Remme: Waren Sie überrascht?
Kasper: Es gab so gewisse Zeichen in den letzten Wochen, aber formell mitgeteilt wurde es mir erst gestern Vormittag.
Remme: Wie erfährt man denn von so etwas? Kriegt man einen Telefonanruf, ist das ein Brief?
Kasper: Man bekommt einen Telefonanruf, man solle zu einer bestimmten Zeit zum Kardinal Staatssekretär kommen. Der Kardinal Staatssekretär teilt einem das mit und gibt einem auch das entsprechende Schreiben des Papstes.
Remme: Sie haben das Thema schon angesprochen, Bischof Kasper. Ist die Ökumene das Zentrum Ihres Lebenswerks?
Kasper: Es ist sicher schon immer ein wichtiger Aspekt gewesen. Bei uns in Württemberg, wo ich aufgewachsen bin, da ist es halt halb evangelisch, halb katholisch. Ich habe in Tübingen studiert und gelehrt. Dort gibt es eine evangelische Fakultät, eine katholisch-theologische Fakultät. Es hat mich also immer begleitet und war immer wichtig. Ich war immer in ökumenischen Gremien, international und national, tätig und jetzt ist die Arbeit natürlich ganz darauf konzentriert.
Remme: Der Dialog mit den anderen Kirchen ist im vergangenen Jahr durch die Erklärung "dominus Jesus" belastet worden. Josef Ratzinger wurde für diese Erklärung von vielen Seiten angegriffen. Hans Küng, Sie kennen ihn gut, Sie waren sein Assistent in den 60er Jahren, sagt, die Erklärung ist eine Kombination aus mittelalterlicher Rückständigkeit und vatikanischem Größenwahn. Ich erwarte nicht, dass Sie dem zustimmen. Was hat Küng missverstanden?
Kasper: Ich würde mir diese Formulierung natürlich nicht zueigen machen. Ich würde sagen, der Ton ist verunglückt in dieser Erklärung. Es ist viel zu knapp gesprochen über Ökumene. Das kann man nicht auf drei Seiten abhandeln. Im wesentlichen ist es eine Zusammenfassung der Lehre des zweiten vatikanischen Konzils und insofern nichts neues. Es ist vor allem eine Formulierung missverstanden worden, die anderen Kirchen, die aus der Reformation kommen, seien keine Kirchen im eigentlichen Sinn. Gesagt worden ist damit, sie sind nicht Kirchen im selben Sinn wie die römisch-katholische Kirche. Das wollen sie ja auch gar nicht sein. Es ist damit auf das zentrale Problem, das jetzt vor uns steht, hingewiesen worden: das Kirchenverständnis. Damit ist diese Erklärung kein Abbruch des ökumenischen Dialogs, sondern eine Herausforderung zum weiteren Dialog.
Remme: Vielleicht auch ein Indiz, dass eine ökumenische Denkpause nötig wäre?
Kasper: Nein, auf gar keinen Fall eine Denkpause. Im Gegenteil: wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen weitermachen. Übrigens ist es der Wille Jesu Christi. Der verpflichtet uns. Zum zweiten ist es die Erwartung der Menschen und es ist auch im Sinne der Evangelisierung. Die Spaltung der Kirchen ist ein Skandal und schwächt die Stimme des Evangeliums in der Welt. Da gilt es, keine Denkpause zu machen.
Remme: Aber ist durch diese Erklärung "dominus Jesus" vielleicht erkannt worden, dass im Überschwang der guten gemeinsamen Vorhaben davor zu wenig über die Grenzen der Ökumene geredet wurde?
Kasper: Gut, es hat natürlich auch einen gewissen utopischen Enthusiasmus gegeben, als könne man das übermorgen schon machen. Mit dieser Erklärung ist auch darauf hingewiesen worden, es gibt doch noch ernsthafte Probleme zu bereden. Über die muss man reden. Man kann das nicht einfach überspringen. Dazu gehört das Kirchen- und das Amtsverständnis in erster Linie. Einen falschen Enthusiasmus hat es sicher zurechtgebremst, aber die echte ökumenische Begeisterung sollte es nicht bremsen.
Remme: Ist im Dialog mit der evangelischen Kirche dauerhafter Schaden entstanden?
Kasper: Es ist sicher vorübergehend zu einer Abkühlung gekommen, aber wir haben so vieles inzwischen versucht, zu erklären und zu deuten, dass auf Dauer kein Schaden entstanden ist. Heute sehen alle Kirchen, es gibt zur Ökumene keine Alternative.
Remme: Die Internationalisierung des Kollegiums hat sich ja mit diesen Ernennungen fortgesetzt. Wird das den Charakter des Kollegiums verändern?
Kasper: Natürlich verändert das den Charakter. Früher waren die ganz große Mehrheit Italiener. Jetzt sind die Italiener noch eine starke Fraktion, aber bei weitem nicht mehr die Mehrheit. Das verändert schon und das entspricht ja auch der Entwicklung der Kirche in den letzten 30, 40 Jahren. Die Kirche ist im konkreten katholisch-weltweiter geworden.
