Heinlein: Welche Punkte aus der Kirchengeschichte hätte denn der Papst konkret beim Namen nennen sollen?

    Prof. Küng: Das wurde ja immer wieder gesagt, selbst in der Berichterstattung am Fernsehen und so weiter, aber er hat ja die Worte nicht einmal genannt, etwa zum Beispiel das west-östliche Schisma, die Reformation, die Häretiker- und Hexenverbrennung. Auch das Wort Inquisition kam nicht vor. Nicht einmal der Holocaust wurde genannt. Dass dort Namen wie etwa Luther, Galilei oder Bruno und so weiter nicht vorkamen, war ja auch klar. Stattdessen hörte man nur allgemeine Phrasen und Formeln, wie das vielleicht in einem Sonntagsgottesdienst in einer katholischen Kirche ohnehin gemacht wird.

    Heinlein: Aber der Papst, Herr Professor Küng, hat den Opfern der katholischen Kirche die Hand zur Versöhnung gereicht. Das steht ja wohl ohne Zweifel fest. Das ist doch eine bemerkenswerte Geste, betrachtet man das Verhalten seiner Vorgänger über einen Zeitraum von 2000 Jahren.

    Prof. Küng: Wenn man selber betroffen ist, hat man noch wenig gehört von dieser Hand der Versöhnung. Aber das ist ja nicht so furchtbar wichtig. Es wäre schön, wenn zum Beispiel statt ganz allgemein nur zu beklagen, dass die Frauen erniedrigt würden, wenn er selber nicht dafür verantwortlich wäre, dass überhaupt keine Frauen zur Pfarrerin ordiniert werden, er selber dafür verantwortlich ist, dass nach wie vor die Pille verboten ist. Auch wäre es schön, wenn etwa in der Kirchenspaltungsfrage nicht nur die anderen immer zur Diskussion über das Papsttum aufgefordert würden, sondern wenn er endlich von seinem Absolutismus herunter käme und die vom Konzil beschlossene Kollegialität verwirklichen würde. Das alles sind Beispiele, hier überall Worte, keine Taten.

    Heinlein: Erwarten Sie da nicht zu viel von einem katholischen Kirchenoberhaupt? Ist es nicht vielmehr die Geste, die zählt, Herr Professor Küng, und weniger die Worte?

    Prof. Küng: Viele Katholiken und Bischöfe vor allem sind ja immer mit Gesten zufrieden, aber das kann man in einer so ernsten Zeit wie der heutigen nicht mehr annehmen. Wenn ich auf der anderen Seite von offizieller katholischer Seite hören, dass in allen deutschen Bistümern die Zahl der Neupriester und Priesterkandidaten auf Tiefststand gesunken ist, dann kann man ja nicht noch weiterhin irrtumsfrei am Zölibatsgesetz festhalten. Wenn man sieht, dass die Zahl der kirchlich engagierten Jugendlichen und der regelmäßigen Kirchenbesucher seit 1960 um zwei Drittel zurückgegangen ist, ebenso die Zahl der Trauungen, der Taufen und so weiter, dann ist doch die Lage ernst. Dann wird man doch nicht mit Gesten die Lage verbessern.

    Heinlein: Welchen Zweck vermuten Sie denn hinter dem gestrigen Schuldbekenntnis von Papst Johannes Paul II?

    Prof. Küng: Ich glaube schon, dass der Papst das persönlich ehrlich meint. Es muss mal ein Sündenbekenntnis abgelegt werden. Da neigt er ja ohnehin sehr zu dramatischen äußeren Gesten. Er dachte, damit könne man ja auch endlich die Anklagen vom Tisch kriegen. Aber solange er die Dinge natürlich nicht beim Namen nennt und nicht klar sagt, das ist geschehen und wir wollen es jetzt anders machen, werden diese Fragen immer wieder kommen. Der Papst ist nach wie vor das Haupthindernis für die Kirchenspaltung. Da nützt es gar nichts, wenn man in ganz allgemeinen Tönen, ohne die Reformation oder gar Martin Luther zu nennen oder ihn gar zu rehabilitieren, jetzt um die Vergebung bittet.

