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Parlamentsdebatte
Zu wenige Fragen an die Minister

Die wöchentliche Regierungsbefragung im Bundestag werde viel zu wenig genutzt, um die Arbeit der Regierung zu kontrollieren, sagte die Linken-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau im DLF. Da müsse sich jeder Abgeordnete selbst fragen, wie ernst er sich und seinen Auftrag nehme.

Petra Pau im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.09.2014
    Petra Pau im Bundestag.
    Petra Pau: Seit 2006 ist sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. (picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm)
    Das Instrument der Frage werde nur bei wenigen Themen genutzt, um die Minister zu kontrollieren, kritisierte die Linken-Politikerin und Bundestagsvize-Präsidentin Petra Pau im DLF. Dabei könnte der Mittwochnachmittag, wenn regelmäßig die 35-minütige Regierungsbefragung stattfinde, "ein sehr intensiver sein". Sie könne sich vorstellen, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sich den Fragen stellen und das "ganz attraktiv" finden würde. Ein großes Ärgernis sei es, dass von Ministern und Staatssekretären oft nur vorbereitete Antworten abgelesen würden.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte der Regierung damit gedroht, die regelmäßige Befragung durch das Parlament von den Tagesordnungen zu streichen. Nach Medieninformationen kritisiert der CDU-Politiker eine mangelnde Präsenz der Minister. So lasse die Regierung sich oft von parlamentarischen Staatssekretären vertreten. Es handele sich aber um eine Aufgabe der Ressortchefs. Am vergangenen Mittwoch hatte an der Befragung im Bundestag zum Stand der deutschen Einheit kein einziger Minister teilgenommen.Das sei ein klarer Verstoß gegen die Geschäftsordnung gewesen, sagte Pau. Diese sehe vor, dass Kabinettsmitglieder Stellung nehmen. Staatssekretäre seien aber keine Kabinettsmitglieder. Dass es Änderungsbedarf gebe, sei in den Fraktionen schon Konsens. Welche Änderungen es konkret geben werde, sei aber noch unklar. Eine Einigung dazu werde es aber wohl noch im Herbst geben.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Man stelle sich das mal vor: Die Bundeskanzlerin hält eine Rede im Bundestag und beantwortet zwischendurch oder anschließend spontan Fragen. Das ist in England üblich. Im Bundestag ist bei so was Fehlanzeige. Es gibt eigentlich gar keine richtigen Fragerunden, und wenn Fragen gestellt werden, dann sind oft keine Minister anwesend, um sie zu beantworten. Norbert Lammert hat das in dieser Woche deutlich kritisiert, und am Telefon ist jetzt eine seiner Stellvertreterinnen, Petra Pau von der Linkspartei. Schönen guten Morgen, Frau Pau!
    Petra Pau: Guten Morgen!
    Armbrüster: Frau Pau, ist der Bundestag zu langweilig?
    Pau: Na ja, in jedem Fall ist es nicht attraktiv, und am Mittwochnachmittag, wenn bei der Regierungsbefragung oder in der Fragestunde zuzusehen oder das Ganze nachzulesen, weil oftmals braucht man dazu dann doch schon Spezialwissen, um überhaupt zu verstehen, worüber sich Abgeordnete, Minister und Staatssekretäre unterhalten. Und ich glaube, der Appell, da etwas zu ändern, geht an beide Seiten. An die Regierungsseite wie auch an uns selbst als Abgeordnete.
    Armbrüster: Was genau läuft denn falsch im Bundestag? Haben sich die Abgeordneten da einfach daran gewöhnt, dass der Rhythmus lautet, einfach eine lange Rede halten und sich dann hinsetzen?
    Pau: Na ja, am Mittwochnachmittag haben wir ja eigentlich die Institution der Fragestunde. Da geht es gar nicht um eine lange Rede, sondern wir haben vor zwei, drei Jahren da schon mal nachjustiert und gesagt, in einer Minute kann eine Frage gestellt sein, und in einer Minute kann eigentlich auch geantwortet sein. Und für Nachfragen gilt Gleiches, aber es ist in den letzten Jahren sehr oft vorgekommen, dass erstens gar nicht genügend Abgeordnete gefragt haben. Und zweitens, und das ist wirklich ein Ärgernis, das sage ich als Abgeordnete, die den Bundestag aus mehreren Perspektiven erlebt hat - als Abgeordnete einer Fraktion, als fraktionslose Abgeordnete, die die Fragestunde noch viel intensiver genutzt hat, und jetzt als Vizepräsidentin - großes Ärgernis, wenn Staatssekretäre oder gar Minister die vorbereiteten Antworten ablesen und nicht erkennen lassen, dass sie tatsächlich auch in ihrem Fachgebiet richtig dabei sind.
    Die wussten, da lassen wir nicht nach
    Armbrüster: Ist da möglicherweise ein Motiv, dass sich viele Politiker denken, da guckt sowieso niemand zu?
