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Papstbesuch in Erfurt "hat schon eine hohe Symbolkraft"

Der Papst sei zwar ökumenisch gesonnen, sagt der frühere Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock. Große neue Schritte könne man aber während des Deutschland-Besuches von Benedikt XVI. nicht erwarten.

Manfred Kock im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 17.09.2011
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns mit dem Papstbesuch beschäftigen, der ja seine Schatten vorauswirft. Im Bundestag wird er reden, das führt zu heftigen Diskussionen dort, die wollen wir hier ausdrücklich mal nicht weiter befeuern. Wir wollen uns allerdings fragen: Was kann dieser Besuch denn für das Verständnis der großen Kirchen untereinander, für ihr Verhältnis bedeuten? Das Stichwort Ökumene sei da genannt. Und darüber wollen wir reden mit Manfred Kock, dem früheren Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland. Guten Morgen, Herr Kock!

    Manfred Kock: Einen schönen guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Kock, am 23. wird der Papst ja mit Ihrem Nach-Nach-Nachfolger-Präses Schneider sprechen. In Erfurt wird man sich treffen an historischen Orten. Sie sind eher skeptisch, dass das für die Ökumene nicht so furchtbar viel bringen wird. Warum sind Sie eher skeptisch?

    Kock Na, ich bin skeptisch hinsichtlich der Erwartung, ob hier groß was Neues passiert. In einem Gespräch mit 20 Leuten auf beiden Seiten und 35 Minuten kann man ja nicht erwarten, dass der Papst kommt und sagt: Ab jetzt mache ich alles anders. Nein, der Papst ist, wie er sagt, ökumenisch gesonnen, und er hat auch ernsthaft die Absicht, dass irgendwas geschieht. Und deshalb nutzt er eigentlich das Zeichen dessen, was jetzt schon möglich ist, nämlich er trifft sich an einem Ort, der ungewöhnlich ist für die katholische Kirche, nämlich an dem Platz, wo Martin Luther im Kloster gewesen ist, als er noch Priester war und Wissenschaftler, und das hat schon eine hohe Symbolkraft. Und er bezieht sich eben auf Dinge, die zwischen den Kirchen auch bereits erreicht sind. Wir haben die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999, und das ist das, was hier zum Ausdruck kommt. Aber große neue Schritte muss man nicht erwarten.

    Zurheide: Kommen wir mal dann auf die härteren Punkte, die jenseits dieser Befindlichkeit, die Sie da gerade schildern, eher im Raum stehen: Der Absolutheitsanspruch, den der Papst und die katholische Kirche am Ende für sich ja in Anspruch nimmt unter der Überschrift: Kirche, das sind eigentlich nur wir. Da erwarten Sie keine Bewegung?

    Kock Nein, im Moment sehe ich das nicht. Aber das ist in der Tat der Knackpunkt. Es gibt darüber ja eine lange Diskussion, schon von dem Theologen Karl Rahner und anderen, die Wege aufzeigen wollten, wie man das vielleicht doch hinkriegen kann, dass der Papst eben für seine Kirche diese Maßstäbe setzt und für die anderen eben nicht, und die erkennen ihn vielleicht dann an als irgendein Symbol oder so – das ist alles schon mal diskutiert worden und das muss eigentlich weitergehen.

    Zurheide: Wo erwarten Sie denn dann Fortschritte, wenn es möglicherweise bei der Amtskirche zumindest auf katholischer Seite von ganz oben nicht kommt, was kann, was soll die Basis machen? Bremst das, oder sagen Sie: Na ja, es gibt ja das eine Oben, aber es gibt eine andere Kirchenrealität? Wie nehmen Sie das wahr?

    Kock Ja, ich nehme eine solche Realität wahr. Es gibt Freundschaften in den Gemeinden und zwischen den Gemeinden, nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch institutionalisiert. Da machen die Menschen vieles, was möglich ist, manches, was auch in Rom vielleicht nicht so gerne gesehen wird, und diese Realität, die ist wichtiger. Wissen Sie, wir leben ja als Kirchen in einer Gesellschaft, in denen wir gemeinsame Probleme anpacken und auch weiter anpacken müssen. Das Armutsproblem in der Welt, die Umverteilung von Arm und Reich in unserem Lande. Das sind Fragestellungen, die können wir jetzt angehen, und die müssen wir auch weiterhin betreiben. Und an den Stellen, glaube ich, sind eben die Kirchenleitenden ja auch gefragt und auch bereit, das weiter zu betreiben, auch ohne dass im Einzelnen die Lehrinstitutionen und die Lehrfragen geklärt wären.

    Zurheide: Nun gibt es manche, die beobachten gerade bei der katholischen Kirche so eine Art Rückzug in den geschützten Bereich, wo man sagt, eher weniger Leute, und dafür aber die ganz 100 Prozent Überzeugten. Sehen Sie auch so eine Tendenz des Rückzuges oder ist das eine zu scharfe Beobachtung?

    Kock Also, es gibt in der katholischen Kirche diese Tendenz, und ich vermute auch, dass der Papst und einige der Kardinäle und Bischöfe auch in Deutschland ein bisschen in diese Richtung denken. Sie möchten gerne die Unbequemen eigentlich dann doch vielleicht nicht so sehr haben. Das halte ich für einen falschen Weg, das dient auch der katholischen Kirche nicht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich die Kirchen auch auseinandersetzen müssen mit den Abweichlern.

    Zurheide: Gibt es eigentlich einen Punkt, wo Sie sagen, da könnten wir als Protestanten von den Katholiken auch was lernen? Gerade so diese innere Überzeugung?

    Kock Na ja, also, wir haben schon viel gelernt, wir haben im Blick auf die Praxis des Abendmahls eine Entwicklung gehabt, früher wurde das einmal im Jahr oder zweimal im Jahr bei uns gefeiert, jetzt in vielen Gottesdiensten, meistens monatlich einmal oder öfter. Das ist schon etwas für die Spiritualität, da kann man was lernen. Dann, denke ich, kann man immer noch von vielen Katholiken lernen, dass sie eine Treue zur Kirche insgesamt haben, nicht nur zu ihrer örtlichen Gemeinde, und das, denke ich, ist auch bei uns wichtig, dass man über den eigenen Horizont hinausdenkt. Also, diese weltweite Dimension der katholischen Kirche, die ist schon etwas, die wir uns selbst auch abgucken müssen.

    Zurheide: Der Papst kommt nach Deutschland, das war ein Gespräch zum Stand der Ökumene zu Licht und Schatten bei diesem Thema mit Manfred Kock, dem früheren Präses der evangelischen Kirche. Herr Kock, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.