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Paralympics in Pyeongchang
Zwischen Medaillendruck und Vorfreude

Nach den Olympischen Spielen ist vor den Paralympics. Der Deutsche Behindertensportverband schickt 20 Athletinnen und Athleten nach Südkorea, für die Sportarten Rollstuhlcurling, Para Ski Alpin und Para Ski Nordisch. Die Athleten des "Top Team Pyeongchang" sind vom Ehrgeiz gepackt.

Von Henning Hübert | 23.02.2018
    Die sehbehinderte Biathletin Clara Klug mit ihrem Begleitläufer Martin Hartl bei den IPC-Weltmeisterschaften 2017.
    Die sehbehinderte Biathletin Clara Klug mit ihrem Begleitläufer Martin Hartl. (imago - DBS-Akademie)
    Schnell ist Anja Wicker in ihrem schicken Rennanzug und mit ihrem Ski-Sitz-Schlitten in der Loipe. Unter Flutlicht kämpft sie mit bei den Deutschen Meisterschaften im Para-Biathlon. Das Flutlichtrennen im Nordic Center auf dem Notschrei im Hochschwarzwald ist der letzte Wettkampf, bevor es nach Pyeongchang geht. Kräftig stößt sie sich mit ihren zwei parallel geführten Stöcken ab. Senkrecht reichen sie ihr bis über den Kopf.
    Die Konkurrenz ist groß
    Die 26-jährige Athletin hat eine fehlgebildete untere Wirbelsäule und muss sich deshalb auf ihrem flachen Sitz-Schlitten immer mit Gurten festschnallen. Ein Handicap, das ihr in der Wettkampfwertung angerechnet wird: mit einem Zeitbonus von zehn Prozent. Mediziner haben ihn ausgerechnet. Anja Wicker und ihr Trainer sagen: Beim Biathlon-Schießen in Pyeongchang muss sie fehlerfrei bleiben, um ihre Medaillenränge von Sotschi zu verteidigen.
    Biathletin Anja Wicker (MTV Stuttgart) beim Para Weltcup Oberried 2018.
    Biathletin Anja Wicker hat in Pyeongchang zwei Medaillen zu verteidigen. (imago sportfotodienst)
    "Einmal Gold, einmal Silber. Ja. Aber wird schwierig, sehr schwierig. Die Konkurrenz hat Schießen gelernt. Aber: Motiviert mich schwer. Die Hoffnung stirbt zuletzt."
    Anja Wicker ist eine von vier Biathleten, die zum so genannten "Top Team Pyeongchang" gehören. Das ist nochmal eine Elite-Gruppe innerhalb der mit insgesamt 20 Athleten schon recht kleinen Nationalmannschaft für die Paralympics. Der Status bedeutet: finanzielle Extra-Förderung, reduzierte Arbeitszeiten, erstklassige Trainingsmöglichkeiten auch im Sommer. Die Absicht, laut Verband: Den deutsche Behindertensport auf Weltniveau zu etablieren.
    Medaillendruck von den Athleten nehmen
    Wobei Bundestrainer Ralf Rombach so kurz vor dem Abflug nach Südkorea beim Punkt "Medaillen abräumen" etwas den Druck von seinen Sportlern nehmen will:
    "Naja, möglichst viel natürlich wie immer. Es gibt schon so eine Abfrage, kommt weniger so weit ich weiß vom Verband, weil die wissen auch, dass das nicht so einfach abzurufen ist per Plan. Es ist eher vom Geldgeber sowas wie eine Prognose erwartet worden, also sprich: Vom BMI über den Verband kam eine Anfrage, was denn so zu erwarten sei. Aber ich bin da immer ein bisschen zurückhaltend. Ich sag immer: Wenn wir unsere Topleistung abgerufen haben zum richtigen Zeitpunkt, dann können wir zufrieden sein. Was dabei rauskommt, das hängt ja nicht nur von uns ab."
    Optimale Vorbereitung auch für die Psyche
    Allerdings bemüht sich ein großes deutsches Team um die optimale Vorbereitung: Trainer, Servicetechniker, Physiotherapeuten sind bei den Höhentrainingslagern in den italienischen Alpen dabei. Und bei den Rollstuhl-Curlern wird sogar ein eigener Sportpsychologe mitfliegen. Aber auch bei den Blinden und Sehbehinderten im Biathlon spielt die Psyche eine große Rolle:
    "Passt. Der eine war Randtreffer, der vierte war gepresst. Aber immer schön ruhig. Hopp, hopp…"
    Dass überhaupt Blinde im Biathlon starten können, das macht eine Spezialanlage aus Finnland möglich. Im Nordic Center auf dem Notschrei im Schwarzwald sind extra drei Laser-Gewehre für die Sehbehinderten aufgebaut. Abstand zum Ziel: zehn Meter. Trainer Michi Huhn schließt einen Kopfhörer an, legt sich auf eine Gummimatte, justiert das Gewehr und erklärt das Schießen mit Gehör statt Auge:
    "Wir hören am Tonsignal immer nach hinten raus, wenn es so eine freundliche Melodie ist, dann ist es ein Treffer. Wenn es so ein 'Bööp'-Ton ist, dann ist es jeweils ein Fehler. …. Das war ein Treffer."
    Rückschläge auf dem Weg zu den Paralympics
    Unermüdlich steuern die blinde Clara Klug und ihr Begleitläufer Martin Härtl den Schießstand an. Fast immer bleibt die 23-jährige Studentin aus München fehlerfrei.
    Doch bei den Wettkämpfen im Rahmen der Deutschen Meisterschaften auf dem Notschrei kann das Top-Duo diesmal nur im Langlauf Silber holen. Beim Para-Biathlon stürzt Klug in der Loipe - auf ihren Daumen - und steigt aus dem Rennen aus. Mit ihrer Skispitze hat sie beim Überholen einen Sitzschlittenfahrer berührt. Und plötzlich sind da große Angst und Unsicherheit bei der Blinden.
    Jetzt hat ihr Guide Martin Härtl wieder viel zu tun, damit ihm seine Läuferin wieder mit ganzer Kraft in der Loipe folgt, auf nur zwei, drei Metern Abstand, -buchstäblich blind vertrauend. Damit es für beide was wird mit dem Medaillentraum von Pyoengchang.