Remme: Sie waren in der Bischofskonferenz eine Art Außenminister, haben viele Erfahrungen weltweit gesammelt. Die Europäer stellen nun mit 61 von 128 Papstwählern zwar nicht mehr die absolute Mehrheit, aber ist das Gewicht der Europäer nicht dennoch immer noch unverhältnismäßig stark?
Kasper: Das ist noch immer sehr stark. Traditionen lassen sich natürlich auch nicht so schnell überwinden. Die europäischen Kirchen sind auch noch wichtig in der Arbeit der katholischen Kirchen, vor allem was die Theologie angeht und die ganze historische Tradition. Sehr stark sind aber auch die Lateinamerikaner, die Nordamerikaner geworden und die Dritte Welt meldet sich zurecht mehr und mehr zu Wort.
Remme: Sie sagen, die Europäer sind immer noch wichtig. Welchen Stellenwert hat denn die katholische Kirche Deutschlands innerhalb der Weltgemeinschaft?
Kasper: Auf Deutschland schaut man schon noch, aber es ist nicht so wie man in Deutschland manchmal meint, dass man nur mit Argusaugen auf Deutschland schaut. So im Mittelpunkt steht es nun wirklich nicht. Die deutsche Kirche ist wichtig innerhalb des Europas, aber sie ist nicht einfach der Nabel der Welt.
Remme: Bischof Kasper, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann ist erneut nicht bedacht worden. Hat Sie das überrascht?
Kasper: Ich bin mit Karl Lehmann seit vielen, vielen Jahren befreundet. Wir kennen uns gut. Wir haben immer gut zusammengearbeitet. Er hat sicher ganz große Verdienste in Deutschland. Ich hätte mich gefreut, wenn er Kardinal geworden wäre. Er hätte es sicher auch verdient. Ich weis nicht, weshalb es jetzt nicht dazu gekommen ist. Ich wusste es nicht. Ich war im Zweifel. Ich habe ein bisschen gehofft, dass er es wird. Jetzt ist es wieder nichts geworden. Es war eigentlich nach den Auseinandersetzungen des letzten Jahres fast zu erwarten.
Remme: Sie spielen an auf den Konflikt um die Schwangeren-Beratung. Karl Lehmann und die deutsche Bischofskonferenz - Sie haben ja bis vor kurzem noch dazugehört - haben schwierige Zeiten im Verhältnis mit Rom hinter sich. Spielt das eine Rolle?
Kasper: Ich nehme an, dass es eine Rolle spielt. Ich will jetzt aber nicht Spekulationen nachgehen. Ich weis im einzelnen nicht, was die Gründe waren.
Remme: Der Papst hat seine Auffassung in diesem Streit um die Schwangeren-Beratung durchgesetzt. Bischof Kasper, ist das Problem damit gelöst?
Kasper: Natürlich ist das Problem nicht gelöst. Ich meine, Schwangerschaftsabbruch ist ein Problem, das man gar nicht lösen kann. Da gibt es auch keine ganz klaren und eindeutigen Lösungen. Der Papst hat sich jetzt für diese Seite entschieden. Fast alle deutschen Bischöfe mit einer Ausnahme sind ihm jetzt darin gefolgt. Jetzt soll man diesen Weg gehen. Es gibt Gründe dafür und Gründe dagegen. Es ist ja bekannt, dass ich in meiner Zeit als Bischof von Rottenburg-Stuttgart immer für den Verbleib gestimmt habe.
Remme: Sie haben die eine Ausnahme erwähnt. Haben Sie Verständnis für den Limburger Bischof Franz Kamphaus?
Kasper: Ich schätze den Franz Kamphaus überaus. Er ist ein redlicher und ehrlicher Mann. Er sagt, er müsse nach seinem Gewissen handeln. Ich kann das nur respektieren.
Remme: Die Frage war, haben Sie Verständnis, Bischof Kasper?
Kasper: Ich hätte mich nicht so verhalten, das muss ich sagen, aber ich respektiere und habe insofern Verständnis für eine solche Position.
Remme: Ist denn die von katholischen Laien gegründete Initiative Donum Vitae eine gangbare Alternative?
Kasper: Ich möchte mich jetzt nicht gerne von Rom aus zu innerdeutschen Konflikten äußern. Ich verstehe die Leute. Ich schätze auch die Leute bei Donum Vitae. Ich denke aber nicht, dass das auf Dauer eine Lösung und eine Alternative darstellt.
Remme: Sondern?
Kasper: Es ist jetzt ein Versuch, der gemacht worden ist, aber die haben das gleiche Ziel wie die Bischöfe auch haben: sie wollen Leben retten, sie wollen es auf einem anderen Weg tun. Ich habe Verständnis dafür. Ich würde aber von mir aus nicht dazu raten.
Remme: Bischof Walter Kasper war das, gestern von Papst Johannes Paul II. Zum Kardinal berufen.
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