    Pau: Eigentlich müssten alle wissen, dass beispielsweise Phoenix fast immer dabei ist. Ich glaube eher, dass das Instrument Frage, welches ja eigentlich dafür da ist, die Bundesregierung zu kontrollieren, bei einigen irgendwie in Vergessenheit geraten ist. Ich habe Ihnen schon gesagt, ich habe das in einer gewissen Zeit selbst als Abgeordnete sehr intensiv genutzt in den Jahren 2002 bis 2005, als ich keine Fraktion hatte, kein eigenes Antragsrecht. Und meine Kollegin Gesine Lötzsch und ich haben damals die richtigen Aufreger in der Bundespolitik - damals wurde zum Beispiel die Praxisgebühr eingeführt, inzwischen gibt es die nicht mehr. Damals wurden Hartz I bis IV verabschiedet, und wir haben die Auswirkungen im richtigen Leben damals über die Fragestunde ins Parlament gebracht. Und ich kann mich erinnern, dass da der eine oder andere Minister oder die eine oder andere Ministerin einerseits sehr ärgerlich war, aber andererseits sich auch sehr deutlich dann vorbereitet hat, weil sie wussten, wir lassen nicht nach. Das habe ich in den letzten Jahren nur bei ganz wenigen Themen erlebt. Und das gilt fraktionsübergreifend, diese Kritik.
    Armbrüster: Sind die Abgeordneten da einfach vielleicht rhetorisch nicht gut genug?
    Pau: Ach ja, das muss sich jeder einzelne Abgeordnete fragen, aber ich denke, jeder sollte einfach mal überlegen, wie ernst er sich und seinen Auftrag nimmt. Da gehört nicht nur dazu, wenn die Fraktion einen zu einem bestimmten Thema ans Redepult lässt, sich ordentlich vorzubereiten. Und im Übrigen steht auch in der Geschäftsordnung, dass der Abgeordnete in freier Rede vorträgt und nur gegebenenfalls mal etwas zitiert.
    Armbrüster: Aber das sieht man ja wirklich selten.
    Pau: Das sieht man höchst selten. Also da geht es schon los. Aber für die Fragestunde gilt das erst recht. Ich finde eigentlich, der Mittwochnachmittag könnte ein sehr intensiver sein. Und die Idee, die einige parlamentarische Geschäftsführer hatten, dass dort nicht nur Minister und Staatssekretäre Rede und Antwort stehen, sondern auch die Bundeskanzlerin selbst, halte ich nach wie vor für attraktiv. Im Übrigen, ich habe ja die Bundeskanzlerin zu diesem Vorschlag noch gar nicht gehört. Ich könnte mir vorstellen, so wie ich sie kenne, dass das auch für sie attraktiv wäre. Insofern sollten wir nicht nur die parlamentarischen Geschäftsführer fragen.
    Armbrüster: Da haben wir jetzt aber in dieser Woche schon den Einwand gehört, da drohe dann ein Spektakel, wenn die Kanzlerin direkt befragt würde. Können Sie das teilen?
    Pau: Das halte ich für völlig übertrieben. Und im Übrigen, dafür, dass es kein Spektakel gibt, dass die Regeln eingehalten werden, dafür ist der Bundestagspräsident und sind seine Stellvertreter da. Und ich denke, das schaffen wir schon.
    Das war in dieser Woche ein klarer Regelverstoß
    Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck, wenn Sie sich da anhören, was zum Beispiel in diesen Tagen im Ältestenrat besprochen wird? Können wir da mit einer Änderung rechnen in den kommenden Wochen oder Monaten?
    Pau: Dass wir Änderungsbedarf haben, da gab es Anfang dieses Jahres, Anfang dieser Legislatur eigentlich schon einen Konsens, und das wirklich durch alle vier Fraktion. Und das gilt im Übrigen auch für das Präsidium des Bundestages. Die Frage ist, welche Änderungen werden wir jetzt ausprobieren, und ich denke, nach der ersten Aufregung werden wir noch im Herbst zu Einigungen kommen.
    Armbrüster: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat ja angedroht, die angesetzten Regierungsbefragungen künftig abzubrechen, wenn kein Minister anwesend ist, wo wie in der vergangenen Woche. Was ist Ihr Eindruck - ist so eine Drohung bei den Ministern angekommen?
    Pau: Also ich hoffe sehr, dass sowohl die Bundesregierung das ernst nimmt, aber natürlich auch wir als Abgeordnete selbst, was die Vorbereitung auf diese 35 Minuten Regierungsbefragung ab 13 Uhr, immer am Mittwoch in der Sitzungswoche, betrifft. Im Übrigen ist das auch nur die Umsetzung der Geschäftsordnung. Weil da steht nun ganz deutlich drin, dass die Regierungsbefragung, der erste Teil also des Mittwochnachmittags, durch ein Mitglied des Kabinetts bestritten werden muss. Das heißt, Staatssekretäre sind nicht Mitglieder des Kabinetts. Insofern war das in dieser Woche ein klarer Regelverstoß.
    Armbrüster: Also möglicherweise steht der Deutsche Bundestag da vor einigen Regeländerungen oder zumindest vor einer Durchsetzung schon bestehender Regelungen. Petra Pau war das von der Linkspartei. Sie ist Vizepräsidentin im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Frau Pau, für Ihre Zeit heute Morgen!
    Pau: Ja, gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.