    Heinlein: Ist denn das Schuldbekenntnis des Papstes zumindest ein Signal der Öffnung der katholischen Kirche in Richtung von mehr Toleranz?

    Prof. Küng: Ja, ich würde sagen, ein Signal ist es. Man sieht zumindest einmal ein, dass man Fehler gemacht hat, beziehungsweise das wusste man ja natürlich, aber nie hat ein Papst es so deutlich ausgesprochen. Aber man hätte natürlich erwartet, dass nicht gerade der Kardinal Ratzinger, der nach wie vor die Inquisition in der katholischen Kirche verkörpert und auch übt, zum Beispiel gegen zwei Theologinnen in Augsburg, die keine Lehrstühle bekommen, ganz allgemein verspricht, es seien halt im Namen des Glaubens und der Moral Fehler begangen worden, Methoden ergriffen worden, die dem Evangelium nicht entsprechen. Diese Methoden übt ja Ratzinger nach wie vor.

    Heinlein: Sie haben eingangs ganz kurz die Unfehlbarkeit des Papstes angesprochen. Ist denn der Papst mit seinem gestrigen Schuldbekenntnis ein Stück weit von diesem Dogma abgerückt?

    Prof. Küng: Ja, das ist nur faktisch so, insofern natürlich sich jeder vernünftige Mensch fragt, wenn man so viele Verfehlungen, Verirrungen zugeben muss, wo bleibt dann die Unfehlbarkeit. Aber der Papst zieht sich aus der Schlinge, insofern er an keiner Stelle irgendwie durchblicken lässt, dass die Kirche selber Schuld auf sich geladen hat. Das sind nur immer Glieder der Kirche, das sind einige Katholiken. Selbst der Holocaust ist das schrecklichste Verbrechen, an dem immerhin der Antijudaismus der christlichen Kirchen durch die Jahrhunderte eine Voraussetzung geschaffen hat. Der wird ja nicht genannt, und auch dort wird nur von einigen geredet, die da verfehlt haben. Dass Pius XII. Bei diesem epochalen Verbrechen Geschwiegen hat, dass er die Verantwortlichen nicht exkommuniziert hat und so weiter, das alles bleibt ungesagt. Man hat den Eindruck, wenn ich es richtig gehört habe, er hat ja nicht einmal den Namen Jude über die Lippen gebracht, sondern nur die Kinder Abrahams, zu denen im übrigen die Muslime auch gehören.

    Heinlein: Ganz kurze Frage zum Schluss, Herr Professor Küng: Sie selbst sind ja durch den Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis mit dem Bannstrahl des Vatikans belegt. Hoffen Sie, dass der Papst nach dem gestrigen Sonntag künftig gnädiger mit seinen Kritikern umgehen wird?

    Prof. Küng: Ja, man soll nie den Glauben aufgeben, dass es auch kleine Wunder in der Kirche gibt. Aber ehrlich gesagt ist mir das weniger wichtig, als dass endlich die Kirche wieder auf den Kurs des zweiten vatikanischen Konzils einschwenken würde. Wir sind ja in einem Kirchenschiff, das auf Sand gefahren ist, und da spielt es nicht eine so große Rolle, ob jetzt der eine oder andere Theologe - es gibt da noch eine ganz andere Reihe - rehabilitiert wird oder nicht, obwohl ich mich natürlich freuen würde, wenn ich das noch zu Lebzeiten und nicht wie Galilei erst 300 Jahre nach dem Tode erleben würde.

    Heinlein: Das Mea Culpa des Papstes gestern im Vatikan. Im Deutschlandfunk dazu heute Morgen der Tübinger Reformtheologe Professor Hans Küng. - Herr Küng, ich danke für dieses Gespräch und auf Wiederhören!